Bundesverfassungsgericht: Karlsruhe verteidigt die Kirchen

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Das kirchliche Arbeitsrecht ist schon seit Langem ein schwieriges Feld geworden, einfach deshalb, weil dort zwei Sphären der Freiheit aufeinanderprallen. Einerseits möchte sich im liberalen Staat niemand vorschreiben lassen, nur wegen eines Jobs in die Kirche einzutreten. Andererseits reklamieren die Kirchen, dass sie ihre Botschaft nicht glaubwürdig verkünden können, wenn sie ihr Personal nicht unter den Gläubigen aussuchen dürfen. Freiheit steht gegen Freiheit, wenn man so will.

Nun hat das Bundesverfassungsgericht dazu eine seit Langem erwartete Grundsatzentscheidung getroffen. Der Richterspruch hängt das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen hoch, sehr hoch; im konkreten Fall hat es der Verfassungsbeschwerde der Diakonie stattgegeben, die eine Stelle nur für Kirchenangehörige ausgeschrieben hatte. Aber welche Anforderungen die Kirchen für ihre Jobs formulieren dürfen, ist dem Zugriff der weltlichen Justiz keineswegs entzogen, im Gegenteil. Die Gerichte dürfen kontrollieren, ob es die Kirchen mit ihren Anforderungen an eine Kirchenzugehörigkeit von Stellenbewerbern überzogen haben.

Beide Kirchen begrüßen die Entscheidung

Ausgangspunkt des schon viele Jahre alten Rechtsstreits war die Klage der Sozialpädagogin Vera Egenberger. Sie hatte sich um eine Stelle als Referentin beim Evangelischen Werk für Diakonie und Entwicklung beworben. Sie hätte dort Berichte zur Umsetzung der UN-Antirassismuskonvention verfassen sollen. Ein Job also, der Positionen der Diakonie Deutschland zu Menschenrechtsthemen auch nach außen sichtbar machen sollte. Weil sie nicht der Kirche angehörte, wurde sie nicht eingeladen – und zog von Gericht zu Gericht. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) sprach sich dafür aus, Jobprofile der Kirchen auf Diskriminierung zu prüfen. Und das Bundesarbeitsgericht sprach ihr eine Entschädigung zu.

Dieses Urteil des Bundesarbeitsgerichts hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts jetzt aufgehoben, weil es das religiöse Selbstbestimmungsrecht der Diakonie verletze. Von beiden Kirchen war nach dem Karlsruher Beschluss ein deutlich vernehmbares Aufatmen zu hören. Sie begrüßen die Karlsruher Entscheidung.

Was das Verfahren so kompliziert machte, waren die entgegengesetzten Ausgangspunkte der beteiligten Gerichtshöfe. Als 2014 über die Kündigung des Chefarztes verhandelt wurde, dem in einem katholischen Krankenhaus gekündigt wurde, weil er erneut heiratete, hatte das Bundesverfassungsgericht für eine sehr zurückgenommene Kontrolle kirchlicher Entscheidungen über ihre Arbeitsverhältnisse votiert. Sie sollten nur aus „Plausibilität“ geprüft werden, ansonsten hatte das kirchliche Selbstbestimmungsrecht Vorfahrt. Der EuGH hingegen schlug einen deutlich weltlicheren Kurs ein. Ob etwa eine Kirchenzugehörigkeit für eine Stelle wirklich notwendig sei, dürfe von den Gerichten sehr wohl überprüft werden.

Das religiöse Selbstbestimmungsrecht geht auf die Weimarer Verfassung zurück

Die erste Hürde, die Karlsruhe zu nehmen hatte, bestand in der Frage, ob das Grundgesetz und damit das Gericht überhaupt im Spiel ist. Denn EU-Recht hat Vorrang, und hier ging es um die EU-Gleichbehandlungsrichtlinie. Allerdings gebe es hier Spielräume für nationale Regeln, namentlich dort, wo es um Glauben und Kirche gehe: Erlaubt seien danach nationale Regelungen, die den Kirchen „unter bestimmten Voraussetzungen eine Ungleichbehandlung wegen der Religion gestatten“. Heißt: Wenn ein Staat – wie Deutschland – den Kirchen ein großes Maß an Selbstbestimmung zugesteht, dann wird das nicht europarechtlich untergepflügt. Das Gericht spricht von europäischer „Grundrechtspluralität“.

Damit war der Weg zu den Kernfragen des Falls frei: Wie weit reicht das religiöse Selbstbestimmungsrecht, das zu den Altbeständen des Grundgesetzes gehört – verankert in den übernommenen Weimarer Kirchenartikeln. Hier wiederholt das Gericht zunächst, dass einzig die Kirchen darüber befinden, was zu ihrem Ethos gehört. Die Inhalte des Glaubens, die Prinzipien der Gemeinschaft, all dies ist dem Staat nicht zugänglich.

Das ist nicht neu, allerdings macht das Gericht hier nicht halt. Wenn es um Anforderungen an eine kirchliche Stelle geht, dann sei es Sache der Religionsgemeinschaft, „nachvollziehbar, schlüssig und widerspruchsfrei darzulegen, worin der Zusammenhang zwischen der aufgestellten beruflichen Anforderung und der konkreten betroffenen Tätigkeit besteht“. Dies dürften die Gerichte am Maßstab der Verhältnismäßigkeit kontrollieren. „Ein überprüfungsfreier Raum, der es den Religionsgemeinschaften erlauben würde, pauschal für jeden Arbeitsplatz die Mitgliedschaft in der Gemeinschaft zu fordern, besteht danach nicht.“

Die Unterschiede zum Urteil von 2014 sind deutlich

Selbstredend müssten die „kirchlichen Belange“ von den Gerichten angemessen gewichtet werden. Sie seien aber keineswegs verpflichtet, deren Einschätzung „ungeprüft zu übernehmen“. Kurzum: Wenn eine Arbeitnehmerin wegen Diskriminierung klagt, genießen auch die Kirchen kein blindes Vertrauen mehr.

Legt man den sehr ausführlichen Beschluss neben die Chefarzt-Entscheidung von 2014, dann wird deutlich: Karlsruhe hat die Kontrolle des kirchlichen Arbeitsrechts verschärft. Sie fällt zwar immer noch sehr zurückhaltend aus, der Freiraum kirchlicher Selbstbestimmung bleibt beträchtlich. Aber die richterliche Kontrolle ist intensiver geworden – einfach deshalb, weil die Vorgaben des EuGH dem Verfassungsgericht keine Wahl ließen. Hätte Karlsruhe sich dagegenstellen wollen, wäre es zur Konfrontation gekommen.

Bleibt die Frage, warum Vera Egenberger, wie es aussieht, trotzdem verloren hat. Karlsruhe stellt hier auf die Besonderheiten des Falls ab: Die ausgeschriebene Stelle verlangte nun mal eine Darstellung menschenrechtlicher Positionen aus „spezifisch christlicher Sicht“. Und da liegt es aus Sicht des Gerichts nicht fern, die Kirchenzugehörigkeit zur wesentlichen Voraussetzung eines Jobs zu machen. Nun wandert der Fall noch einmal zurück nach Erfurt, zum Bundesarbeitsgericht.

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