Detlef Pollack wird siebzig: Glauben als Sinn und System

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Mit seiner lakonischen Vorstellung auf X – „Soziologe, Protestant, Luhmann-Leser“ – stellt Detlef Pollack klar, unter welcher Selbstbindung er Soziologie betreibt. Eben als Protestant, als ein bekennender Angehöriger seines bevorzugten Forschungsgegenstands. Dem Religionssoziologen Pollack, das darf man wohl unterstellen, ist schon deshalb die Zukunft des christlichen Glaubens in der deutschen Gesellschaft nicht gleichgültig.

Zum Studium der Theologie hat er sich dennoch nur schweren Herzens entschlossen, wie er vergangenes Jahr in einem Rückblick auf seine akademische Laufbahn verriet, der er den Titel „Vom östlichen Abseits in die westliche Normalität“ gab. Theologie? Er glaubte noch nicht einmal an Gott. Und Pfarrer werden wollte er auch nicht. Das hätte in der DDR bedeutet, in einer Institution am Rande der Gesellschaft zu arbeiten. ­Soziologisch formuliert: Es hätte die Selbstexklusion aus der Gesellschaft bedeutet.

Keine Religion ohne Kirchen

Theologie studierte Detlef Pollack dann doch, todunglücklich, aber zum Glück für die Soziologie wurde er tatsächlich kein Pfarrer, sondern entdeckte Niklas Luhmann, dessen kühler Blick auf die Religion den Leipziger Theologiedoktoranden 1982 in eine intellektuelle Aufregung versetzt hatte, die ihn seither nicht mehr verlassen hat. Luhmanns systemtheoretischer Zugang zur Religion versetzt Pollack in die höchst produktive Lage, den nicht nur von ihm festgestellten Schwund der Kirchen und ihrer Gläubigen soziologisch so zuzuspitzen, dass es nicht bei der gängigen Entlastungsformel bleiben kann, es schwänden ja nur die Kirchen, während der Glaube weiterhin blühe und sich individualistisch entfalte. Unlängst erst hat Pollack in Reaktion auf jüngste Forschungsbefunde der EKD diesen Hochmut der protestantischen Theologen gescholten, die auch mit den Befunden der religionssoziologischen Forschung auf Kriegsfuß gestanden hätten.

Detlef Pollack glaubt nicht an eine Zukunft der Religion ohne die Kirchen. Für einen Protestanten ist das vielleicht ungewöhnlich, für einen soziologischen Systemtheoretiker dagegen nicht. Für diesen ist die Religion eben mehr als ein individuelles Gefühl und personalisierte Sinnfindung. Sie ist ein funktionales Subsystem der Gesellschaft mit einer Funktion, die nur sie erfüllen kann. Vom Standpunkt der Systemtheorie aus wäre eine gänzlich individualisierte Religion so, als ob jeder seine eigene Währung hätte und sein eigenes Geld drucken würde. Die Befunde der EKD über den Glaubensverlust müssen einen systemtheoretisch denkenden Soziologen wie Pollack alarmieren. Schließlich werfen sie die Frage auf, was an die Stelle des Systems Religion treten könnte.

Die Systemtheorie ist hier eher konservativ. Was als System funktioniert, hat sich bewährt. Es überrascht daher nicht, dass Detlef Pollack den protestantischen Theologen rät, sich wieder mehr auf die Sinnformen einer innerkirchlichen Religiosität einzulassen. Dass er kein Theologe wurde, sondern ein Soziologe, der mit solchen Ratschlägen immer den Dialog mit den Theologen gesucht hat, ist für beide Seiten als ein Glücksfall zu betrachten. Heute wird Detlef Pollack siebzig Jahre alt.

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