Bundespolitik: Gescheiterte Richterwahl: Spahn räumt Fehler ein

vor 10 Stunden 1

In einem Brief an die Unionsfraktion räumt deren Chef Jens Spahn ein, dass er auch einen Anteil an der missglückten Richterwahl habe. CSU-Chef Markus Söder rät der Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf zum Rückzug.

Für unseren Liveblog verwenden wir neben eigenen Recherchen Material der Nachrichtenagenturen dpa, Reuters, epd, KNA und Bloomberg.

Wichtige Updates

Richterwahl: Spahn räumt Fehler ein - Union ohne Zeitdruck

Deutschland und Großbritannien schließen Freundschaftsvertrag 

Verschobene Richterwahl: Merz stellt sich hinter Spahn

Wüst fordert Solidarität mit Spahn

SPD will Richterkandidatin vor Unionsfraktion auftreten lassen 

Newsdesk

Söder legt SPD Austausch der Richterkandidatin Brosius-Gersdorf nahe

Nach der verschobenen Richterwahl für das Bundesverfassungsgericht ringen Union und SPD um eine Lösung. CSU-Chef Markus Söder legte der SPD einen Austausch ihrer Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf nahe. „Um da einen vernünftigeren Weg zu haben, wäre es wahrscheinlich besser, jemand anderes zu finden“, sagte Söder am Montag nach einer CSU-Vorstandssitzung. 

Regierungssprecher Stefan Kornelius plädierte dagegen in Berlin dafür, dass Union und SPD nun erst einmal in Ruhe nachdenken sollten. Er verwies darauf, dass schon der Kanzler betont habe, dass es keinen Zeitdruck gebe. Die SPD-Fraktion hat aber ihre Bundestagsabgeordneten nach Informationen der Nachrichtenagentur Reuters zu einer Sonderschaltkonferenz am Abend eingeladen. Einziger Tagesordnungspunkt: die Richterwahlen.

Weil die Unions-Bundestagsfraktion am Freitag kurzfristig die zugesagte Mehrheit für die von der SPD nominierte Juristin Brosius-Gersdorf überraschend nicht mehr garantieren konnte, waren die Abstimmungen über alle drei Kandidaten verschoben worden. Eigentlich war eine Neubesetzung von drei vakant werdenden Richterstellen in Karlsruhe geplant gewesen. Die Unionsfraktion hatte den Arbeitsrichter Günter Spinner nominiert, die SPD die Professorinnen Brosius-Gersdorf und Ann-Katrin Kaufhold. 

Bisher ist weder die SPD bereit, ihre Kandidatin zurückzuziehen, noch sieht die Unions-Führung einen Weg, wie sie die Kritiker in ihrer Fraktion zu einer Zustimmung bewegen könnte.

CSU-Chef Söder schlug als Lösung den Rückzug der Kandidatin vor. „Da liegt kein Segen auf der Kandidatur“, sagte er. Seiner Ansicht nach solle die SPD „nochmal nachdenken“, um „im Herbst einen zweiten Vorschlag zu präsentieren, der vielleicht besser geeignet ist“. Für die Wahl sei „durchaus bis September Zeit“. Das ändere nichts an der juristischen Befähigung „auch einer Richterin oder einer Professorin“, sagte Söder mit Blick auf Brosius-Gersdorf, die an der Universität Potsdam lehrt. Das Verfassungsgericht entscheide jedoch oft über politische Grundsatzfragen wie den Abtreibungs-Paragraphen 218 oder das Wahlrecht. Deswegen sei es wichtig, dass jemand nicht „mit einem sehr, sehr klaren Weltbild“ oder Meinungen auftrete, „die dann Hinweise geben können, ob ein Gericht vielleicht sogar befangen ist“.

Brosius-Gersdorf steht für eine liberale Politik bei Schwangerschaftsabbrüchen und stößt damit in Teilen der Union auf Vorbehalte. Die Unions-Fraktionsführung hatte SPD und Grünen aber die Wahl schon zugesagt und dies dann wieder zurückgezogen, was nun für Kritik beider Parteien sorgt.

Wolfgang Jaschensky

Unionsfraktionschef Jens Spahn (CDU) hat drei Tage nach dem Debakel Fehler im Umgang mit der Richterwahl eingeräumt. „Der letzte Freitag war für die Koalition ein schwerer Tag. Da gibt es nichts schönzureden“, räumte Spahn ein. „Auch wenn eine vertagte Richterwahl sicher keine Staatskrise ist.“ 

Am Freitag waren die Wahlen zweier neuer Richterinnen und eines Richters für Karlsruhe kurzfristig von der Tagesordnung des Bundestags abgesetzt worden. Der Druck gegen die von der SPD vorgeschlagenen Potsdamer Staatsrechtlerin Frauke Brosius-Gersdorf war in der Union zu groß geworden. Die Fraktionsführung konnte die mit dem Koalitionspartner verabredete Unterstützung nicht mehr garantieren.

Die Spitzen von Union und SPD berieten hinter den Kulissen intensiv über eine Lösung. Wie diese aussehen könnte, bleibt aber unklar. Spahn berichtete in einem Schreiben an die Fraktion von vielen Gesprächen, die er am Wochenende intern und mit der SPD geführt habe. „Ich bin überzeugt, dass wir gemeinsam mit der SPD eine Lösung finden werden“, schrieb er in dem Brief, über den zunächst die Bild berichtete.

Spahn erklärte weiter: „Die Dimension der grundlegenden und inhaltlich fundierten Bedenken gegen eine der Kandidatinnen haben wir unterschätzt.“ Und: „Die Notbremse am Freitag kam zu spät.“ Man sei nicht mehr in der Lage gewesen, einen Kompromiss mit der SPD zu finden. Daran hätten beide Seiten ihren Anteil.

Regierungssprecher Stefan Kornelius bekräftigte Äußerungen des Kanzlers vom Vortag, dass es mit einer Lösung nicht eile. Auch Spahn betonte: „Das Bundesverfassungsgericht ist voll arbeitsfähig. Es besteht keine Dringlichkeit.“ Die Koalition werde sich „die Zeit nehmen, die für eine gute Lösung notwendig ist.“ 

Newsdesk

Deutschland und Großbritannien schließen Freundschaftsvertrag 

Deutschland und Großbritannien wollen nach Angaben aus Regierungskreisen am 17. Juli erstmals einen Freundschaftsvertrag schließen. Darin solle auch ein Beistandsversprechen verabredet werden, das den Artikel 5 des Nato-Vertrages ergänzt, sagte ein deutscher Regierungsvertreter in Berlin. Zur Unterzeichnung des Vertrags werde Kanzler Friedrich Merz am Donnerstag nach London reisen. Bei dem Besuch solle auch ein Aktionsplan vorgelegt werden. Dieser werde zahlreiche Projekte enthalten, um beide Länder enger aneinander zu binden - vom Schüleraustausch bis zu einer Bahn-Verbindung. Der Vertragsentwurf soll am Mittwoch im Bundeskabinett verabschiedet werden.

Der britische Premierminister Keir Starmer bemüht sich seit seiner Wahl, die Bande zu wichtigen europäischen Partnern nach dem britischen EU-Austritt 2016 wieder enger zu knüpfen. Vergangene Woche unterzeichnete er mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron ein britisch-französisches Abkommen. Jetzt folgt der erste Freundschaftsvertrag zwischen dem Vereinigten Königreich und der Bundesrepublik überhaupt. Die Vorarbeit dazu wurde noch unter der alten Regierung geleistet und ist in einem Abkommen beider Länder im Sicherheits- und Verteidigungsbereich gemündet.

Der Freundschaftsvertrag soll auch eine Passage zur Einwanderungspolitik und dem Kampf gegen irreguläre Migration beinhalten, hieß es. Zudem wolle man konkrete Vereinbarungen etwa bei der Erleichterung von Rüstungsexporten und zur gemeinsamen Entwicklung von Langstreckenraketen treffen. Angestrebt wird eine engere Zusammenarbeit auch in der Forschungs- und Technologiepolitik - etwa zur Quantentechnologie oder Künstlichen Intelligenz. Daneben gebe es eine Reihe anderer Vorhaben, wie zum Beispiel bei Offshore-Projekten in der Nordsee.

Nadja Tausche

Verschobene Richterwahl: Merz stellt sich hinter Spahn

Nach der kurzfristig abgesetzten Richterwahl im Bundestag hat sich Bundeskanzler Friedrich Merz hinter Unionsfraktionschef Jens Spahn (beide CDU) gestellt. Auf die Frage, ob Spahn noch der richtige Mann auf dem Posten sei, sagte Merz im ARD-„Sommerinterview“: „Eindeutig ja.“ „Das war am Freitag nicht schön, aber das ist nun auch keine Krise der Demokratie, keine Krise der Regierung“, sagte der Kanzler: „Das Ganze ist undramatisch.“ Beim nächsten Mal werde es besser gemacht. Es handele sich nicht um einen Vorgang, der „uns umwirft“. Der Kanzler bedauerte außerdem, dass die zwei unstrittigen Kandidaten für das Bundesverfassungsgericht nicht gewählt worden seien. 

Merz räumte aber auch Fehler ein. „Wir hätten natürlich früher erkennen können, dass da großer Unmut besteht", sagte er, „aber das ist nun wirklich kein Beinbruch“. Der Widerstand in der Unionsfraktion sei „in dieser Form nicht absehbar“ gewesen. Auch in der SPD habe es Vorbehalte gegen diese Wahl gegeben. Zum Vorschlag aus der SPD, dass die von der SPD vorgeschlagene Kandidatin sich den Fragen der Union stellen könnte, sagte Merz: „Ich werde das mit der SPD in Ruhe besprechen.“ Es gebe keinen Zeitdruck, erklärte der Kanzler und versicherte: „Wir werden versuchen, für die nächste Runde gute Mehrheiten zu bekommen.“ 

Am Freitag war die letzte Sitzungswoche des Bundestags vor der Sommerpause im Streit geendet. Die Wahlen von Frauke Brosius-Gersdorf und zweier weiterer neuer Richter für Karlsruhe waren kurzfristig von der Tagesordnung abgesetzt worden, weil der Druck gegen die Potsdamer Staatsrechtlerin in der Union zu groß geworden war. Die Fraktionsführung konnte die mit dem Koalitionspartner verabredete Unterstützung nicht mehr garantieren. SPD-Fraktionschef Matthias Miersch stellte daraufhin in einer empörten persönlichen Erklärung fest: „Wir halten an unseren Kandidatinnen fest. Ich erwarte, dass die Mehrheit steht.“

Dominik Fürst

Wüst fordert Solidarität mit Spahn

Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) versucht, dem unter Druck geratenen Unionsfraktionschef Jens Spahn den Rücken zu stärken. „Natürlich ist das in dieser Woche nicht gut gelaufen für uns als Union und für die Koalition in Berlin insgesamt“, räumte Wüst beim NRW-Tag der Jungen Union in Gummersbach ein. „Es spricht aber für Jens Spahns Charakter, dass er offensiv damit umgeht und nach Lösungen sucht“, sagte Wüst. „Jens hat Demut gezeigt und Verantwortung übernommen. Auch das ist politische Führung.“ 

Spahn selbst hat sich bislang nicht zur missglückten Richterwahl im Bundestag geäußert. 

Oliver Klasen

SPD will Richterkandidatin vor Unionsfraktion auftreten lassen 

Nach der geplatzten Wahl von drei Verfassungsrichtern setzt die SPD auf ein direktes Gespräch ihrer Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf mit der Unionsseite. Die stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Sonja Eichwede sagte im Fernsehsender Welt, „dass Frau Professorin Frauke Brosius-Gersdorf auch bereit wäre, sich bei der Unionsfraktion persönlich vorzustellen, um eben Zweifel auszuräumen“. Dies sei ihrer Ansicht nach auch „im Interesse der Unionsspitze“, die nach wie vor hinter dem Vorschlag stehe.

Bei einer digitalen Sitzung von SPD-Vorstand und Bundestagsfraktion betonte SPD-Fraktionschef Matthias Miersch am Freitagabend, dass man rasch von Angesicht zu Angesicht sprechen müsse, wie es in Fraktionskreisen hieß. Von Unionsseite lag zunächst keine Reaktion auf die Berichte über ein mögliches Gespräch vor. Kanzleramtschef Thorsten Frei (CDU) wurde in der Neuen Osnabrücker Zeitung aber wie folgt zitiert: „Ich bin sicher, dass die Koalitionsfraktionen über den Sommer eine tragfähige Lösung finden werden.“

Die SPD will an Brosius-Gersdorf festhalten, wie Eichwede bekräftigte. Die Abgeordnete ist selbst Richterin mit einem seit dem Einzug in den Bundestag ruhenden Richteramt. „Wir haben einen guten Vorschlag, eine herausragende Wissenschaftlerin, die in Karlsruhe sehr gut arbeiten kann“, sagte sie. Kritikerinnen und Kritikern warf Eichwede vor, Brosius-Gersdorf bestimmte Positionen zuzuschreiben und teils falsch darzustellen. „So kann man in einer Demokratie nicht miteinander umgehen.“

Nicolas Richter über den massiven Unmut in der SPD über die Koalitionspartner CDU und CSU (SZ Plus): 

Kassian Stroh

Die SZ berichtet

Analysen und Hintergründe zur abgesetzten Richterwahl im Bundestag:

  • „Eklatantes Führungsversagen der Union“: Peter Müller (CDU), früherer Ministerpräsident des Saarlands und von 2011 bis 2023 Bundesverfassungsrichter, kritisiert die abgesetzte Wahl scharf und lastet sie Unions-Fraktionschef Spahn an. Ein Interview von Detlef Esslinger (SZ Plus)
  • Demontiert und gedemütigt: Die SPD ist sauer und geht mit der Ansage an die Union in die Sommerpause, dass man in dieser den Vorgang gründlich aufarbeiten müsse. Eine Analyse von Nicolas Richter (SZ Plus)
  • Der Bundestag soll eine neue Verfassungsrichterin wählen. Formsache? Von wegen. Unionsfraktionschef Spahn hat den Widerstand seiner Leute gegen die SPD-Kandidatin unterschätzt. Eine Rekonstruktion der Ereignisse von Robert Roßmann (SZ Plus)
  • In der Dissertation der Richterkandidatin Frauke Brosius-Gersdorf finden sich gleiche Passagen wie in einer Arbeit ihres Mannes. Trotzdem kann man derzeit nicht von einem Plagiatsverdacht sprechen. Eine Analyse von Roland Preuß (SZ Plus)

Oliver Klasen

Dobrindt: Hätte kein Problem, die Linke anzurufen

Schon als sie ins Amt kam, Anfang Mai, war die schwarz-rote Regierung auf Hilfe der Linken im Bundestag angewiesen, als es, nachdem Friedrich Merz im ersten Wahlgang durchgefallen war, darum ging, noch am selben Tag einen zweiten Wahlgang anzusetzen. Nun kommt es wieder auf die Linken an, nämlich bei der Wahl der Verfassungsrichter, deren Scheitern am Freitag die Bruchlinien zwischen Union und SPD offenlegte und der jungen Koalition ihre erste veritable Krise einbrachte.  

Bei der Richterwahl ist die Linke abermals von Bedeutung, weil es einer Zweidrittelmehrheit bedarf, die die schwarz-rote Koalition und die oppositionellen Grünen zusammen nicht haben. Die Linke verlangt ein eigenes Nominierungsrecht, die Union hat bisher mit ihr aber nicht gesprochen. In CDU und CSU gilt ein Beschluss, der eine Zusammenarbeit mit den Linken (genau wie mit der AfD) ausschließt. 

Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) hat sich in einem Interview mit dem Deutschlandfunk nun prinzipiell offen gezeigt, in außergewöhnlichen Situationen das Gespräch auch mit der Linken zu suchen, so wie bereits im Mai geschehen. „In Situationen, die so außergewöhnlich sind – und das auf jeden Fall war eine außergewöhnliche Situation, wenn die Wahl eines Bundeskanzlers nicht stattfindet – dann braucht man auch pragmatische Lösungen, die über das hinausgehen, was man gelernt und geübt hat. Und ich finde, dass das zu einer ergebnisorientierten oder lösungsorientierten Politik auch gehört“, erklärte Dobrindt. „Ich hätte auch in einem weiteren Fall, wenn es notwendig wäre, nicht das Problem, zum Telefon zu greifen und jemanden bei der Linkspartei anzurufen“.

Patrick Wehner

Kanzleramtschef Thorsten Frei zeigt sich optimistisch

Nach der geplatzten Wahl dreier Verfassungsrichter setzt die Union auf ein baldiges Einvernehmen mit der SPD. „Ich bin sicher, dass die Koalitionsfraktionen über den Sommer eine tragfähige Lösung finden werden“, sagte Kanzleramtschef Thorsten Frei (CDU) der Neuen Osnabrücker Zeitung.  

Sina Kampe

Justizministerin: Absage der Richterwahl verantwortungslos 

Durch die abgesagte Richterwahl im Bundestag ist aus Sicht von Bundesjustizministerin Stefanie Hubig (SPD) ein Schaden verursacht worden, der vermeidbar gewesen wäre. „Wer gezielt Ämter und Personen beschädigt, gefährdet die Integrität unseres demokratischen Gemeinwesens“, sagte die Ministerin der Rheinischen Post. „Der Vorgang ist beispiellos und verantwortungslos und produziert sehr viele Verlierer.“

Für die Besetzung des Amts eines Richters oder einer Richterin am Bundesverfassungsgericht existiere ein etabliertes Verfahren, das sich über Jahrzehnte bewährt habe. Dieses Verfahren sei jetzt ohne Not beschädigt worden, ebenso wie eine sehr gute Kandidatin und anerkannte Wissenschaftlerin. 

Philipp Saul

Grüne für Sondersitzung nächste Woche

Die Grünen-Fraktion fordert eine Sondersitzung des Bundestages in der kommenden Woche, um die abgesagte Wahl von drei Richtern für das Bundesverfassungsgericht nachzuholen. „Wir erwarten, dass CDU/CSU und SPD in der Lage sind, die notwendige demokratische Mehrheit für ihre eigenen Vorschläge im Deutschen Bundestag sicherzustellen“, heißt es in der Erklärung der Fraktionsvorsitzenden Britta Haßelmann und Katharina Dröge.

Die Absetzung der Wahl habe gezeigt, dass die Koalition „in eine schwere Krise“ gestürzt sei. Dass die Wahl nicht auf die lange Bank geschoben wird, sei auch eine Frage des Respekts gegenüber den drei Kandidaten und dem Gericht.

Philipp Saul

Spahn betont nach Richterwahl Willen zur Stabilität

Unionsfraktionschef Jens Spahn hat nach dem vorläufigen Scheitern der Richterwahl im Bundestag das Interesse der Union an einem stabilen Bündnis mit dem Koalitionspartner SPD hervorgehoben. Man habe in den vergangenen Wochen Stabilität gezeigt, sagte der CDU-Politiker nach Angaben von Teilnehmern in einer Sondersitzung der Unionsfraktion. Spahn wurde mit den Worten zitiert: „Das bleibt der Auftrag.“ Man habe heute gesehen, wie groß die Herausforderung sei, sagte Spahn demnach. Die Union wolle Deutschland gut regieren, der Auftrag gelte unverändert. Man tue „alles dafür, dass das gelingt“.

Parlamentsvizepräsidentin Andrea Lindholz (CSU) kritisierte nach der Sitzung, SPD und Grüne seien nicht bereit gewesen, den von der Union vorgeschlagenen Kandidaten Günter Spinner und die von der SPD nominierte Juraprofessorin Ann-Katrin Kaufhold ans Bundesverfassungsgericht zu wählen. Mit Blick auf Spinner sprach sie von Blockade: „Es ist für mich ein Unding, dass ein Richter, der von den Richtern des Bundesverfassungsgerichtes vorgeschlagen wird, hier heute nicht gewählt wird.“ Dafür habe es keinen nachvollziehbaren Grund gegeben. 

Philipp Saul

Klingbeil kritisiert Union nach geplatzter Richterwahl

SPD-Chef Lars Klingbeil hat nach der geplatzten Wahl von Verfassungsrichtern Kritik an der Union geäußert. Führung und Verantwortung seien nichts für Sonntagsreden. „Sondern wenn hier strittige Abstimmungen sind, dann muss es Führung und Verantwortung auch geben“, sagte der Bundesfinanzminister in einer Haushaltsrede im Bundestag. Das bedeute auch, dass man manche schwierigen Entscheidungen mittragen müsse. „Das ist der Wert eines Kompromisses.“ Klingbeil sprach von einer „sehr klaren Erwartung“.

Wegen massiven Widerstands in der Unionsfraktion gegen die SPD-Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf wurden die Abstimmungen über die insgesamt drei Vorschläge für das Bundesverfassungsgericht kurzfristig von der Tagesordnung genommen. In der Unionsfraktion gibt es gegen Brosius-Gersdorf Vorbehalte unter anderem wegen ihrer aus Sicht mancher Abgeordneter zu liberalen Haltung zu Abtreibungen. Hinzu kamen Hinweise eines "Plagiatsjägers" zu ihrer Doktorarbeit.

Klingbeil sagte, die Gleichheit der Geschlechter und das Selbstbestimmungsrecht der Frauen hätten in Deutschland zu Recht Verfassungsrang. „Das zu schützen ist übrigens Aufgabe von Richterinnen und Richtern, erst recht am Bundesverfassungsgericht.“ Es habe in Deutschland immer Kontroversen zum Paragraphen 218 und zu Fragen der Abtreibung gegeben. Die SPD habe eine klare Position. „Aber wir respektieren andere Meinungen.“ Das Land gehe „kaputt“, wenn politische Debatten immer nach dem Motto geführt würden: Wer nicht zu 100 Prozent der eigenen Meinung sei, sei ein Gegner, so der SPD-Chef.

„Wenn eine Richterin eine kritische Position zu 218 hat, dann ist das mehr als legitim in unserem Land. Das Bundesverfassungsgericht ist eine der wichtigsten Institutionen unseres Landes, und es lebt von Unabhängigkeit und von Vertrauen“, sagte Klingbeil. Es habe im Bundestag immer einen breiten Konsens der demokratischen Mitte gegeben zur Ernennung von Richterinnen und Richtern. „Und das ist heute nicht passiert.“ 

Philipp Saul

SPD-Fraktionsspitze attackiert Union

Der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Dirk Wiese, und die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Sonja Eichwede stellen sich hinter Frauke Brosius-Gersdorf und kritisieren die Union: „Wir werden gerade Zeuge, wie eine hoch qualifizierte Kandidatin mit makellosem Werdegang und breiter fachlicher Anerkennung Opfer einer Schmutzkampagne wird, die haltlos ist“, teilte Wiese mit. „Das Problem heute ist, dass die Unionsführung die nötige Mehrheit in ihren eigenen Reihen nicht sicherstellen konnte.“ 

Fraktionsvize Eichwede sagte, die SPD hätte dem Unionsvorschlag, Günter Spinner zum Verfassungsrichter zu wählen, zugestimmt - "auch aus staatspolitischem Pflichtbewusstsein". "Die Union war nicht bereit, diesen gemeinsamen Geist zu tragen.“ Es gebe „eine gefährliche Politisierung der Richterwahlen“, sagte Eichwede. „Konservative und rechte Kräfte haben in den vergangenen Tagen ein Spiel mit dem Feuer entfacht, das nur schwer zu löschen sein wird.“ Die Richterwahl für das höchste deutsche Gericht dürfe „nicht zur Bühne moralpolitischer Kulturkämpfe verkommen.“

Leopold Zaak

Chaos im Bundestag bedeutet für Richter in Karlsruhe: Weiterarbeiten

Dass sich die Wahl und damit auch die Berufung der Kandidaten für das Bundesverfassungsgericht verzögert, hat Auswirkungen auf die aktuelle Arbeit in Karlsruhe. Die Regel für die Länge der Amtszeit der Richter dort ist klar geregelt: Grundsätzlich endet sie nach zwölf Jahren oder nach der Vollendung des 68. Lebensjahres. Wirklich aufhören dürfen die Richterinnen und Richter aber erst, wenn eine Nachfolge gefunden ist. Die Sitze dürfen nicht vakant sein.

Auf die Arbeitsfähigkeit des Gerichts kann das Chaos im Bundestag bei der Richterwahl ebenfalls Auswirkungen haben. Das Bundesverfassungsgericht wird in dieser Phase wohl keine größeren und sehr komplizierten Verfahren anstoßen, die lange dauern. In dieser Zeit soll es im Idealfall keine Wechsel auf den Richterposten geben. 

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