Bei »Hart aber fair« debattierten Gegner und Befürworter eines AfD-Verbots

vor 2 Tage 1
 AfD verbieten – oder »politisch stellen«?

Moderator Louis Klamroth und seine Talk-Gäste bei »Hart aber fair«: AfD verbieten – oder »politisch stellen«?

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Abgeordnete von SPD, Union, Grünen und Linken haben sich für einen fraktionsübergreifenden Antrag zusammengetan: Sie wollen im Bundestag über einen AfD-Verbotsantrag diskutieren. »Warum jetzt?«, will Louis Klamroth wissen.

Darauf gibt es eine lange und eine kurze Antwort.

Die lange Antwort kann man sich bei YouTube anschauen. Es sind die beinahe vier Stunden, in denen am 26. September der Landtag von Thüringen in heilloses Chaos abgerutscht ist, weil der AfD-Alterspräsident seine protokollarische Macht missbrauchte (einen Bericht dazu lesen Sie hier )und Anträge der Abgeordneten schlicht ignorierte. In diesen vier Stunden lässt sich besichtigen, wie dreist Rechtsextreme die Demokratie aushebeln – wenn man sie lässt.

Michael Kellner, der für die Grüne den Antrag zur Prüfung eines Verbots durch das Bundesverfassungsgericht mitgeschrieben hat, will diese Frage »in der Herzkammer unserer Demokratie«, dem Parlament, erörtert wissen – und von Karlsruhe entscheiden lassen. Gründe dafür gibt es mehr als genug. Einer davon ist in Artikel 21 des Grundgesetzes formuliert: »Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind verfassungswidrig«.

Punkt.

Ronen Steinke, Journalist bei der »Süddeutschen Zeitung«, pflichtet Kellner bei. Wenn eine Partei aktiv die Verfassung, das Grundgesetz und den Rechtsstaat insgesamt angreift, sollte man dem Verfassungsgericht »die Möglichkeit geben, da mal draufzuschauen«. Entscheidend sei nicht, was im Programm der betreffenden Partei stehe. Entscheidend seien ihre »wirklichen Ziele«, wie sie sich in Äußerungen ihrer Mitglieder zeige, in Slogans wie »Millionenfach abschieben« oder sabotierenden Winkelzügen wie jener im Landtag von Thüringen.

Rechtsextreme lieber »politisch stellen«

Gegen einen entsprechenden Antrag plädieren der Politologie Albrecht von Lucke und Serap Güler, Mitglied im Bundesvorstand der CDU. Letztere betont, sie sei als Mensch türkischer Abstammung auch persönlich betroffen, habe »den ganzen Sommer« über das Thema nachgedacht – sich letztlich aber dagegen entschieden, den Antrag zu unterstützen. Rechtsprechung sei für sie »sekundär«, lieber wolle sie die AfD »politisch stellen«. Und fürchtet, die Partei könne bei einem Scheitern des Antrags »mit Wucht« zurückkommen, noch stärker werden.

Albrecht von Lucke argumentiert ähnlich – und bezweifelt überdies, dass allein schon der Antrag der unterschiedlichen Fraktionen überhaupt die nötige Mehrheit im Bundestag bekommen werde, um nach Karlsruhe weitergereicht werden zu können. Dann würde er der AfD »in die Hände spielen«. Wohin seit Jahren irgendwie alles spielt, was politisch gegen den Aufstieg der Rechtsextremen unternommen wird. Und auch, was nicht unternommen wird.

Vertrauen zurückgewinnen – ist es so einfach?

Gegen einen solchen Antrag argumentiert auch Alexander Leschik, Ex-AfD-Funktionär und ausgetreten, als der völkische Flügel um Björn Höcke den internen Machtkampf für sich entschieden hat. Der junge Mann verweist auf die Opferrolle, die von der AfD sozusagen standardmäßig eingenommen wird – und den Umstand, dass die dann vollends in die Echokammern sozialer Netzwerke verschwinden werde. Eine weitere Radikalisierung ihrer Wähler wäre dann unvermeidbar. Und zu »stellen« seien Leute wie Höcke nur auf einer offenen Bühne, die der aus genau diesem Grund gerne meide.

Den Einwurf von Kellner, man könne sich nicht länger zurücklehnen und »abwarten«, will Güler nicht auf sich sitzen lassen. Ein Beispiel dafür, wie das Gegenteil aussähe, bleibt sie allerdings schuldig. Lucke springt ein und erklärt, die nächste Regierung – nach seinem menschlich-politologischen Ermessen geführt von CDU und CSU – müsse dann eben das Vertrauen der Wähler zurückgewinnen, das die Ampel mit ihrer Politik verloren habe.

Eine illusorische Einschätzung, zumindest nach Ansicht von sowohl Kellner (Grüne) als auch Güler (CDU). Es gehe eben nicht darum, eine starke Opposition auszuschalten und deren heimatlose Wähler »zurückzuholen«. Es hätten aber die Wählerinnen und Wähler auch kein Recht, auf ihrem Wahlzettel eine verfassungsfeindliche Partei vorzufinden.

Zumal, wie Lucke betont, ein so gewichtiges Verfahren – also das Verbot einer Partei sowie der politischen Betätigung ihrer Mitglieder – wohl kaum bis zur nächsten Bundestagswahl abgeschlossen sein dürfte. Schon jetzt profitiere, das nur nebenbei, auch das BSW von der Diskussion.

Die »demokratische Mobilmachung« ist überfällig

Klamroth erinnert an den Präzedenzfall zweier Versuche, die noch radikalere NPD zu verbieten. Beim ersten Mal scheiterte er daran, dass die NPD gewissermaßen nur aus V-Leuten bestanden zu haben scheint, beim zweiten Mal an ihrer erwiesenen Unwichtigkeit und Marginalisierung. Wovon bei der AfD auf absehbare Zeit keine Rede sein kann. Sie erscheint eher zu groß für ein Verbot. Was V-Leute betrifft, erklärt Steinke, so habe man aus dem Debakel gelernt. Überdies liegt die Gesinnung der AfD klar zutage. Die Partei ist, wie auch Leschik anmerkt, im Grunde »gläsern«.

Warum also jetzt?

Die kurze Antwort auf diese Frage hat unlängst Heribert Prantl von der »Süddeutschen Zeitung« im Deutschlandfunk gegeben, befragt zur Farce von Thüringen. Demokratie sei »mehr als eine Kiste mit einem Schlitz oben, in die man alle paar Jahre bei der Wahl einen Zettel hineinwirft«.

Eine »demokratische Mobilmachung« sei längst überfällig.

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