Das Bemühen der Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot, sich mit den Waffen des Arbeitsrechts ihre Rückkehr an die Universität Bonn zu erkämpfen, ist ein paradoxes Unterfangen, wie am Freitag im Landesarbeitsgericht Köln sogleich in der ersten Einlassung ihrer Rechtsanwälte hervortrat. Sie muss den wissenschaftlichen Charakter des Buches bestreiten, dem sie, wie zwischen den Parteien unstreitig ist, den Ruf an ihre Alma Mater verdankte, der sie 2021 im vorgerückten Berufsalter von 57 Lebensjahren ereilte. Das Buch trägt den Titel „Warum Europa eine Republik werden muss! Eine politische Utopie“ und ist 2016 im Bonner Verlag J.H.W. Dietz Nachf. erschienen. Als Guérots Fachkollege Markus Linden darin umfangreiche unausgewiesene Übernahmen aus Schriften Dritter entdeckte und in der F.A.Z. publik machte, sah sich die Universität getäuscht und kündigte ihrer wegen des Lebensalters nicht verbeamteten Professorin für Politik in Europa unter besonderer Berücksichtigung der Deutsch-Französischen Beziehungen. Das Arbeitsgericht Bonn hat die Kündigung mit Urteil vom 24. April 2024 bestätigt. In Köln wurde über Guérots Berufung verhandelt.
Ihr Rechtsanwalt Tobias Gall, ein Berliner Fachanwalt für Arbeitsrecht, der sich auf Bezirksebene für die AfD engagiert und gelegentlich auch als Internetpublizist hervortritt, hatte das librum delicti mitgebracht, um einen kuriosen Augenscheinbeweis zu führen: Selbst aus der Entfernung (von zwei bis drei Metern) zwischen der dreiköpfigen Kammer und den Parteivertretern sei mit bloßem Auge zu erkennen, dass es sich nicht um ein wissenschaftliches Werk handele. Bei dieser optischen Wahrheitsprobe bezog sich der Anwalt auf die farbenfrohe Gestaltung des Umschlags – offenbar hatte er es versäumt, sich zur Sicherheit vorher noch einmal in einer Universitätsbuchhandlung in der Abteilung für zeitdiagnostische Traktatliteratur umzusehen.
Ein sozialdemokratischer Traditionsverlag
Auch der Buchtitel dementiert in anwaltlicher Auslegung jede Erwartung wissenschaftlicher Mitteilungen und damit auch wissenschaftlicher Redlichkeit, und zwar schon durch die Zeichensetzung: In der Titulatur wissenschaftlicher Schriften sei ein Ausrufezeichen fehl am Platz. Das Rauchwölkchen über dem vermeintlich schmauchenden Revolver war in diesem gattungstheoretischen Kurzvortrag der Untertitel: „Politikwissenschaftler entwerfen keine Utopien!“ Hier hätten auch Professoren des Faches, das Gall studiert hat, mit allerweltsnotorischer Empirie widersprechen müssen: Sehr viele Politikwissenschaftler entwerfen gar nichts anderes als Utopien.
Gall musste darüber hinweggehen, dass Dietz ein Traditionsverlag für politikwissenschaftliche Literatur des sozialdemokratischen Spektrums ist, in dem sich Guérot 2016 noch bewegte. Für die Universität Bonn kommt es darauf an, dass Guérot das Buch zum Nachweis ihrer Qualifikation für die ausgeschriebene Stelle einer Professorin einreichte. Ihre Anwälte legten dar, dass sie mit diesem Prunkstück ihres Schriftenverzeichnisses, ihrer ersten monographischen Publikation seit der Doktorarbeit, gar nicht ihre wissenschaftliche Qualifikation habe belegen wollen, sondern ihre außerwissenschaftliche Resonanz. Gall verwies auf den Wortlaut von Guérots Angaben in den Bewerbungsunterlagen: Dort schrieb sie von der „populärwissenschaftlichen Sprache“ des Buches – und „populärwissenschaftlich“ sei bekanntlich das Gegenteil von „wissenschaftlich“.
Die paradoxe Lage, in der von Guérots Rechtsbeiständen eine besondere Tüchtigkeit verlangt wird, machte Galls ergänzende Worterläuterung mithilfe eines Vergleichs sinnfällig: Populärwissenschaftlich sei im Geistigen das, was im Politischen populistisch genannt werde. Hatte Guérot denn im Bewerbungsverfahren ausdrücklich eine diskursive Minderheitsposition bezogen, hatte sie – wenn man Gall angesichts seiner parteipolitischen Betätigung einen positiven Populismusbegriff unterstellt – eine elitenkritische Grundeinstellung zu herrschenden Lehrmeinungen markiert? Eigentlich wehrt sich Guérot, wie auch aus ihren eigenen Wortmeldungen in der Berufungsverhandlung hervorging, in diesem Verfahren ja gerade dagegen, in die Ecke der Belehrungsresistenz gestellt zu werden. Sie ist noch immer der Überzeugung, das Fach Politik in Europa unter besonderer Berücksichtigung der Deutsch-Französischen Beziehungen in seiner gesamten, nicht nur geographischen Breite vertreten zu können.
Das Gegenteil eines schmückenden Beiworts
Ihr zweiter Anwalt Rainer Thesen beschwerte sich darüber, dass sie wegen ihrer Entlassung aus dem Professorenamt als „umstritten“ gelte – was heute das Gegenteil eines schmückenden Beiworts sei, aber ein Adelsprädikat sein müsste, wenn der Geist der Zeit noch derselbe wäre wie zur Zeit der Göttinger Sieben. Dem anwesenden Kanzler der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität blieb der Hinweis erspart, dass dem Wortführer der in Göttingen vom König von Hannover Entlassenen, der Historiker Friedrich Christoph Dahlmann, im preußischen Bonn universitäres Asyl erhielt.
Als sich zwischen Gall und dem mindestens ebenso redegewandten Anwalt der Universität, Matthias Spirolke von der Bonner Kanzlei Hümmerich, zum Stichwort der Populärwissenschaft ein literaturtheoretischer Streit darüber entspann, ob ein Buch in erster Linie ein „Sprachwerk“ sei (Gall) oder es auch auf den Inhalt ankomme (Spirolke), schaltete sich der Kammervorsitzende mit einem dezenten Hinweis ein: Der Disput über die Semantik des Begriffs der Populärwissenschaft muss nicht entschieden werden, wenn triftig ist, was die Universität zur Syntax der zitierten Stelle aus den Bewerbungsdokumenten geltend macht.

Zum Republik-Manifest teilte die Bewerberin mit: „Das Buch wurde 2016 – zusammen mit meiner Publikationsliste (siehe eingereichtes Dossier) – trotz seiner populärwissenschaftlichen Sprache von der Donau-Universität Krems als eine einer Habilitation gleichwertige Leistung anerkannt.“ Guérot nannte das Buch an erster Stelle der von ihr eingereichten Schriften unter dem Rubrum „Habilitation“. Da die Habilitation, die Erlaubnis zur universitären Lehre, in Anerkennung wissenschaftlicher Leistungen erteilt wird, brachte die Autorin für das Buch einen wissenschaftlichen Anspruch in Anschlag, genauer gesagt den Charakter von Forschungsleistungen, wie sie in der Ausschreibung an erster Stelle des Wunschbewerberprofils gefordert wurden, dem sprachlichen Anschein eines lediglich populärwissenschaftlichen Produkts zum Trotz – diese Auffassung der Universität hat die erste Instanz übernommen.
Eine Vergleichsformel wird gesucht
Im arbeitsgerichtlichen Verfahren bemüht sich das Gericht um eine Streitbeilegung durch Einigung. Das versucht jetzt nach dem Arbeitsgericht auch das Landesarbeitsgericht. Die Kammer wird den Parteien den Vorschlag einer Vergleichsformel unterbreiten. Zu den Vertretern der Universität sagte der Vorsitzende, dass ein Vergleich die „Anerkennung“ der von Guérot als Professorin „konkret bei Ihnen geleisteten Arbeit“ aussprechen könnte, ohne dass die Universität ihren Rechtsstandpunkt aufgeben müsste. Soweit die Kammer mit den Worten des Vorsitzenden „das Interesse der Beklagten an Wahrung ihrer wissenschaftlichen Reputation“ berücksichtigen möchte, ist ein Kompromiss schwer denkbar, dem die Klägerin zustimmen könnte, die den Widerruf des Vorwurfs des Wissenschaftsbetrugs erreichen will – zur Wiederherstellung ihrer Reputation. Vorsichtshalber erkundigte sich Guérot beim Vorsitzenden, ob sie den Vergleichsvorschlag akzeptieren müsse.
Wie erklärt es Ulrike Guérot selbst, dass sie wegen ihres Republikbuchs den Ruf nach Bonn bekam, obwohl sie damit aus heutiger Sicht keinen Beitrag zur Wissenschaft geleistet haben möchte? Die F.A.Z., sagte sie in der Verhandlung, habe das Buch bei Erscheinen „besonders geistreich“ genannt – und damit als nichtwissenschaftlich im Sinne von originell charakterisiert. Ein Buch voller neuer Ideen – und „die Ideen sind alle meine“. In der Besprechung von Dominik Geppert in der F.A.Z. vom 3. November 2016 findet sich das Prädikat „geistreich“ nicht. Das Hineinschreiben von Erfundenem ist das Gegenstück zum kreativem Abschreiben; die tröstliche Falscherinnerung komplementiert den Gedächtnisverlust, der die freundliche Übernahme entschuldigen soll.
Eine Pointe ließ Guérot sich entgehen: Der F.A.Z.-Rezensent, der das Wesen ihres Buches angeblich so gut erkannt hatte, war zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Rezension Professor an der Universität Bonn. (2018 wechselte der Historiker Dominik Geppert auf einen Lehrstuhl an der Universität Potsdam. Anders als Guérot suggerierte, hatte Geppert ihr freilich nicht die Urheberschaft an allen Ideen des Buches bescheinigt. Neu waren sie nach seinem Urteil gerade nicht. „Zur Ausgestaltung ihrer Utopie bedient sich die Autorin ausgiebig in der europäischen Ideen- und Verfassungsgeschichte.“
Das war kein Plagiatsvorwurf – und auch noch kein Einwand. Geppert bestritt nicht, dass sich ein radikaler Gegenentwurf zum Zustand der politischen Institutionen mit wissenschaftlichen Argumenten ausarbeiten lässt. Sein politisches Urteil mit dem Maßstab des Realismus ließ allerdings Rückschlüsse auf das wissenschaftliche Niveau des Buches zu: „Wenn die europäische Geschichte eines lehrt, so ist es Skepsis gegenüber Großentwürfen vom intellektuellen Reißbrett, die kulturelle, wirtschaftliche, soziale und politische Unterschiede geschichtslos einebnen und in romantischem Überschwang namens einer verheißungsvollen Zukunft zu einer idealisierten Vergangenheit zurückkehren wollen.“ Als vier Jahre später die Bonner Berufungskommission das Buch zur Grundlage ihrer Entscheidung machte, dem Rektor die Berufung Guérots vorzuschlagen, ließ sie sich vom skeptischen Urteil des fachlich zuständigen vormaligen Kollegen nicht beirren.