In der evangelischen Kirche wächst Unmut über den deutschen Vorsitzenden des Weltkirchenrats, Heinrich Bedford-Strohm. Ein Grund ist der jüngste einstimmige Beschluss im Zentralausschuss, dem zweithöchsten Leitungsgremium, Israel wegen seiner Politik gegenüber den Palästinensern als Apartheidsystem zu bezeichnen. Das ruft Widerspruch hervor, auch gegen den früheren Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Bedford-Strohm.
Über die Lebenswirklichkeit der Palästinenser
Der Erste, der den Beschluss öffentlich kritisiert hat, ist der Antisemitismus-Experte Christian Staffa. Der Apartheidvorwurf sei einfach falsch, zitiert die „Jüdische Allgemeine“ den christlichen Vorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft Christen und Juden beim Deutschen Evangelischen Kirchentag. Im Staat Israel „gibt es keine Rassentrennung“. Es gebe sehr unterschiedliche Lebenswirklichkeiten von Palästinensern in der Region.
Der Landesbischof von Württemberg, Ernst-Wilhelm Gohl, wandte sich unterdessen als erster hoher Vertreter der Kirche offiziell gegen den Weltkirchenratsbeschluss unter Leitung von Bedford-Strohm. Mit der Behauptung, Israel sei ein Apartheidstaat, mache sich der Zentralausschuss einen „Kampfbegriff zu eigen, der sachlich falsch ist“. Er führe „in der aufgeheizten Debatte um den Weg zum Frieden nur zur weiteren Polarisierung“.
Zentralausschuss tagte in Südafrika
Der Zentralausschuss des Weltkirchenrats hatte auf seiner jüngsten Tagung im südafrikanischen Johannesburg gefordert, die „Realität der Apartheid beim Namen“ zu nennen. „Wir erkennen und verurteilen das System der Apartheid, das Israel dem palästinensischen Volk auferlegt und damit das Völkerrecht und das moralische Gewissen verletzt“, erklärte das zweithöchste Leitungsgremium.
Der erste Bruch des Völkerrechts ist auf jeden Fall der Terrorangriff der Hamas vom 7. Oktober 2023.
Christian Staffa, Antisemitismus-Experte
Der Apartheidvorwurf sei „nicht belegbar“, betonte Staffa, der auch Antisemitismus-Beauftragter der Evangelischen Kirche in Deutschland und Studienleiter an der Evangelischen Akademie in Berlin ist. Er nannte eine Reihe unterschiedlicher Beispiele: Viele Ärzte und Pflegekräfte in Israel seien Palästinenser. Dazu falle die Situation in der Westbank rechtlich nicht unter den Apartheidbegriff. Es handle sich um eine kritikwürdige Besatzung, nicht um Apartheid. Auch in Ramallah gebe es keine Rassentrennung, sondern eine palästinensische Autonomiebehörde. Die Situation in Gaza habe ebenfalls mit Apartheid nichts zu tun.
Im Widerspruch zur Vollversammlung
Ein weiterer Grund des Unmuts: Mit der aktuellen Stellungnahme widerspricht der Ausschuss dem Beschluss der Vollversammlung des „Ökumenischen Rates der Kirchen“ in Karlsruhe 2022, des höchsten Gremiums. Es sei institutionell nicht zu verstehen, „warum ein Zentralausschuss sich über das Votum einer Vollversammlung hinwegsetzen kann“, rügte Experte Staffa.
Hinzu kommt, dass die Erklärung zu dieser Frage ohne Kritik an der Hamas verfasst worden ist. „Der erste Bruch des Völkerrechts ist auf jeden Fall der Terrorangriff der Hamas vom 7. Oktober 2023”, sagte Staffa. Man könne die israelische Politik kritisieren, aber auch die Hamas verhindere, dass humanitäre Hilfe ins Land kommt.
Warnung vor Täter-Opfer-Umkehr
Staffa kritisierte außerdem die Aussage des Weltkirchenratsvorsitzenden Bedford-Strohm, dass Jüdinnen und Juden in aller Welt „wegen des Handelns der israelischen Regierung antisemitischen Angriffen ausgesetzt sind“. Gegen diesen Satz wendet sich Experte Staffa energisch. „Das ist ein Satz, den kann man nicht sprechen. Das ist Täter-Opfer-Umkehr.“ Diese Ansicht wird in der evangelischen Kirche geteilt, nur nicht so offen ausgesprochen.
Diaspora-Juden hätten sehr unterschiedliche Positionen zu Israel. Sie werden laut Staffa aber nicht als Israelis, sondern als Juden drangsaliert: „Und nicht, weil Netanjahu so böse ist, sondern weil es eben diese antisemitische Stimmung gibt.“
Der Ökumenische Rat umfasst rund 350 Mitgliedskirchen mit weltweit mehr als 580 Millionen Christen. Die katholische Kirche ist nicht Mitglied, arbeitet aber mit dem Weltkirchenrat zusammen.