Bundesregierung: SPD ohne Außenpolitik

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Wenn es um die Verteilung von Posten geht, gelten im Bundestag zunächst einmal die Gesetze der Mathematik. Entsprechend der Sitzverteilung wird berechnet, wie viele Abgeordnete die Fraktionen in die Ausschüsse entsenden und auch wie viele Ausschussvorsitze ihnen zustehen. Angewandt wird dabei das Auszählverfahren Sainte-Laguë/Schepers. Ebenso sehr gelten allerdings die Gesetze der Politik. Mathematik und Politik haben in Kombination nun für eine Überraschung gesorgt – aus Sicht der SPD eine unangenehme.

Anders als in der vergangenen Legislaturperiode ging der Vorsitz im prestigeträchtigen Auswärtigen Ausschuss nicht mehr an die Sozialdemokraten, sondern an die Union, die ihr Erstzugriffsrecht als stärkste Fraktion nutzte. In der Konsequenz komplettiert das die von Friedrich Merz proklamierte Außenpolitik „aus einem Guss“. Aus dem Kanzleramt gibt er die Richtung vor und kann darauf zählen, dass Johann Wadephul als erster CDU-Außenminister seit Jahrzehnten mitzieht. Gerade deshalb war damit gerechnet worden, dass die SPD an der Spitze des Auswärtigen Ausschusses einen eigenen Akzent setzen will. Es ist ein Posten mit garantierter medialer Aufmerksamkeit. Besetzt wird er nun vom Christdemokraten und früheren NRW-Ministerpräsidenten Armin Laschet.

Zum Opfer gefallen ist dem Verfahren ausgerechnet jener Mann, der sechs Jahre bis an die Grenze der eigenen Gesundheit die SPD-Bundestagsfraktion zusammengehalten hat: Rolf Mützenich. Am Bundestagswahlabend des 23. Februar, der für die SPD mit dem historisch schlechten Ergebnis von 16,4 Prozent endete, machte Mützenich auf dessen Wunsch hin den Weg für Klingbeil an der Fraktionsspitze frei. Der übte das Amt dann aber nur 70 Tage aus: Es war sein Sprungbrett in das Amt des Vizekanzlers und Finanzministers. Mit Partei- und Fraktionsvorsitz schuf er sich die Machtbasis für die Koalitionsverhandlungen mit der Union.

SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich und SPD-Chef Lars Klingbeil im März 2023 auf dem Weg nach Kiew.
SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich und SPD-Chef Lars Klingbeil im März 2023 auf dem Weg nach Kiew. (Foto: Fionn Große)

Wer Mützenich kennt, weiß, dass ihm so ein Umgang mit dem bedeutsamen Amt des SPD-Fraktionsvorsitzenden nicht gefallen dürfte. Aber er konnte sich Hoffnung machen auf das Amt des Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag. Schließlich ist Mützenich bis heute ein leidenschaftlicher Außenpolitiker geblieben, der immer wieder auch aneckt – vor einem Jahr mahnte er im Bundestag an, über Wege hin zu einem „Einfrieren des Krieges“ zu debattieren. Mehrere Quellen bestätigen, dass Klingbeil Mützenich das Amt in Aussicht stellte, er war ihm ja auch noch etwas schuldig. Aber wie verbindlich, ist unklar. In der SPD-Fraktion gingen jedoch einige von einer Vorabeinigung aus.

Umso überraschender war dann für sie die Entscheidung. Aus seiner Enttäuschung macht Mützenich in einem Interview mit dem Stern daraufhin keinen Hehl. „Eine demokratische und kluge Außenpolitik darf sich nicht allein auf militärische Themen und Ziele konzentrieren“, sagte er. Ein Rüstungswettlauf, insbesondere die Ausrichtung an prozentualen Werten, steigere nur das Sicherheitsdilemma. „Wie schon in der Vergangenheit hätte ich mich auch jetzt gerne an dieser Debatte beteiligt.“

Der Vorsitz im Auswärtigen Ausschuss schien ihm dazu der geeignete Ort, „zumal CDU und CSU die Außenpolitik über das Kanzleramt und das Auswärtige Amt dominieren werden“. Auch die „Nuancen der Außen- und Sicherheitspolitik sollten, zumal in unserer Demokratie, weiterhin berücksichtigt werden. Das hätte ich mir zugetraut“, sagte Mützenich. Nicht nur Merz und Wadephul hätten mit Contra rechnen müssen, sondern auch Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD).  Beim Projekt, die Bundeswehr zu ertüchtigen, wollen Pistorius und Klingbeil an einem Strang ziehen mit Merz. Womöglich hat das den sozialdemokratischen Eifer gebremst, sich für Mützenich für den Auswärtigen Ausschuss mit dem Koalitionspartner zu verkämpfen.

Klingbeil und Mützenich haben gerade beim Thema Russland und Aufrüstung durchaus unterschiedliche Ansichten, auch wenn sie versuchten, etwa bei einer Kiew-Reise, das demonstrativ zu kaschieren.

Außerdem stand das Team Klingbeil noch bei einer anderen im Wort: Nachdem Saskia Esken auf ein Ministeramt verzichtet und den Rückzug als SPD-Chefin angekündigt hatte, sollte sie zumindest einen Ausschuss-Vorsitz bekommen – die SPD griff für sie als erstes beim Bildungsausschuss zu. Das schien wichtiger, auch wenn Mützenich dadurch leer ausging. Beim Auswärtigen Ausschuss habe zudem Unionsfraktionschef Jens Spahn unbedingt Laschet durchsetzen wollen, heißt es.

SPD-Chef Lars Klingbeil (re.) und SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich vor der Reise nach Kiew, Klingbeil besuchte danach noch Warschau.
SPD-Chef Lars Klingbeil (re.) und SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich vor der Reise nach Kiew, Klingbeil besuchte danach noch Warschau. (Foto: Fionn Große)

Die wichtigste außenpolitische Stimme der SPD im Parlament ist nun der 31 Jahre alte Adis Ahmetovic aus Hannover, der zum außenpolitischen Sprecher der Fraktion gewählt worden ist. Ahmetovic gilt als überzeugter Verbündeter von Pistorius in Sachen Zeitenwende und Unterstützung der von Russland überfallenen Ukraine. Um mediale Aufmerksamkeit, wie sie der aus dem Bundestag ausgeschiedene frühere Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Michael Roth, genoss, wird er erst noch kämpfen müssen.

Strukturell gerät die SPD jedenfalls ins Hintertreffen. Zwar hat man neben dem Verteidigungs- auch das Bundesministerium für Entwicklung und wirtschaftliche Zusammenarbeit bekommen. Aber Ministerin Reem Alabali-Radovan, einer 35-jährige Politikerin aus Mecklenburg-Vorpommern, trauen in der SPD einige das Amt nur bedingt zu. Zuvor war sie Staatsministerin für Integration und fiel selten auf, setzte kaum Impulse. Interviews mit ihr waren mitunter von größter Vorsicht und dem Flüchten in Gemeinplätze geprägt.

„Sonderlich dramatische Auswirkungen“ erwartet Thorsten Benner, Direktor des Global Public Policy Institute in Berlin, dennoch nicht. Die SPD habe „weiterhin viele Hebel, eigene Akzente zu setzen“. Das Verteidigungsministerium biete mit dem enormen finanziellen Aufwuchs „große sicherheitspolitische Gestaltungsmöglichkeiten“.  Das gelte auch für Klingbeil als Finanzminister und Vizekanzler.

Dass man bereits beginnt, mit der Außenpolitik „aus einem Guss“ seitens der Union zu hadern, zeigt ein aktueller Fall. So ist die Kritik der Bundesregierung am Vorgehen Israels in Gaza einigen in der SPD zu verhalten. Nachdem am Wochenende erst der neue SPD-Fraktionschef Matthias Miersch und am Mittwoch dann Ahmetovic versucht hatten, bei dem Thema eigene Schwerpunkte zu setzen, äußerte sich am Donnerstag auch noch der Vizekanzler persönlich. „Israel hat ein Recht auf Selbstverteidigung, aber muss das humanitäre Völkerrecht einhalten. Die Zivilbevölkerung muss geschützt werden“, sagte er. Es müsse dringend mehr Hilfe bei den Menschen im Gazastreifen ankommen, Helfer der Vereinten Nationen müssten ungehindert ihre Arbeit machen können, „völkerrechtswidrige Vertreibungspläne“ müssten ein Ende haben.

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