Und trägt die Musikgestalt Pizarro, stellt Ernst Bloch in einer Frage fest, „nicht alle Züge des Pharao, Herodes, Geßler, Fenriswolfs, ja eben des gnostischen Satans, der uns in den Weltkerker brachte und festhält?“ Diese Gestalt konnte der Bass-Bariton Siegmund Nimsgern schon im Klang, zu verstehen als Wort-Ton-Phrase, entstehen lassen. Gerade dank seiner ausdifferenzierten vokalen Gestik gehörte der Saarländer in den Siebziger- und Achtzigerjahren des vorigen Jahrhunderts zu den herausragenden Darstellern böser, düsterer, zwiespältiger Figuren: Kaspar in „Der Freischütz“, Ruthven in Marschners „Der Vampir“, Telramund in „Lohengrin“, Klingsor in „Parsifal“, des Winkeladvokaten Vigelius in Franz Schrekers „Der ferne Klang“, Scarpia in Puccinis „Tosca“, Blaubart in Béla Bartóks und „Cardillac“ in Paul Hindemiths Oper. Als er die Partie des Scarpia, Puccinis Vorahnung des faschistoiden Sadisten, an der Liric Opera von Chicago in Puccinis „Tosca“ sang, wurde er als „der beste Scarpia“ seit dem in dieser Rolle legendären Tito Gobbi gefeiert.
Der in St. Wendel geborene Siegmund Nimsgern studierte zunächst Musikwissenschaft und Germanistik in Saarbrücken, bevor er mit seiner Gesangsausbildung begann. Zu seinen Lehrern gehörte Paul Lohmann, der noch bei Karl Scheidemantel studiert hatte, der seinerseits aus der Schule von Manuel Garcia und Julius Stockhausen kam. Nach Preisen im Gesangswettbewerben von s’Hertogenbusch (1965) und beim Mendelssohn-Wettbewerb in Berlin (1967) debütierte Nimsgern als Lionel in Peter Tschaikowskys „Jungfrau von Orleans“ am Landesteater von Saarbrücken. 1971 wechselte er für drei Spielzeiten an die Düsseldorf-Duisburger Deutsche Oper am Rhein. 1973 und 1974 verbuchte er erste internationale Erfolge als Amfortas an der Londoner Covent Garden Oper und an der Pariser Oper, an der er 1979 Kreon in Strawinskys „Oedipus Rex“, später auch Telramund und Pizarro sang; es waren die „signature parts“, mit denen er sich auch an der Metropolitan Opera einführte.
1983 wurde er für die Partie des Wotan zu den Bayreuther Festspielen eingeladen. Der von Peter Hall und Georg Solti geplante „romantische Ring“, gedacht als Gegenentwurf zum „Jahrhundert-Ring“ von Patrice Chéreau und Pierre Boulez, fand, euphemistisch gesagt, nicht den erhofften Beifall, so wenig wie Nimsgerns Darstellung des Göttervaters. Seine „Ring“-Rolle hat er wohl als Gegenspieler des Göttervaters gefunden, als der Alberich in der Einspielung unter Marek Janowski: ein mit den fahlen Farben von Trotz und Wut gemaltes, sprachlich markantes Porträt, aber ohne die Mittel des Sprechgesangs.
Zwar wurden die „Erzschurken“ zu seinen „signature parts“, doch weist Jens Malte Fischer in seinem Buch „Grosse Stimmen. Von Enrico Caruso bis Jessye Norman“ auf die eminente Vielseitigkeit Nimsgerns hin: des Bach-Interpreten, der unter Nikolaus Harnoncourt das „Weihnachtsoratorium“ (1973), unter Helmut Rilling die h-Moll-Messe (1977) und unter George Solti Hadyns „Schöpfung“ aufgenommen hat, aber auch des von Pierre Boulez geschätzten Interpreten der Musik des 20. Jahrhunderts. Er hat dem oft abschätzig gebrauchten Begriffs des „utility singers“ den richtigen Sinn gegeben: den einer Vielseitigkeit, die den unermüdlichen Fleiß für das Studium neuer Rollen voraussetzt.
In der letzten Dekade seiner Laufbahn übernahm er in Salzburg und der Saarländer Hochschule für Musiktheater Gastprofessuren für Gesang. 2004 wurde er mit dem Kunstpreis des Saarlands ausgezeichnet. In der Nacht zum vergangenen Sonntag ist Siegmund Nimsgern gestorben.