Im Ventil Verlag, einem erstaunlichen Unternehmen der Buchbranche, das immer wieder durch seine Programmgestaltung zu überraschen und erfreuen weiß, gibt es seit einigen Jahren zumindest eine verlässliche Konstante: die „Songcomics“. Diese Idee von Jonas Engelmann und Gunther Buskies besteht darin, dass sie Zeichner dazu einladen, einzelne Lieder einer bekannten Popmusik-Platte in Comics umzusetzen, unter Beibehaltung der kompletten Texte – und somit dann das betreffende Album gewissermaßen sichtbar zu machen. Dabei beschränkt sich die Auswahl auf deutsche Bands; bislang kamen Ton Steine Scherben, Tocotronic, Fehlfarben, Stereo Total, The Go-Betweens und Schleimkeim zu Ehren. Und jetzt ist Trio dran.
Das Gesamtschaffen dieser Band ist nicht eben riesig, ihr Erfolg war es umso mehr. Mit „Da Da Da ich lieb dich nicht du liebst mich nicht aha aha aha“ fand sich auf dem Debütalbum von 1981 ein Superhit der Neuen Deutschen Welle, der aber auch international Beachtung fand. Aber ein Jahr danach sagten die drei Musiker aus der oldenburgischen Ortschaft Großenkneten mit der Platte „Bye Bye“ faktisch auch schon wieder good bye, denn „What’s the Password“ war 1985 nur ein müder Abgesang. Das ist lange her.
Zeichnerprominenz für Trio
Entsprechend haben manche der zehn für „Ab dafür“ (wie dieses Trio gewidmete Songcomics-Album nach einer Formulierung aus ihrem Lied „Sabine, Sabine, Sabine“ betitelt ist) eingeworbenen Zeichner durch ihr vergleichsweise jugendliches Alter oder ihre ostdeutsche Sozialisation umfassendere Kontakte mit der Musik von Trio erst durch eben diese Anfrage gemacht. So etwa Sandra Rummler, die wie mutmaßlich alle Menschen „Da Da da“ kannte, aber sonst nichts, sich jetzt aber als Fan bezeichnet und für den Band „Out in the Streets“ illustriert hat. Und das ist dann auch ein Höhepunkt, denn die Großstadtnachtszenen, die Rummler eher andeutet als ausführt, sind so weit von Trio-Welt entfernt, wie man es sich vorstellen kann. Ost-Berlin meets Großenkneten.
Es gibt reichlich Prominenz unter den Beiträgern. Nicolas Mahler hat „Kummer“ in Bilder gesetzt („Eine innere Stimme sagte mir: Diesen Song kannst du schaffen“) und Nadine Redlich „Danger Is“ (mit einer umwerfenden Elefantenfigur, wie auch immer sie darauf gekommen sein mag). Mawil hat in Zusammenarbeit mit Gregor Hinz „Anna – lassmichrein lassmichraus“ so textgetreu adaptiert, dass man angesichts des spartanischen Text-Ausgangsmaterials nur staunen kann, und Jul Gordon hast für „Bye Bye“ die wohl triogemäßeste Optik gefunden: schwarzweiß reduziert. Das hätte man sich vor vierzig Jahren auch gut als Beilage zu den LPs denken können.
Auf dem Cover wiederum ist die subversive Süße der Graphik von Klaus Cornfield zum Zuge gekommen, der sich „Broken Hearts for You and Me“ angenommen hat und daraus so etwas wie eine Bandgeschichte macht, inklusive der lustvollen wortlosen Bebilderung des zum Lied gehörigen Gitarrensolos. Cornfield, ein Veteran des deutsche Independent-Comics und selbst auch als Musiker aktiv, war zu Trios Zeiten schon erwachsen – und Fan! Das merkt man seiner mit kindlicher Freude ausgeführten Hommage an.
Nicht mehr ganz so neue deutsche Comicwelle
Musikcomics sind eine nicht mehr ganz so neue deutsche Comicwelle, seit Reinhard Kleist vor achtzehn Jahren seinen internationalen Biographie-Bestseller „Cash – I See a Darkness“ herausgebracht hat. Von Kleist gibt es auch etwas Neues auf diesem Feld, aber damit warte ich bis zur nächsten Woche, denn er hat einen anderen Anspruch und auch ein anderes Konzept als die Songcomics von Ventil. Ähnlicher, aber an entscheidender Stelle doch anders ist dagegen ein von Anke Kuhl und Moni Port, zwei aus der Frankfurter Ateliergemeinschaft Labor (die gerade ihren fünfundzwanzigsten Geburtstag gefeiert hat) hervorgegangenen Meisterzeichnerinnen, zusammengetragener Band, der bei Reprodukt erschienen ist und „Comics zu Musik“ versammelt. Sein bizarrer Titel: „Mukkekukke“.
Man ahnt schon: Er richtet sich an Kinder. Siebzehn Zeichner sind vertreten (die beiden Herausgeberinnen sogar jeweils doppelt), und die Klammer besteht hier nicht aus einer Band, sondern aus den individuellen Musikvorlieben der Beteiligten – sie waren frei, Lieblingslieder auszuwählen. Manchmal auch nur bloße Lieblingsmelodien wie im Falle von Ole Könnecke, der sich Henry Mancinis „Baby Elephant Walk“ annahm (da weiß man sofort, wo der Elefant herkommt, aber die gezeichnete Geschichte ist trotzdem vielfach überraschend), oder bei Rossinis Katzenduett, das Axel Scheffler animiert hat (in beiderlei Verständnis der Formulierung).
Solche Namen deuten bereits an, dass hier weniger Comiczeichner zum Zuge kamen als Bilderbuchkünstler – die Kontakte der Laboranten in die Illustratorenszene sind einfach besser. Mawil immerhin ist auch hier mit dabei (ebenfalls wortlos zu Dmitri Kabalewskis „Der Reiter“ – ostdeutsche Kindheit verpflichtet!). Ferdinand Lutz und die englische Comiczeichnerin Tor Freeman sind noch vertreten, aber das war’s dann auch schon aus diesem Metier, wenn man von Grenzgängerinnen wie Nadia Budde oder Anke Kuhl selbst absieht. Aber umso schöner, dass gewohnheitsmäßige Illustratoren sich derart comicbegierig zeigen.
Was hier verbindet, ist die Qualität
Jörg Mühle etwa kommt in „Ein Elefant für dich“ nach dem gleichnamigen Lied von Wir sind Helden an Nadine Redlichs Elefanten-Geniestreich im Trio-Songcomic-Buch heran, und was Jutta Bauer zum „Abendlied“ von Blumfeld veranstaltet, ist herzerwärmend. Aber was dem Band fehlt, ist inhaltliche Schlüssigkeit – das Ganze wirkt wie eine der früher üblichen Hitsammlungen auf Tonträger, deren Bestandteile außer ihrem Erfolg nichts gemein hatten. Hier ist das Tertium Comparationis zumindest jedoch graphische Qualität.
Und eine sehr gute konzeptuelle Idee gibt es auch: Im Anhang zur Comicsammlung finden sich drei QR-Codes, die auf unterschiedlichen Streaming-Plattformen das Abspielen aller enthaltenen Lieder ermöglichen. Nun treibt man diesen kommerziellen Anbietern damit zwar die junge Leserschaft des Buchs in die Finger, aber es ist schon schön, das, was man da sieht, dazu auch hören zu können. Denn dabei zeigt sich im Vergleich mit der Ausgangsmusik bisweilen erst die Sorgfalt der Adaption in Fragen von Rhythmik der Bilder oder einigen erzählerischen Volten. Ob dadurch allerdings womöglich die Musikauswahlfreiheit beeinträchtigt war? Will man eigentlich gar nicht wissen. Der Spaß der Beteiligten ist sichtbar. Und eben sogar hörbar.