Zwangsbehandlungen durch Ärztinnen und Ärzte müssen unter bestimmten Voraussetzungen auch außerhalb von Kliniken zulässig sein. Das ausnahmslose Verbot entsprechender Maßnahmen ist teilweise unvereinbar mit dem Grundgesetz. Das hat das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe entschieden und verlangt eine entsprechende Änderung durch den Gesetzgeber. Die betroffene gesetzliche Regelung sei mit dem Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit teils unvereinbar, erklärte Gerichtspräsident Stephan Harbarth bei der Urteilsverkündung. Das Urteil erging mit einer Mehrheit von fünf zu drei Stimmen der Richter. (Az. 1 BvL 1/24)
Grundsätzlich gilt: Ärztliche Zwangsmaßnahmen dürfen nur das letzte Mittel sein. Davor gibt es ein mehrstufiges Prüfverfahren. So muss die Maßnahme laut Gesetz etwa notwendig sein, »um einen drohenden erheblichen gesundheitlichen Schaden vom Betreuten abzuwenden«.
Künftig auch in anderen Einrichtungen möglich
Dieser Krankenhausvorbehalt sei insofern nicht verhältnismäßig, wenn Betroffenen dadurch erhebliche Beeinträchtigungen der körperlichen Unversehrtheit drohen, so Harbarth. Diese Beeinträchtigungen müssten zudem in der Einrichtung, in der die Betroffenen untergebracht sind und die einen notwendigen Krankenhausstandard nahezu erreicht, vermieden oder zumindest signifikant reduziert werden können.
Bisher dürfen diese sogenannten ärztlichen Zwangsmaßnahmen aber nur in Krankenhäusern durchgeführt werden und nicht etwa in spezialisierten ambulanten Zentren, in Pflegeheimen oder im häuslichen Umfeld. Dabei handelt es sich etwa um das Setzen von Spritzen, das Abnehmen von Blut oder das Verabreichen von Medikamenten.
Verfassungsrichter gibt Sondervotum ab
Ein Richter vertrat eine andere Auffassung als die Mehrheit seiner Kollegen und gab deshalb ein Sondervotum ab. Wie das Gericht in einer Pressemitteilung bekanntgab , warnt der Verfassungsrichter Heinrich Amadeus Wolff vor einer Absenkung der Standards für die Behandlung von Patienten. Auch Patientenorganisationen hatten in der Vergangenheit ähnliche Befürchtungen geäußert. Um das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit zu erhalten, so Wolff, sei es auch möglich, auf Eingriffe zu verzichten. Der Gesetzgeber sollte deshalb gerade nicht verpflichtet werden, eine Neuregelung zu erlassen, wie von der Mehrheit seiner Richterkollegen verlangt.
Auch die Senatsmehrheit ging in ihrer Begründung auf diese Vorbehalte ein. Der Gesetzgeber habe aber in jedem Fall sicherzustellen, dass die Grundrechte sämtlicher Betroffener durch strenge Anforderungen weitestgehend geschützt würden. Vor allem dürfe eine ärztliche Zwangsmaßnahme immer nur als »letztes Mittel« ergriffen werden.
Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte das Thema dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt, weil er die geltende Rechtslage für unvereinbar mit der Schutzpflicht des Staates hielt. Der Erste Senat folgte nun dieser Einschätzung. Den Gesetzgeber verpflichteten die Richterinnen und Richter bis Ende 2026 zu einer Neuregelung. Bis dahin gilt das bisherige Recht fort.