Simon Kaiser ist Geschäftsführer der Agentur "Klein aber". Er berät Marken und Unternehmen zu ihrer Youtube-Strategie, Content und Vermarktung. Christian Lutterbeck ist Head of Sales bei Youtube DACH. heise online hat mit beiden darüber gesprochen, was es braucht, um auf Youtube erfolgreich zu sein, wie Unternehmen Youtube nutzen können und wie KI die Plattform verändern wird.
Youtube hat einen wahnsinnig hohen Anteil an der gesamten Bildschirmzeit der Menschen. Wie verteilt sich das, was schauen die Leute? Schauen sie professionelle Beiträge, Videos von Medien, Videos von privaten Personen?
Lutterbeck: Youtube ist in Deutschland so beliebt wie nie zuvor. Wir erreichen jeden Monat in Deutschland 56 Millionen Menschen. Das ist wirklich eine sehr hohe Zahl. Wir sind fest verankert in den Lebenssituationen der Menschen. Ein Grund dafür ist natürlich die Content-Diversität: Genau aufschlüsseln, woher welche Videos kommen, das können wir nicht. Jeden Tag werden 20 Millionen Videos hochgeladen.
Ein Teil davon sind in Deutschland Medieninhalte, aber wir haben natürlich auch eine Menge Inhalte von großen Creatorn. Und dann gibt es auch Leute wie mich: Ich selbst war gerade mit meinem sechsjährigen Sohn im Urlaub und er liebt Wasserrutschen. Davon haben wir Videos gemacht und die hochgeladen – und ich würde mich definitiv nicht als Creator bezeichnen.
Christian Lutterbeck
(Bild: Youtube)
Kaiser: In der Regel startet ein Youtube-Creator mit einer Passion für ein Thema. Youtube ist eine Plattform, die es erlaubt, mit Videoinhalten perspektivisch Geld zu verdienen. Es ist ein fließender Übergang von einem rein privaten Auftritt hin zum Geldverdienen mit dem Youtube-Partnerprogramm. Ich versorge beispielsweise meine 4000 Abonnent*innen mit Content zum Thema Lego und Dungeons & Dragons. Auch wenn ich kein klassischer Fulltime Creator bin – dafür fehlt mir tatsächlich die Zeit – verdiene ich mit diesen Videos etwas Geld.
Grundsätzlich gibt es auf Youtube alles Mögliche an Content. Ein beträchtlicher Anteil ist Creator-Content, der inzwischen oft stark professionalisiert ist. Wenn man sich alte Videos, wie das allererste auf Youtube hochgeladene Video "Me in the Zoo" anschaut, dann sieht man, dass das Video das Werk eines Amateurs ist. Da hat sich einfach sehr viel über die Jahre getan.
Gibt es auch Leute, die da einfach von vornherein auf einem höheren Niveau einsteigen?
Kaiser: Klar. Auf jede Frage bei YouTube bekommt man eine Antwort. Und sei sie noch so nischig – es gibt einfach alles. Doch nicht jedes Video ist gleichermaßen professionell, nicht jeder Creator hat vorher bereits Erfahrung vor der Kamera sammeln können. So hat beispielsweise jemand, der bei Germany's Next Topmodel mitmacht, andere Ausgangsbedingungen. Oder wenn man einen Freund oder eine Freundin hat, die bereits Creator ist und Wissen teilt, kann das ebenfalls hilfreich sein. Auch Menschen, die bereits eine hohe Bekanntheit mitbringen, wie Medienunternehmer Kai Pflaume, starten bei Youtube schnell durch.
Lutterbeck: Steffen Henssler ist auch so ein Paradebeispiel. Der lädt pro Woche drei, vier Videos hoch und erreicht 600.000 Abonnent*innen. Das ist eine wahnsinnige Frequenz, zusätzlich zu seinen Auftritten im TV. Das ist wirklich ein Vorzeige-Verhalten eines Creators, auch vor dem Hinblick, dass Steffen Henssler seine Community auf Youtube bespielen muss.
Wie weit spielt der Algorithmus eine Rolle, wer Erfolg hat, wer nicht?
Kaiser: Ganz wichtig ist es, zu verstehen, dass man den Algorithmus nicht ‘austricksen’ oder aktiv steuern kann. Bei Youtube ist die qualitative Zeit, die man auf der Plattform verbringt, das Ziel – zuständig dafür ist Machine Learning. Grundsätzlich ist Youtube eine sehr neutrale Plattform und greift nicht aktiv ins ‘Geschehen’ ein.
Simon Kaiser
(Bild: Kaiser)
Lutterbeck: Dass die Watchtime wichtig ist, ist kein Geheimnis. Der Algorithmus versucht immer relevante und ansprechende Inhalte zu präsentieren, die den jeweiligen Abonnent*innen-Interessen entsprechen und dazu ermutigen, mehr zu entdecken. Grundsätzlich kann man sagen: Der Algorithmus lernt ständig aus dem Sehverhalten und optimiert sich, um ein personalisiertes und bereicherndes Erlebnis zu bieten.
Nehmen wir an, ich lade Videos hoch, die laufen gut, wann gehe ich denn zu einer Agentur?
Kaiser: Erstmal brauchst du gar keine Hilfe, zumindest nicht als Privatperson. Unternehmen hingegen haben einen ganz anderen Bedarf zu skalieren und in der Regel auch nicht die Möglichkeit, inhouse alles Wissen über Youtube selbst aufzubauen.
Aber du als Creator startest ja in deiner Nische, du hast die größte Expertise, was dein Thema angeht. Da kann dir gar keine Agentur helfen. Was viele Creator als Erstes machen, ist, Mitarbeiter*innen zu suchen, die beim Videodreh unterstützen, oder sie bei Verhandlungen mit Marken entlasten, wenn es um konkrete Partnerschaften mit Unternehmen geht.
Und wie ist es bei einem Unternehmen?
Kaiser: Unternehmen sind da sehr unterschiedlich aufgestellt. Es gibt bei großen Konzernen ganze Abteilungen fürs Marketing und vielleicht auch jemanden, der sich konkret um Videocontent oder Youtube kümmert. Unternehmen bzw. Marken haben Vor- und Nachteile einem Creator gegenüber.
Vorteile sind: Marken haben Geld, sie können die ganze Youtube-Klaviatur anders spielen. Sie können Anzeigen schalten, eine sehr performante Traffic-Quelle. Außerdem haben Marken Trust – was in Zeiten von KI übrigens immer wichtiger wird –, den Einzelpersonen erstmal nicht haben.
Wiederum Nachteile können sein, dass sich Nutzer*innen keinen Content von einer Marke anschauen wollen, entweder aus Sorge vor versteckter Werbung oder noch simpler: Ihnen gefällt der Content nicht, weil zu langweilig.
Lutterbeck: Der Klassiker ist, dass verschiedene Unternehmensbereiche ihre Inhalte auf Youtube sichtbar machen wollen, aber es am Ende an Struktur und Strategie fehlt. Alles hat seine Daseinsberechtigung bei Youtube, aber das ist trotzdem nicht optimal. Deshalb kann es von Vorteil sein, wenn man als Unternehmen keine eigene Social-Media-Unit hat und sich Hilfe von Außen holt, egal ob eine Agentur oder von Creatorn. Es gibt viele Unternehmen, die Creator*innen auch hinter der Kamera als Berater*innen für ihre Bewegtbildstrategie nutzen.
Kaiser: Creator*innen verstehen oft einfach das Medium sehr gut: Youtube funktioniert ja ganz anders als lineares Fernsehen etwa. Darauf sind aber beispielsweise Ausbildungsberufe noch ausgelegt: Wenn man Mediengestalter lernt oder Film- und Fernsehwissenschaft studiert, lernt man noch die Drei-Punkt-Ausleuchtung, das ist klassisches Leuchten fürs Fernsehen. Aber bei Youtube würde jeder denken, das ist ja cringe. Das macht man einfach nicht. Creator*innen wissen zumeist viel besser, was bei YouTube funktioniert: Bei Youtube nutzt man zum Beispiel eine Lichtquelle von vorne, wie ein Nordfenster. Meist sitzen die Leute vorm Fenster, damit es hell genug ist. Und das ist der Look, den wir auch für Firmen emulieren wollen.
Woher hat man als Agentur diese Expertise? Habt ihr Mitarbeiter, die den ganzen Tag Youtube schauen?
Kaiser: Ja. (lacht). Nein, wenn wir den ganzen Tag nur Youtube schauen würden, könnten wir ja nichts mehr schaffen. Aber wenn ich ein Unternehmen wäre, das auf Youtube erfolgreich seine Zielgruppe ansprechen möchte, würde ich empfehlen, intensiv Youtube-Videos zu schauen – und zwar außerhalb der eigenen Bubble. Am besten legt man zunächst einen neuen Account an und wählt Content aus, der relevant für das Unternehmen ist und prüft, wie die Zielgruppe mit diesem Content interagiert.
Wir versuchen als Agentur, genau das bei uns abzubilden. Dafür haben wir eine Software entwickelt, die jedes Youtube-Video, das in Deutschland veröffentlicht wird, kategorisiert und clustert. Darüber können wir skaliert Trends erkennen. Ich kann also beispielsweise ein Thema aufgreifen, nehmen wir DIY und Interior Design, und dann kann ich dir sagen, dass aktuell minimalistische und platzsparende Ideen in den Youtube Shorts relevant sind. Auch ganz spannend: Es gab zuletzt animierte oder gezeichnete Videos dazu.
Youtube selbst bietet auch eine Menge an Informationen; es gibt einen Channel speziell für Creator*innen und die YouTube Analytics verraten viele Insights über die eigenen Videos.
Lutterbeck: YouTube Analytics wird tatsächlich von den wenigsten Unternehmen intensiv genutzt, weil es Ressourcen benötigt, um die wichtigsten Video-KPIs zu analysieren und daraus Schlüsse zu ziehen. Man kann wirklich jedes Video von vorne bis hinten analysieren; wann jemand weggeklickt hat, was jemand gut fand, was offenbar nicht. Für eine erfolgreiche Youtube-Strategie bedarf es Commitment im Unternehmen.