Der „Polizeiruf 110: Ein feiner Tag für den Bananenfisch“ erzählt ein wildes Märchen

vor 1 Tag 2

An rätselhaften Titeln herrscht im „Polizeiruf“- und „Tatort“-Krimikosmos kein Mangel. Zuletzt durfte man über „Widerfahrnis“ grübeln und konnte bei den Brüdern Grimm nachschlagen, um einen Beleg mit theologischem Kontext zu finden.

Der „Polizeiruf“ aus München gab sich, vor allem in den Folgen mit Johanna Wokaleks Vorgängerin Verena Altenberger, in der Titelei wolkig bis versponnen. Nun die Episode mit dem Titel „Ein feiner Tag für den Bananenfisch“. Bloß einmal wird im vierten Fall von Cris Blohm (Wokalek) und Dennis Eden (Stephan Zinner) auf das Titeltier angespielt, während die Beamten mit drei Kronzeuginnen samt Schoßhündchen auf der Flucht vor Albaner-Clan-Killern sich nachts lädiert im Maisfeld verstecken.

Ein solcher Fisch, glaubt man der ausufernden Sekundärliteratur zu J.D. Salingers Short Story „Ein perfekter Tag für Bananenfische“ (1948), existiert freilich gar nicht, außer in der Phantasie des nervlich versehrten Weltkriegsrückkehrers Seymour Glass und bald darauf in der Märchenvorstellungswelt eines kleinen Mädchens.

Ein paar trockene Erklärpassagen

Überraschung: Den Bananenfisch (Pentapodus emeryii, Emerys Scheinschnapper) gibt es doch. Bloß frisst er keine Bananen. Grund zum Grübeln? Was will uns der Autor des „Polizeirufs“, Günter Schütter, sagen? Nach Inaugenscheinnahme des Films lässt sich sagen: Wer vom Sonntagabendkrimi einen gut sortierten Fall mit Opfern, Tätern, Verdächtigen, Action und beruhigender Auflösung verlangt, wird sich hier verständnislos abwenden, am Kopf kratzen oder, die beliebte Variante, auf die Öffentlich-Rechtlichen schimpfen.

Trailer„Polizeiruf 110: Ein feiner Tag für den Bananenfisch“

Hier gibt es nicht mal den Willen zur beruhigenden Auflösung. Stattdessen setzt Schütter, setzen der Regisseur Dror Zahavi und die Kamerafrau Sonja Rom lustvoll auf die Verwüstung der Krimiformatierung. Berührend, gesellschaftspolitisch vermittelnd, märchenhaft übertreibend, geht es um Toleranz und Akzeptanz. Leider hält man trockene Erklärpassagen (Stonewall-Unruhen von 1969, Gewalt gegen Dragqueens, Gentrifizierung von München, Immobiliengeschäfte, kriminelle Clans) für geboten.

Hier und da treten Figuren wie der migrationsfeindliche afghanische Supermarktchef auf, die nur zeigen sollen, dass das alles nicht so einfach ist mit den Zuschreibungen. Manchmal aber ist dieser „Polizeiruf“, im Kern der Handlung völlig unlogisch, wie eine große bunte Geburtstagsfeier.

Königstochter mit Vollbart

Das Gerüst: Der Nachtclub „Rainbow“ liegt in Münchner Bahnhofsnähe wie eine Bastion gegen Entmietung und Spekulation. Eine Oase des Amüsements und Selbstausdrucks (Männer wie Dennis Eden, bezeichnet als „Cis-Hete“, haben keinen Zutritt): Märchenreich, Gegenwelt und ein Safe Space, wie man will. Die Bilder setzen die heiße Spur: Erst sieht man nackte Füße, dann Schuhe das Trottoir passieren. Drei Dragqueens, Tulip (Patrice Grießmeier), Menora Rothschild (Bozidar Kocevski) und Peecabou (Meik van Severen) werden auf dem Heimweg Zeugen einer Hinrichtung. Zwei Killer töten den Besitzer eines Mietshauses. Die Queens werden erkannt und fliehen.

Auftritt Blohm und Eden, Polizeiroutine, Befragungen. Eden steht da wie der Depp vom Dienst, mit seiner „urbayerischen Männlichkeit“. Menora entwickelt für Cris eine Zwei-Welten-Theorie: deine Welt (Verbrechen, Gewalt, Sanktionierung des Nicht-Passens) gegen unsere (Märchen, Drama, Selbstschöpfung). Gemeinsam bricht man auf zur Landpartie in ein Zeugenhaus. Im Auto arbeitet man sich an Vorurteilen ab. Auf dem Weg ein Zeugnis lokaler Volksfrömmigkeit: Ein ikonographisches Bild, die heilige Hilgefortis am Kreuz, wie Eden beiträgt, auch als Heilige Kümmernis verehrt.

Die lusitanische Königstochter bat Gott um Entstellung, als der König sie gegen ihren Willen verheiraten wollte. Gott schenkte ihr einen Vollbart, die Robe behielt sie, auch bei der väterlich angeordneten Kreuzigung. Anderssein, so sieht es wohl auch der auffällig gefärbte Bananenfisch, war immer schwer. Auch Blohm scheint noch zu leiden, nach der Liebespleite der Folge „Funkensommer“ vor einem Jahr. Eden knüpft zarte Freundschaftsbande gegen die Erwartung. Showdown, Gerichtsverhandlung, Urteil – alles noch nicht das Finale, das findet nämlich im Land Oz statt. Als Krimi versenkt, hat der „Bananenfisch“ als poetisch-politischer TV-Film Qualitäten.

Polizeiruf 110: Ein feiner Tag für den Bananenfisch, Sonntag, 20.15 Uhr, ARD

Gesamten Artikel lesen