Die Frauen wollen ihn, die Männer wollen so sein wie er: Adonis! Mit Johann Sigismund Kussers gleichnamiger Oper um das antike Sexsymbol setzt das Schwetzinger Winterbarockfestival seine Pflege der deutschsprachigen Barockoper fort. 2005 in der Württembergischen Landesbibliothek entdeckt, kommt das Werk erstmals seit der vermuteten Uraufführung 1699 oder 1700 am Stuttgarter Hof wieder szenisch auf die Bühne. „Deutschsprachig“ ist hier keineswegs gleichzusetzen mit „deutscher Oper“. Letzteres impliziert ein Werk, das über die geographische Dimension hinaus auch genuin nationale Operncharakteristika vorzuweisen hätte, doch davon war man zur Entstehung des „Adonis“ in den späten Neunzigerjahren des 17. Jahrhunderts weit entfernt.
Was hier in deutsche Gewänder gehüllt wird, ist formal und stilistisch deutlich von Frankreich und Italien, den beiden Opernzentren der Zeit, geprägt; genau genommen ist selbst der Text ein italienischer, denn er beruht auf Flaminio Parisettis „Gl’inganni di Cupido“, das 1691 von Giuseppe Fedrizzi zur gleichnamigen Oper verarbeitet wurde. Mit dieser ist Kusser wohl während seines Wirkens am Braunschweiger Hof in Kontakt gekommen. Die französische Praxis, von der hier etwa ein Menuett am Schluss des ersten Aktes zeugt, war dem weit gereisten Künstler ohnehin in Fleisch und Feder übergegangen, nachdem er sein Handwerk von Jean-Baptiste Lully höchstselbst gelernt hatte. Trotzdem verfährt Kusser nicht schematisch: Die Arien kommen ohne Dacapo aus, die Rezitative enthalten gesprochene und annähernd melodramatische Passagen, Duette und Ensemblenummern durchbrechen die gewohnte Abfolge der Formen.
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Stofflich ist dieses Werk mit seinem Kreisen um vergebliche Liebesmüh keine große Wiederentdeckung, doch wird musikalisch umso straffer erzählt. In Jörg Halubek, der zuletzt auch die Ersteinspielung des Werks leitete, hat man in Schwetzingen nicht nur einen Kenner Alter Musik, sondern vor allem einen Streiter für dieses Werk gewonnen. Im Wissen um die zentrale Funktion, die der Continuogruppe im „Adonis“ zufällt, hat er die Besetzung um Fagott, Laute und Barockharfe erweitert, zudem entfallen große musikalische Anteile auf Oboen und Flöte. So leuchtet dieses Werk farbenreich und mit einer melodischen Vielfalt, wie man sie selten bei einer Barockoper hört; nach einer zweiten Arie mit Koloraturfagott muss man wohl eine Weile suchen.
Momente wie das gezupfte Nachspiel, das die siebte Szene des zweiten Aktes beschließt, oder die Reaktionsfreudigkeit in Adonis’ „Bei dir, einsames Gefilde“ bezeugen die ungeheure Energie mit der nicht nur die Sänger und Halubek, sondern auch das Barockensemble hier spielt.
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Der Regisseur Guillermo Amaya zeigt die mehrsträngige Handlung um den mythologischen Beau als Reenactment. Schuld an den Liebeswirren ist der pubertäre Cupido, der die Freude am Bereiten von Liebesschmerz entdeckt hat. Vor allem Daphne und Pallas bekommen das zu spüren und flüchten sich vor ihren liebestollen Verehrern Apollo und Vulcanus zu Cupidos Mutter Venus. Als die ihren Sohn zur Rede stellt, antwortet der prompt, versenkt einen Pfeil in ihrer Brust und einen in der des überheblichen Adonis. So klingt „Tür-Zuknallen“ bei den Göttern.
Die frisch Verliebten finden zwischen Anziehung und Eifersucht zueinander, während Daphne auf der Flucht vor Apollo zum Lorbeerbaum erstarrt. Kaum hat sich Adonis seine Regungen eingestanden, schlitzt ihn der schicksalhafte Eber auf und lässt Venus in Trauer zurück. Das obligatorische glückliche Ende gibt es trotzdem, wenn auch nicht durch einen Deus ex Machina; aus Cupido & Co. sind wieder die Freunde vom Beginn geworden, die die Handlung mit dem resümierenden Schlussgesang als antikes Lehrstück rahmen.
Die Titelpartie wird vom jungen Bariton Jonas Müller gesungen, dessen helles Timbre den glockenklaren Venussopran von Theresa Immerz ideal ergänzt. Wenn sich die beiden zu ihren Melodiebögen auf der Liege räkeln, irisiert das ganze Rokokotheater vor Liebesglut.
Zum Zentrum des Bühnengeschehens mausern sich aber João Terleira und Sreten Manojlović als Cupido respektive Vulcanus. Beweglich wie seine Koloraturen turnt dieser störrische Amor auf Leitern, wird zum Tanzbären und jubelt wie Cristiano Ronaldo während der betrübte Schmied ihm im Rhythmus des Continuo neue Pfeile schmiedet. Glücklicherweise geschieht all das nicht auf Kosten der musikalischen Leistung: Terleira verleiht dem Schelm ein unangestrengt heldenhaftes Strahlen vom Format eines Tamino, während Manojlović ihm hinsichtlich dieser registerübergreifenden Stimmkraft und der Flexibilität in nichts nachsteht und zudem mit der Klarheit seiner tiefen Koloraturketten beeindruckt. Der durchdringende Sopran Indrė Pelakauskaitės, die Daphne gleichermaßen als wehrhafte Nymphe und mit deutlichen Mezzoanklängen auch als verletzte Seele zeichnet, vervollkommnet dieses Klangbild, das Adonis vom Symbol körperlicher auch zu einem der musikalischen Schönheit erhebt.