
Tennisstar Angela Mortimer 1961
Foto:Central Press / Getty Images
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Plopp, plopp.
Das Geräusch, das der Tennisball macht, wenn er aufspringt.
Ein Geräusch, das jeder kennt. Angela Mortimer hat es nie gehört.
Angela Mortimer, am Montag im Alter von 93 Jahren gestorben, war eine Große im Tennis. Die Britin gewann 1961 in Wimbledon, zuvor siegte sie bereits bei den French Open (1955) und den Australian Open (1958).
Sie war Erste der Weltrangliste, auch im Doppel war sie bei Grand-Slam-Turnieren erfolgreich.
Sie schaffte dies alles, obwohl sie auf dem Platz in einer für sie abgeschlossenen Welt lebte.
Nur den Beifall bekam sie mit
Angela Mortimer war seit ihrer Jugend extrem schwerhörig. Sie hörte Tennis nur, wenn es laut war.
»Ich konnte auf dem Platz den Beifall der Zuschauer hören, sonst nichts«, hat sie mal erzählt.
Das Aufklatschen des Balles, der Moment, wenn Schläger und Ball aufeinanderprallen, all das ging an ihr vorbei.
Sie hat dieses Handicap für sich einfach ins Positive gedreht: »Ich denke, es hat mir geholfen, mich noch besser auf meine Schläge zu konzentrieren, jede Form von Ablenkung auszuschließen.« So kann man das auch sehen.

Wimbledonsiegerin Angela Mortimer
Foto: Evening Standard / Getty ImagesMit dieser Einstellung wurde sie eine der besten Tennisspielerinnen der Welt. 1955 errang sie ihren ersten großen Triumph, als sie in Paris die US-Amerikanerin Dorothy Knode auf dramatische Weise bezwang – 10:8 im entscheidenden dritten Satz.
Einmal nur in ihrer Karriere nahm sie an den Australian Open teil, die Reise ans andere Ende der Welt war damals noch ein Abenteuer, und gleich kehrte sie mit der Trophäe heim.
Belohnung: ein Gutschein
Aber ihr größter Tag war ein Julinachmittag 1961, Endspiel im Einzel in Wimbledon, in dem Jahr, in dem das Turnier sein 75. Jubiläum feierte.
Besser hätten es die Engländer nicht organisieren können: Erstmals standen sich zwei Britinnen im Finale gegenüber.
Und wieder war es knapp. Mortimer schlug Christine Truman 4:6, 6:4, 7:5. Ihre Prämie: Ein Gutschein über 20 britische Pfund, zweckgebunden auszugeben für Tennis-Equipment.
Es wären wohl noch mehr große Siege dazugekommen, aber Mortimer hatte eine große Rivalin, und die war noch erfolgreicher als sie. Die Geschichte von Angela Mortimer ist daher auch die Geschichte von Althea Gibson, der US-Amerikanerin, die die Britin in zwei Grand-Slam-Endspielen besiegte: 1956 in Paris, 1958 in Wimbledon. Das Duell zweier außergewöhnlicher Frauen.

Althea Gibson nach dem Gewinn der French Open
Foto: Bettmann / Bettmann ArchiveGibson, Kind von Landarbeitern aus South Carolina, hatte am Ende ihrer Laufbahn sieben Grand-Slam-Erfolge eingesammelt, dreimal siegte sie in Paris, zweimal in Wimbledon, zweimal bei den US Open.
Gefeiert auf dem Platz, aber ihr Alltag sah anders aus. Gibson war die erste afroamerikanische Gewinnerin von Grand-Slam-Turnieren, und in den Sechzigerjahren im Süden der USA nützte es auch nicht, ein Sportstar zu sein, wenn man schwarz war. »Es war ein weiter Weg von der Sektion für Farbige im Bus bis zum Handshake mit der Queen«, sagte sie nach ihrem ersten Wimbledon-Erfolg. Der feine All England Tennis Club als Ausrichter in Wimbledon nahm sie trotz ihres Sieges nicht als Mitglied auf.
Gibson spielte im Anschluss an ihre Tennislaufbahn professionell Golf, und viele große Turniere in diesem Sport werden im Süden der Vereinigten Staaten gespielt. Gibson durfte nur an wenigen teilnehmen, und wenn, musste sie sich meistens im Auto umziehen, weil sie als Afroamerikanerin die Umkleidekabinen nicht betreten durfte. Aus Hotels wurde sie verwiesen. Kein Zutritt für Schwarze. 2003 starb sie verarmt.
Shorts statt Rock
Gibson und Mortimer, das waren die Stars im Tennis der Frauen der Fünfzigerjahre, neben Maureen Connolly, Doris Hart, Margaret DuPont.
Alleinstellungsmerkmal der Britin, außer, dass sie kaum etwas hören konnte: Sie spielte meistens in Shorts, da konnten die Veranstalter meckern und mosern, wie sie wollten. Im Tennisröckchen bekam man Mortimer kaum zu sehen.

Gibson und Mortimer nach dem Wimbledon-Endspiel 1958
Foto: TopFoto / IMAGODer berühmte britische Sportmode-Designer Ted Tinling bot ihr an, eine eigene Tennismode-Linie mit Rock für sie zu kreieren: keine Chance. Das Ende vom Lied: Tinling entwarf Shorts.
Mitte der Sechzigerjahre beendete Mortimer ihre aktive Laufbahn, Tennis blieb im Hause Mortimer aber ein Dauerthema.
Ihr Mann John Barrett war nicht nur ein bekannter britischer Profi gewesen, über viele Jahrzehnte bis zu seiner Pensionierung war er die Stimme der BBC als Reporter auf allen großen Tennisturnieren.
Barrett und Mortimer waren das einzige Ehepaar, das in die Hall of Fame des Tennissports aufgenommen wurde. Mittlerweile haben sie Gesellschaft von Andre Agassi und Steffi Graf bekommen.
Den Aufprall des Balles hat Mortimer nie mitbekommen. Mitleid und Bedauern darüber hat sie aber immer abgewiesen. Sie sagte: »Wenn Spieler sagen, sie bräuchten das Geräusch des Balles, dann muss ich immer lächeln.«
Und sie sagte: »Manchmal bedaure ich die heutige Spielergeneration. Sie verdienen so viel mehr als wir damals, aber wir hatten mehr Spaß.«