Der Schriftsteller Jens Sparschuh wird siebzig

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Gegenüber einem Nachrichtenmagazin hat der Schriftsteller Jens Sparschuh einmal augenzwinkernd von der „Gnade der vergitterten Geburt“ gesprochen. Zur Welt gekommen ist er 1955 im Lenin-Krankenhaus am Karl-Marx-Städter Zeisigwald; in den Siebzigerjahren hat er an der Leningrader Shdanov-Universität Philosophie und Logik studiert. Eine Vita, die nicht ganz dem Anforderungs­profil eines in der Wolle gefärbten Dissidenten entspricht, aber Lesern und Rezensenten im später vereinigten Deutschland street credibility garantierte.

Karl-Marx-Stadt, Leningrad: Sparschuhs Biographie ist von Orten geprägt, die es heute nur noch als Vergangenes gibt. Über das Leben als Möglichkeit und die Verschiebungen von Wahrnehmung und Logik hat der 1983 an der Humboldt-Universität mit einer Arbeit zur „heuristischen Ausdrucksfähigkeit aussagenlogischer Beweisbegriffe“ zum Doktor der Philosophie promovierte Autor 2023 seinen bislang letzten Roman geschrieben: In „Nicht wirklich“ beschäftigt sich Sparschuh mit der Philosophie des „Als ob“ des Neukantianers Hans Vaihinger (1852 bis 1933) – wobei der routiniert aufgerollte Erzählfaden, wie in vielen Büchern Sparschuhs, aus der DDR über die Nachwendezeit bis in unsere unmittelbare Gegenwart führt.

„Die Wahrheit“, so dekretierte einst Vaihinger, sei „nur der zweckmäßigste Irrtum“. In der Realgeschichte soll Sparschuhs Doktorvater nach der Prüfung seines Schützlings in den Westen geflüchtet sein, eine Uni-Karriere war damit versperrt. Zum Glück für uns Leser schlug sich der Philosoph in spe als freier Autor in die Büsche. Der Buchverlag Der Morgen brachte 1985 mit „Waldwärts – Ein Reiseroman von A bis Z erlogen“ Sparschuhs erste Fingerübung zwischen Buchdeckel, eine an Georges Perec erinnernde Sprachspielerei in 26 Kapiteln, die jeweils nur aus Wörtern bestehen, die mit den gleichen Buchstaben beginnen – fast zwanzig Jahre später sollte die Büchergilde diese Preziose noch einmal kongenial neu illustriert auflegen.

Sein erster Roman galt Eckermann

Als Schriftsteller konnte man Sparschuh nicht mehr übersehen, seit 1987 sein erster Roman erschienen war: Für „Der große Coup – Aus den geheimen Tage- und Nachtbüchern des Johann Peter Eckermann“, das zu jenen Büchern aus den letzten DDR-Jahren zählt, die sich den Verkannten, Randfiguren und Abweichlern aus Klassik und Romantik zuwandten, erhielt er den Anna-Seghers-Preis der Ostberliner Akademie der Künste.

Das westdeutsche Feuilleton wurde 1990 auf Sparschuh aufmerksam, als ihm für sein Hörspiel „Ein nebulo bist du“ (1989) der Hörspielpreis der Kriegsblinden zuerkannt wurde. Hörspiele und Features haben ein besonderes Gewicht in Sparschuhs Werk; angesichts der heute in den öffentlich-rechtlichen Häusern grassierenden Spar- und Umstrukturierungsexzesse ist ein solches Œuvre kaum noch denkbar. Nach fulminantem Start beim Rundfunk der DDR konnte der Autor von 1997 an allerdings nur noch im Westen, beim NDR oder Radio Bremen, produzieren. Seinen größten Bucherfolg landete Sparschuh mit „Der Zimmerspringbrunnen“ (1995), einem satirischen „Heimatroman“, in dem alle komischen und tragischen Aspekte des deutsch-deutschen Alltags durchgespielt werden.

Die Bedeutung seiner Kinderbücher

Peter Timm („Go Trabi go“) sollte diese Geschichte des zum Handelsvertreter mutierten Ex-Angestellten der Kommunalen Wohnungsverwaltung Hinrich Lobek später in die Kinos bringen. Sparschuh wird sich über die einschlägigen Tantiemen-Abrechnungen nicht geärgert haben, wichtiger waren dem Vater zweier Töchter aber zweifellos seine Kinder­bücher. Obwohl Titel wie „Parzival Pechvogel“ (1994) oder „Morgens früh um sechs . . .“ (2009) sämtlich erst nach dem Mauerfall erschienen, stehen sie ganz ­offensichtlich in einer DDR-Kinderbuch-Tradition, in der die Phantasie über einen streng realitätsbezogenen Kulturbegriff des sozialistischen Realismus gesiegt hatte. In vierzig Jahren war sich kaum einer der Großen in der DDR – von Brecht, Hacks und Strittmatter bis Fühmann oder Christoph Hein – zu schade, für Kinder zu schreiben.

Kinder sind für Jens Sparschuh vermutlich das dankbarste Publikum, gnadenlos in Erkenntnisinteresse und genauem Hinschauen. Professionellen Kritikern, die seine Texte, wie Wolfgang Emmerich, schon mal als „bemüht witzig und penetrant anspielungsreich“ abkanzelten, mag er mit Goethe begegnen, in dessen „Maximen und Reflexionen“ es, Lichtenbergs Aphorismen kommentierend, heißt: „Wo er einen Spaß macht, liegt ein Problem verborgen.“ Die Autorinnen und Autoren, die ihren zwischen Kalauer und Poesie, Komik und Philosophie tänzelnden Kollegen 2019 mit dem Günter-Grass-Preis auszeichneten, erfanden den Ehrentitel „Peter Pan Ostdeutschlands“, eine astreine vossianische Antonomasie: „Wie Kinder staunen seine kauzigen Protagonisten seit je über die Welt, gerade auch über die Wunder, die ihnen mit der Wiedervereinigung in ihren kleinen Alltag geschneit sind.“ Heute soll Jens Sparschuh in der Pankower Eintrachtstraße schon seinen siebzigsten Geburtstag feiern? Nicht wirklich.

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