Am Morgen ist Nina Warken noch auf sich gestellt. Die neue Gesundheitsministerin (CDU) ist zu Gast im Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestages. Die Parlamentarier haben Fragen, viele Fragen. Später muss sie auch noch im Haushaltsausschuss Rede und Antwort stehen, genau wie Ex-Gesundheitsminister und Unionsfraktionschef Jens Spahn, danach steht eine Aktuelle Stunde im Plenum an. Es geht um die Maskenbeschaffung in der Coronapandemie, quasi den ganzen Tag.
Die Sitzung des Gesundheitsausschusses ist nicht-öffentlich, aber am Ende sickert doch durch, was in Saal E300 des Paul-Löbe-Hauses gesprochen wurde. Für sie persönlich blieben nach der Lektüre des Berichts der Sonderermittlerin Margaretha Sudhof (SPD) zur Maskenbeschaffung viele Fragen offen, soll Warken gesagt haben. Einige Darstellungen seien für sie nicht nachvollziehbar, auch weil sie nicht wisse, auf welche Quellen sich Sudhof beziehe. Am Tag zuvor hatte sie den Bericht trotz anfänglicher Bedenken den Parlamentariern zugänglich gemacht, einige Seiten geschwärzt. Ihr gehe es nun weniger darum, zurückzublicken, sondern die richtigen Schlüsse zu ziehen für die Zukunft. „Der Erkenntnisgewinn war relativ“, sagt ein Gesundheitspolitiker im Anschluss. „Den Rest muss jetzt der Haushaltsausschuss machen.“
Linken-Politiker wirft Warken und Spahn „Vertuschungsmodus“ vor
Kurz bevor der um 14 Uhr zusammenkommt, stellt sich Dietmar Bartsch noch einmal vor die Kameras. Die Befragung im Haushaltsausschuss sei „eine Chance“ für Warken und Spahn, sagt der Linken-Haushälter. Er hoffe, „dass sie nicht weiter im Vertuschungsmodus sind“. Vor allem Warken müsse jetzt Transparenz herstellen und dürfe nicht den Eindruck erwecken, ihren Parteifreund zu schützen. „Sie schadet damit am Ende des Tages sogar Jens Spahn.“
Der erscheint zwar irgendwann vor dem Saal, in dem der Haushaltsausschuss tagt, verschwindet aber sofort wieder in einem Nebenraum. Warken und Spahn sollen nacheinander befragt werden, aber die Runde mit der Gesundheitsministerin zieht sich. Dabei drängt die Zeit: Für 15.25 Uhr ist eine Aktuelle Stunde zum Thema Maskenbeschaffung angesetzt, Spahn muss dann im Plenum sitzen. Um 15.13 Uhr betritt Spahn schließlich den Saal, ein Dutzend Kameras filmen ihn dabei. Zehn Minuten später verlässt er ihn schon wieder. Die Befragung soll nach der Aktuellen Stunde fortgesetzt werden.
Warken hingegen bleibt mehr als eine Stunde lang. Auch diese Sitzung findet unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, aber auch hier sickert durch, was die Gesundheitsministerin aussagt. Mehrere Haushälter sollen ihr demnach vorgeworfen haben, die Sonderermittlerin zu diskreditieren. Warken soll das vehement zurückgewiesen und gesagt haben, sie persönlich sei auch nicht der Auffassung, Sudhofs Bericht sei parteipolitisch motiviert; ihre Fraktion sieht das anders.
Sie selbst finde den Bericht vor allem „in der Methodik schlecht“, sagt Warken, als sie wenig später vor die Presse tritt. Es fehlten diverse Bezugnahmen auf Dokumente, die eigentliche Fragestellung sei „so auch nicht abgearbeitet“ worden. Ihr persönlich sei es wichtig gewesen, dem Haushaltsausschuss ihre Sicht auf die Dinge erklären zu können, „damit haben wir größtmögliche Transparenz geschaffen“. Sie habe jetzt eine Projektgruppe im Gesundheitsministerium (BMG) eingerichtet, die weitere Schlüsse aus den damaligen Vorgängen ziehen solle. Fakt sei jedoch auch: Das Ministerium sei nicht dazu da, Dinge zu beschaffen, sondern Gesetze zu machen, es sei schließlich „kein Logistikunternehmen“.
Beamte wurden von Spahns Entscheidungen überrollt
Sudhof hatte zuvor in ihrem Bericht konstatiert, Spahn habe bei der Beschaffung von Schutzausrüstung eigenmächtig und „nachweislich gegen den Rat seiner Fachabteilungen“ gehandelt. So hält die Sonderermittlerin etwa fest, er habe einen Abteilungsleiter Anfang März 2020 „über seine Wochenend-Aktivitäten und seinen Entschluss“ informiert, „dass das BMG jetzt selbst operativ beschaffen solle“. Das Innen- und das Verteidigungsministerium, die zu diesem Zeitpunkt die Logistik koordinierten, hätten dies viel später erfahren.
Dem Bericht zufolge habe die betroffene Abteilung noch versucht, sich gegen Spahns Entschluss zu wehren: Sie „lehnt dies grundsätzlich ab, aus Ermangelung von Erfahrung und geeignetem Personal“, heißt es darin. Allerdings erfolglos. Letztlich habe Spahn mit seiner Entscheidung „ineffiziente und zum Teil auch ineffektive Maßnahmen in Gang gesetzt, die Mittel im Umfang von über 11 Mrd. EUR vertraglich gebunden haben“, schreibt Sudhof.
Der Bericht liest sich so, als habe Spahn damals mit Aufträgen nur so um sich geworfen. Darunter fielen direkte Aufträge an Firmen und das umstrittene Open-House-Verfahren, mit dem das BMG versprach, bis Ende April 2020 alle Masken aufzukaufen, die zum Preis von 4,50 Euro angeboten wurden. Damit habe das BMG „bereits mit den Direktbeschaffungen die im Covid19-Krisenstab festgelegten Mindestbedarfsmengen um ein Vielfaches übertroffen“, heißt es im Bericht. Spahn jedoch sei nicht zu bremsen gewesen. „Spätestens mit den massiven Liefermengenzuläufen Ende März 2020“ hätte die Grundlage für weitere Dringlichkeitsbeschaffungen „hinterfragt werden können oder sogar müssen“, schreibt Sudhof. Das sei nicht geschehen. Sie konstatiert: „Der Minister musste wissen, dass die Beschaffungsbehörden in kürzester Zelt schon ziemlich weit gekommen waren – trotz aller Ihnen möglicherweise entgegengebrachten Skepsis.“
Das BMG hatte immer wieder behauptet, Spahn habe die Maskenbeschaffung erst „nach politischer Vorklärung mit dem Bundesfinanzministerium“ an sich gezogen. Doch Sudhof schreibt, dass Spahns Mitarbeiter von seiner Entscheidung, „selbst und unmittelbar in die Beschaffung einzusteigen, überrascht“ worden seien. Manche Mitarbeiter seien von den Maßnahmen des Ministers derart überfahren worden, dass sie flehende Mails an andere Beamte schrieben: „Ich brauche jetzt dringend Ihre Hilfe: Kontakt zum Zoll und Unterstützung bei einem Open-House-Verfahren, das wir heute beginnen. Bitte!“
Maskenhändler klagen gegen den Bund
Viele Maskenhändler klagen mittlerweile gegen den Bund, weil der im Frühjahr 2020 kurzfristig die Abnahme weiterer Masken verweigerte; im Raum stehen 2,3 Milliarden Euro Streitwert. Hinzu kommen laut dem Sudhof-Bericht weitere 1,37 Milliarden Euro an Verzugszinsen, sodass die Maskengeschäfte die Steuerzahler am Ende knapp 3,7 Milliarden Euro kosten könnten.
Die Summe ist auch deshalb so hoch, weil Spahn den Lieferanten pro Maske 4,50 Euro zusicherte – ein Preis, den schon damals viele Experten für zu hoch hielten. Dass das in Kombination mit dem Open-House-Verfahren ein erhebliches Risiko für den Fiskus bedeuten könnte, hätte Spahn laut Sudhof ebenfalls wissen müssen. Ein Abteilungsleiter soll den Minister laut Bericht in einer Vorlage darauf hingewiesen haben, dass „nicht absehbar ist, zu wie vielen Vertragsabschlüssen es kommen wird, und daher auch nicht, wie viele Haushaltsmittel benötigt werden“. Spahn zeichnete die Vorlage ab.