Bundestag: Die verflixte 25-Prozent-Hürde der Opposition

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Die Stärke einer Demokratie zeigt sich immer auch an der Wertschätzung der Opposition. In Hamburg haben sie das sogar in die Landesverfassung geschrieben. „Die Opposition ist ein wesentlicher Bestandteil der parlamentarischen Demokratie“, steht da in Artikel 24. Auch im Bundestag gibt es deshalb Rechte, die eine Minderheit durchsetzen kann. Doch in der Praxis der laufenden Legislaturperiode sind viele von ihnen wirkungslos.

Voraussetzung für Normenkontrollklagen in Karlsruhe ist zum Beispiel die Unterstützung durch mindestens 25 Prozent der Bundestagsabgeordneten. Wie wichtig derartige Klagen sein können, hat in der vergangenen Legislaturperiode die Klage der Unionsfraktion gegen das Haushaltsgebaren der Ampelkoalition gezeigt. Die Unionsfraktion gewann – es war der Anfang vom Ende der Ampelkoalition.

Täten sich alle drei Oppositionsfraktionen zusammen, würde es reichen

Ein wichtiges Instrument sind auch Untersuchungsausschüsse. Für ihre Einsetzung braucht es ebenfalls 25 Prozent der Abgeordneten. Das gilt auch für die Einsetzung von Enquete-Kommissionen, die Durchsetzung öffentlicher Anhörungen in den Bundestagsausschüssen und manches mehr.

Das Problem in dieser Legislaturperiode ist aber: Die 25 Prozent kommen nicht zusammen. Die AfD stellt 151 der 630 Abgeordneten – nur 24 Prozent. Grüne und Linke kommen zusammen lediglich auf 149 Sitze, erreichen das 25-Prozent-Quorum also erst recht nicht. Täten sich alle drei Oppositionsfraktionen zusammen, würde es reichen. Aber Grüne und Linke kooperieren nicht mit der in Teilen rechtsextremen AfD.

Von dieser Konstellation profitiert gerade Unionsfraktionschef Jens Spahn. Denn für den von der Opposition geforderten Untersuchungsausschuss zur Corona-Masken-Beschaffung findet sich keine Mehrheit.

Eine zumindest im Ergebnis ähnliche Lage der Opposition gab es bereits nach der Bundestagswahl 2013. AfD und FDP waren an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert. Damals war die große Koalition tatsächlich noch eine große Koalition. Union und SPD stellten zusammen 80 Prozent der Abgeordneten. Es gab lediglich zwei Oppositionsfraktionen – Grüne und Linke. Sie kamen zusammen nur auf 20 Prozent der Sitze. Zu wenig, um die parlamentarischen Minderheitenrechte geltend zu machen.

Der frühere Bundestagspräsident Norbert Lammert stand vor dem gleichen Problem

Grüne und Linke verlangten deshalb, die Regeln zu ändern. Der damalige Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) unterstützte sie. Lammert hatte seine Unionsfraktion schon zuvor häufiger mit Interventionen für die Minderheit genervt. In den Debatten über den Euro-Rettungsfonds EFSF und das zweite Rettungspaket für Griechenland erteilte er zum Beispiel den Abweichlern Klaus-Peter Willsch (CDU) und Frank Schäffler (FDP) das Wort, obwohl die parlamentarischen Geschäftsführer die beiden Abgeordneten nicht auf die Redeliste gesetzt hatten. Lammerts Fraktionschef Volker Kauder tobte: „Wenn alle reden, die eine von der Fraktion abweichende Meinung haben, bricht das System zusammen.“

Unter Mitwirkung Lammerts fand sich nach der Bundestagswahl 2013 eine Lösung für das Minderheitenproblem. Für die Dauer der Legislaturperiode wurde die Geschäftsordnung des Bundestags geändert. „Auf Antrag aller Mitglieder der Fraktionen, die nicht die Bundesregierung tragen“ – also auf gemeinsamen Antrag von Grünen und Linken – konnten die Minderheitenrechte nun doch geltend gemacht werden. Es gab nur eine Ausnahme: die Normenkontrollklage beim Bundesverfassungsgericht. Das Quorum dafür ist im Grundgesetz festgeschrieben. Grünen und Linken wurden damals auch längere Redezeiten im Bundestag zugestanden.

Nach der Bundestagswahl 2017 hatte sich das Problem dann erledigt. Die Oppositionsfraktionen Grüne, Linke und FDP kamen gemeinsam über die 25-Prozent-Hürde. Sie nutzten das auch, etwa für mehrere gemeinsame Klagen in Karlsruhe. Und nach der Bundestagswahl 2021 kam die oppositionelle Unionsfraktion allein auf mehr als 25 Prozent der Abgeordneten.

Diesmal ist die Lösung besonders knifflig

Doch seit der Bundestagswahl 2025 ist das Problem mit den Minderheitenrechten wieder virulent. Anders als Norbert Lammert 2013 zeigt die heutige Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU) bisher keine Ambitionen, sich um die Minderheitenrechte zu kümmern. Sie ist im Gegenteil dadurch aufgefallen, dass sie von der Opposition beantragte Sondersitzungen von Bundestagsausschüssen zur Spahn-Masken-Affäre verhindert hat. Allerdings ist die Lösung des Problems dieses Mal auch schwieriger als damals.

Der Bundestag könnte das Quorum für Minderheitenrechte von 25 auf 20 Prozent senken – aber damit könnte auch die AfD das Instrumentarium nutzen. Alternativ könnte der Bundestag festlegen, dass die Minderheitenrechte geltend gemacht werden dürfen, wenn sich zwei Fraktionen zusammentun. Dann könnten Grüne und Linke sie wieder nutzen, die AfD aber weiterhin nicht. Eine derartige Lösung beinhaltet jedoch die Gefahr, vom Bundesverfassungsgericht kassiert zu werden. Zu offensichtlich wäre eine Benachteiligung der AfD, die dann von den Minderheitenrechten ausgeschlossen bliebe, obwohl sie über mehr Abgeordnete als Grüne und Linke verfügt.

Dass der Bundestag keine AfD-Politiker zu Bundestagsvizepräsidenten oder zu Ausschussvorsitzenden gewählt hat, hat das Verfassungsgericht bisher nicht moniert. Wenn die AfD nun bei den Minderheitenrechten schlechter gestellt würde, könnte das Karlsruhe aber zu viel werden.

Außerdem ärgert sich die Unionsfraktion immer noch darüber, wie es ihr selbst in der Opposition ergangen war. In der Union ist man der Ansicht, in der vergangenen Legislaturperiode von der damaligen Ampel-Mehrheit schlecht behandelt worden zu sein – etwa in den Debatten um das Wahlrecht oder die Sitzordnung im Plenum. Dass die Ampelkoalition die Einsetzung eines von der Union verlangten Untersuchungsausschusses zu Cum-Ex-Geschäften in der „Steueraffäre Scholz-Warburg“ blockiert hat, empörte die Union ebenfalls. Und so ist bisher noch keine Lösung des aktuellen Problems in Sicht.  Trotz aller Bekenntnisse zur Bedeutung der Opposition und ihrer Minderheitenrechte.

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