Comic-Kolumne: Taiyo Matsumotos „Tokyo dieser Tage“ wandelt zwischen Ost und West

vor 12 Stunden 2

Bisweilen plagt mich das schlechte Gewissen, in dieser Kolumne Japan nicht gerecht zu werden, aber wer könnte der Manga-Vielfalt als Einzelner gerecht werden? Wobei diese Vielfalt auch für mit europäischen Comics sozialisierte Menschen wie mich mehr als genug bereithält. Wenn es früher nur die westlich beeinflussten Manga des ersichtlichen Moebius-Bewunderers Jiro Taniguchis in deutschen Verlagsprogrammen gab, kann man heute solche Perlen wie die hier schon gewürdigte „Asadora!“-Reihe oder „Hatschi“ (jeweils von Naoki Urasawa) finden, „Der Mann meines Bruders“ von Gengoroh Tagame, „Sonne und Mond“ von Kwan Gaya, „Teufelsfisch“ von Susumu Katsumata oder „Am Anfang ist ein Strich“ von Fumiko Takano. Alles Grenzgänger zwischen Orient und Okzident.

Dazu gehören auch in einer Zahl, die fast schon den deutschen Taniguchi-Übersetzungen Konkurrenz macht, die Geschichten von Taiyo Matsumoto. Der ist dank seines Stilmix aus Manga und westlicher Tradition sogar schon in der Comicreihe des Louvre gelandet: mit „Die Katzen des Louvre“. Und bei Reprodukt gibt es nicht nur diesen Band auf Deutsch, sondern auch die Einzelpublikationen „Blue Spring“ oder das höchst originelle „GoGo Monster“ und den dreiteiligen Zyklus „Ping Pong“. Bei Carlsen wiederum ist die wunderbare sechsbändige Serie „Sunny“ erschienen – ein für Matsumoto im Gegensatz zu den meisten japanischen Mangaka schon umfangreiches Projekt. Und nun erscheint wiederum bei Reprodukt auch das bislang Beste von ihm: „Tokyo dieser Tage“. Drei Bände, immerhin.

Die Comic-Kolumne von Andreas PlatthausDie Comic-Kolumne von Andreas PlatthausF.A.Z.

Der erste ist auf Deutsch schon da, und der zweite steht im Spätsommer an. Auf Französisch aber kann man schon alle lesen, und manchmal fragt man sich, was deutsche Verlage so langsam macht. Dabei ist „Tokyo dieser Tage“ nach dem Muster anderer hierzulande beliebter Autoren-Manga gearbeitet: Thema der Trilogie ist das Manga-Geschäft selbst – immer interessant für Leser dieser Erzählform, die sich auch für deren nicht selten aus unserer Sicht unvorstellbar harte Produktionsbedingungen interessieren. Darüber gibt es bereits Shigeru Mizukis autobiographische Erzählungen, die zwanzigbändige Serie „Bakuman“ von Takeshi Obata und Tsugumi Ohba und ganz besonders grandios „Gegen den Strom“ von Yoshihiro Tatsumi. Dazu viel Dutzendware übers Mangazeichnen, die eher den Charakter von Handbüchern für Novizen aufweist.

Dem Wirrwarr Tokios wird dieser Band gerecht

In „Tokyo dieser Tage“ hat Matsumoto seine Erfahrungen mit den jüngeren Entwicklungen im japanischen Manga-Verlagswesen zum Thema gemacht. Der Redakteur Kazuo Shiozawa, Protagonist der Geschichte, gibt seine Stelle auf, nachdem ein von ihm vor langer Zeit etabliertes Magazin mangels Erfolg eingestellt worden ist. Mit ihm aber verlieren die zahlreichen Mangaka, die für das Magazin gezeichnet haben und dadurch bekannt wurden, ihre wichtigste Ansprechperson im Verlag, und deshalb sieht sich Shiozawa immer wieder mit Anliegen seiner früheren Autoren konfrontiert. Deren Sonderbarkeiten kennt er schließlich wie kein Zweiter. Die junge Nachfolgerin tappt bei der Autorenbetreuung oft ins Fettnäpfchen.

 Kazuo ShiozawaDer Protagonist: Kazuo Shiozawa2025 Taiyo Matsumoto/Shogakukan

Neben diesem Business-Porträt ist – der Titel lässt es vermuten – die Metropole Tokio ein Hauptthema der drei Bände. Wie Matsumoto deren Stadtbild in seine Geschichte integriert, erinnert an Taniguchis legendären „Spazierenden Mann“, nur dass sein Nachfolger einen weniger ligne-claire-artigen Tuschestrich pflegt, der aber gerade in den Totalen dem Wirrwarr des Städtebaus Tokios gerecht wird, weil er genauso unaufgeräumt und spontan wirkt wie die Megalopolis. Dabei sind die Figuren sogar ungleich realistischer gezeichnet als sonst in Manga üblich – das westliche Auge wird sich hier zu Hause fühlen, und das bei dem exotischen Schauplatz.

Kennt Matsumoto den „Struwwelpeter“?

Höchst amüsant, wie die Handvoll Magaka ihre handwerklichen und privaten Idiosynkrasien pflegen. Im ersten Band wird ein Konflikt nach dem anderen aufgebaut, und es ist gewiss nicht zu viel verraten, dass sich im Laufe der beiden folgenden Teile aus den kombinierten Empfindlichkeiten gerade eine Schlagkraft des klassischen Manga ergeben wird, die noch einmal über die moderne Markterwartung zu triumphieren scheint. Und die Szene mit einem Regenschirm – der auf den ersten Farbseiten von Band 1 (wie oft üblich wurde beim Vorabdruck der einzelnen Kapitel in Manga-Magazinen das sonst übliche Schwarz-Weiß zur Etablierung einer Serie mit ein paar kolorierten Seiten eingeleitet, um die Aufmerksamkeit des Publikums zu erregen) im Sturm davonfliegt, als hätte Matsumoto Heinrich Hoffmanns „Struwwelpeter“-Buch gelesen – wird sich am Ende der Trilogie noch einmal wiederholen, aber sonst hat sich gegenüber dem traurigen Beginn alles verändert. Hier wird das hohe Lied des Handwerks und der Phantasie gesungen.

 Einer der Mangaka pflegt eine ungewöhnliche Ruhestellung.Originelles Völkchen, diese Zeichner: Einer der Mangaka pflegt eine ungewöhnliche Ruhestellung.2025 Taiyo Matsumoto/Shogakukan

Frauen spielen unter den Mangaka und Redakteuren in „Tokyo dieser Tage“ eine weitaus wichtigere Rolle als in den thematisch ähnlich angelegten genannten Bänden, die aber eben nicht die Gegenwart (eben „dieser Tage“) des Geschäfts in den Blick nehmen. Und besonders reizvoll ist das gelegentliche Nebeneinander von realer Erzählebene (die Mangaka) und Fiktionalem (ihre gezeichneten Geschichten). Letztere sind in klassischem Manga-Look gestaltet, Erstere könnten auch von jemandem wie dem Wiener Comicautor Franz Suess oder seiner Zürcher Kollegin Simone F. Baumann stammen. Wovon Matsumoto berichtet, dem Wandel der ganzen Wahrnehmung von Manga in Japan, das führt er subtil auf dem grafischen Feld selbst vor.

Ist das nun nur etwas für Geeks? Keinesfalls, dafür wird hier zu sehr Menschlich-Allzumenschliches verhandelt. Nur eben vor dem Hintergrund des Geschäftsbereichs Manga. Der nolens volens wiederum für die globale Entwicklung in Sachen Comic-Herstellung und -Vertrieb stehen kann. Nur dass Japan wie üblich schon ein paar Schritte weiter zu sein scheint.

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