DFB-Pokal: Auf der Zielgeraden zeigt der VfB Stuttgart sein wahres Gesicht

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Nick Woltemade bejubelt den ersten Stuttgarter Pokalsieg seit 1997

Nick Woltemade bejubelt den ersten Stuttgarter Pokalsieg seit 1997

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Bernd Weißbrod / dpa

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Zur großen Analyse dieses Pokalsieges ist Sebastian Hoeneß nicht mehr gekommen. Er sollte gerade Journalistenfragen nach dem Erfolg seines VfB Stuttgart über Arminia Bielefeld beantworten, da stürmte seine siegestrunkene Mannschaft die Pressekonferenz, nahm den Trainer gleich mit zum Feiern und sorgte für ein jähes Ende der Fragestunde.

Dieser Abend war für den VfB Stuttgart zum Jubel, Trubel da, nicht zur Pressearbeit.

Mit dem 4:2 über den Drittligisten, ein Ergebnis, das sich weniger souverän anhört, als der Spielverlauf es hergab, hat der VfB eine durchwachsene Saison doch noch erfolgreich an den Zielort geparkt. Man ist in der nächsten Spielzeit wieder international vertreten als Europa-League-Teilnehmer, man kehrt mit einem Titel aus Berlin zurück.

Die Mannschaft hat ganz zum Schluss dieser Saison noch einmal gezeigt, was in ihr steckt – und was in dieser Spielzeit möglich gewesen wäre, wenn sie ihr Potenzial konstant genutzt hätte.

Effizient vor dem Tor

»Wir haben in diesem Spiel Dinge gezeigt, die wir im Lauf der Saison nicht immer draufhatten – zum Beispiel, effizient zu sein«, hatte Hoeneß noch erzählen können, bevor ihn sein Team aus der Pressekonferenz holte. Tatsächlich hatte die Offensive unter allerdings tätiger Mithilfe der Arminia-Abwehr in der ersten Hälfte aus drei Torchancen drei Tore gemacht, man sei beim Kontern »eiskalt« geblieben, attestierte Bielefelds Trainer Michel Kniat den Stuttgarter Stürmern.

Sebastian Hoeneß Arm in Arm mit Woltemade

Sebastian Hoeneß Arm in Arm mit Woltemade

Foto: Bernd Weißbrod / dpa

Ohnehin, so befand Hoeneß, habe die Mannschaft auf der Zielgeraden der Saison »Charakter bewiesen«. Einen Charakter, an dem manche schon gezweifelt hatten, in den Wochen, in denen sich Heimniederlage an Heimniederlage reihte und man am Ende froh sein musste, auf Platz acht der Tabelle gelandet zu sein – nachdem man als Vizemeister mit größten Hoffnungen in die Spielzeit gestartet war.

Aber an diesem kühlen Maiabend war das alles kein Thema, der VfB hatte sich rechtzeitig für »die große Bühne« (Hoeneß) wieder gefangen. Was auch daran lag, dass Angelo Stiller, der Pass- und Ideengeber im Mittelfeld, nach seiner Verletzung rechtzeitig fit geworden war.

Stiller als Passgeber

Wie wichtig dies war, bewies Stiller mit seinen drei Assists zu den drei ersten Toren. Bundestrainer Julian Nagelsmann, personell ansonsten gebeutelt vor dem demnächst anstehenden Nations-League-Finale, wird das sehr gerne gesehen haben.

Trotzdem wollte Hoeneß anschließend »niemanden herausheben«, und tat es dann doch: Er lobte Torwart Alexander Nübel, der in der Schlussphase, in der die Stuttgarter plötzlich zu schwimmen begannen, das 3:4 verhindert hatte. Er hob die zwei Treffer des Enzo Millot hervor, des Franzosen, dessen Zukunft beim VfB in den Sternen steht.

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Enzo Millot bei einem Tor zum 2:0

Foto: Sebastian Gollnow / dpa

Tatsächlich hatte diese Mannschaft am Samstagabend keinen echten Schwachpunkt, »sie waren heute das eindeutig bessre Team«, machte auch der gegnerische Coach Kniat keinen Hehl daraus, wer den Pokal verdient gewonnen hatte.

»Der schönste Moment meines Lebens«

Der VfB hat in dieser Spielzeit in der Champions League agiert, er hat im Supercup-Finale gegen Bayer Leverkusen nur knapp verloren, aber dieses Pokalendspiel hat für den Verein eine ganz andere Dimension. Es hat 28 Jahre gedauert, bis der DFB-Pokal mal wieder nach Schwaben geht. Joachim Löw war der letzte Trainer, der den Wettbewerb mit dem VfB gewann, es ist nur folgerichtig, dass der frühere Bundestrainer am Samstag derjenige war, der den Pokal ins Olympiastadion brachte.

Für Kapitän Atakan Karazor war es sogar »der schönste Moment in meinem Leben«. Wenn ein hartgesottener Profi so etwas nach einem Erfolg über einen Drittligisten sagt, zeigt das, was für den VfB an diesem Spiel, an diesem Sieg hängt.

Kapitän Atakan Karazor mit dem Pokal

Kapitän Atakan Karazor mit dem Pokal

Foto: Tobias Schwarz / AFP

Ein Sieg, den Nick Woltemade mit seinem Treffer in der 15. Minute den Weg ebnete. Der aufgeschossene Stürmer ist der Mann der Saison beim VfB, in der Liga hat er 12 Tore für den VfB erzielt, er hat sie damit durch die schlechten Wochen gebracht und sich selbst die Nominierung durch den Bundestrainer verdient.

Woltemade und die Erwartungen

Genauer gesagt, ist es sogar eine Doppel-Nominierung, da er gleichzeitig auch für die U21-EM berufen wurde. Die Erwartungen an den 23-Jährigen 1,98-Meter-Mann sind hoch, mit Druck kann er jedoch offensichtlich umgehen. So selbstbewusst brachte er seine Qualitäten am Samstag ein, im wichtigsten Spiel des Jahres.

Stuttgarter Jubel vereint Fans und Spieler

Stuttgarter Jubel vereint Fans und Spieler

Foto: Bernd Weißbrod / dpa

Im wichtigsten Spiel, das zugleich wohl das stimmungsvollste in Deutschland ist. Wenn zwei solche Traditionsvereine aufeinandertreffen wie am Samstag im Olympiastadion, dann vibriert Berlin, dann ist noch einmal ein ganz anderes Leben in dieser Stadt, die ohnehin vor Leben nicht zu Ruhe findet. Das Pokalfinale ist alljährlich ein Fest des Fußballs, in diesem Jahr vielleicht noch mehr als sonst.

Die Fußballlogik wird aufgehoben

Noch eine halbe Stunde nach Abpfiff war das Olympiastadion randvoll gefüllt, die eine Kurve feierte die Verlierer, die andere die Gewinner. Das Pokalendspiel hebt auch ein Stück weit die Fußballlogik des Siegens und Verlierens auf, weil es am Ende für beide Seiten ein Feiertag bleibt.

»Wir alle kannten diesen Rahmen nicht, wir haben das zum ersten Mal erlebt«, war Arminia-Trainer Kniat noch nach dem Spie geplättet von all dem, was auf ihn und sein Team an diesem Wochenende eingestürzt ist. Es sei so überwältigend gewesen, dass es »ein echter Ansporn ist, wiederzukommen«.

Sein siegreicher Kollege Sebastian Hoeneß hätte das sicher ähnlich gesehen. Er konnte das der Öffentlichkeit nur nicht mehr mitteilen. Er musste feiern.

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