Diesmal steht nicht die Klasse zwischen Tochter und Mutter, sondern die Demenz: Annie Ernaux dokumentiert das Schwinden ihrer Mutter – ohne jede soziologische Reflexion.
Wer einen Elternteil an die Demenz verloren hat, wird diesen Satz schon mal gedacht haben: "Alles ist vertauscht", schreibt Annie Ernaux, da weiß sie seit einigen Monaten von der Alzheimer-Diagnose ihrer Mutter. "Sie ist meine kleine Tochter. Ich KANN nicht ihre Mutter sein." Ernaux ist zu diesem Zeitpunkt Mitte vierzig, ihre Mutter Ende siebzig.
Ich komme nicht aus der Dunkelheit raus heißt die Erzählung von Ernaux, die nun, von Sonja Finck übersetzt, bei Suhrkamp erschienen ist. Im französischen Original erschien sie bereits 1997. Es handelt sich um die Chronik eines Verfalls: Von 1983 bis 1986 begleitet Ernaux ihre Mutter in die neblige Welt der Demenz. In kurzen, tagebuchartigen Fragmenten schildert sie die Zumutungen, die dieses Krankheitsbild für die Betroffene, vor allem aber für sie als Angehörige bedeutet: die Fantasien, die verlorenen Gegenstände, die Fäkalien, die Verlegenheitslügen, um ja nichts Beunruhigendes zu sagen.