Boualem Sansal: Boualem Sansal ist verschwunden

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Der Autor war zuvor in Algier verhaftet worden.

 Boualem Sansal auf der Pariser Buchmesse Festival du Livre im April dieses Jahres
Boualem Sansal auf der Pariser Buchmesse Festival du Livre im April dieses Jahres © Villette Pierrick/​Abaca/​Imago

Wo ist Boualem Sansal? Der frankoalgerische Autor wurde am 16. November bei der Einreise auf dem Flughafen von Algier verhaftet. Seither fehlt jede Nachricht von ihm. Präsident Macron, heißt es, sei très préoccupé, sehr besorgt. Zahlreiche Autoren wie Yasmina Khadra, Kamel Daoud, Tahar Ben Jelloun fordern seine sofortige Freilassung. Der bedeutende und vielfach preisgekrönte französischsprachige Autor dystopischer Gesellschaftsromane und kulturpolitischer Essays gehöre an runde Tische und nicht hinter Gitter. Sogar an den Pariser Quais war am vergangenen Wochenende an den Ständen der Bouquinisten bei schönstem November-Frühlingswetter überall von Sansal die Rede, dessen Verhaftung auf den französischen Titelseiten gemeldet wurde. Warum, zum Teufel, musste er nach Algerien zurückkehren? Hat er nicht gerade die französische Staatsbürgerschaft erhalten und sogar eine Wohnung bei Versailles gefunden?

Ja, warum ist er von Paris nach Algier geflogen? Boualem Sansal, 1949 in Algerien geboren, hat sein ganzes Leben in Algerien verbracht. Er wuchs in demselben Stadtviertel von Algier auf, aus dem auch Albert Camus stammt, die Mütter der beiden Autoren waren befreundet. Er war hoher Staatsbeamter im Wirtschaftsministerium, schrieb Romane und wurde zum Regimegegner. In seinem bedeutendsten Werk 2084. Das Ende der Welt warnt er vor einer Glaubensdiktatur, in der es keinen Pluralismus mehr gibt. Nur noch den Propheten und seine willenlosen Untergebenen. Bei einem Gespräch, das wir nach den islamistischen Anschlägen in Paris mit ihm führten, spitzte er seine düstere Prophezeiung zu: "Der Islamismus will den Planeten erobern. Es ist eine Illusion, zu glauben, dass man die Sicherheitslage im Griff habe. Die Gesellschaften werden fallen, eine nach der anderen."

Doch scheint seine Verhaftung nicht ausschließlich auf seinen lange bekannten antiislamistischen Alarmismus zurückzugehen, sondern auf eine akute geopolitische Konfliktlage. Die spitzte sich zu, nachdem Macron Ende Oktober in Rabat versicherte, er unterstütze den marokkanischen Anspruch auf die seit dem Ende der Kolonialkriege umkämpften Gebiete in der Westsahara und damit den Zorn Algeriens provozierte. Der algerische Botschafter wurde aus Paris zurückbeordert.

Dass Sansals Verhaftung im Zusammenhang mit diesem wenig bekannten Wüstenkonflikt steht, legt eine höhnische Verlautbarung der algerischen Presseagentur APS nahe, die Sansal als einen "von der extremen französischen Rechten verehrten Pseudo-Intellektuellen" diffamiert und ihm zur Last legt, "die Existenz der algerischen Nation zu verneinen" und ihre "Grenzen infrage zu stellen". Der Autor hatte in einem auf YouTube verbreiteten Video-Interview mit dem Pariser Magazin Frontières zum Erscheinen seines aktuellen Essaybandes Le français, parlons-en! gesagt, dass Teile Algeriens ursprünglich zu Marokko gehörten und erst während der französischen Kolonisation algerisch wurden.

Jetzt droht einem großen Schriftsteller der Verlust seiner Freiheit wegen ein paar Sätzen über eine riesige Sandfläche, um die, weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit, in der maghrebinischen Wüste gekämpft wird.

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