Alphagenome: Deepmind KI analysiert Auswirkungen von DNA-Veränderungen

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Als Wissenschaftler 2003 zum ersten Mal das menschliche Genom sequenzierten, enthüllten sie den vollständigen Satz von DNA-Anweisungen, die einen Menschen ausmachen. Damals war noch nicht klar, was all die drei Milliarden genetischen Buchstaben genau tun.

Mit Alphagenome hat Google Deepmind jetzt nach eigenen Angaben einen großen Schritt zum Verständnis des genetischen Codes gemacht. Alphagenome ist ein KI-Modell, das vorhersagt, welche Auswirkungen kleine Veränderungen in der DNA auf eine Reihe von molekularen Prozessen haben: zum Beispiel, ob ein Gen öfter oder seltener abgelesen wird. Genau solche Fragen sind es, die Biologinnen und Biologen regelmäßig in Laborexperimenten zu beantworten versuchen.

"Wir haben zum ersten Mal ein einziges Modell geschaffen, das die vielen verschiedenen Herausforderungen vereint, die mit dem Verständnis des Genoms verbunden sind", sagt Pushmeet Kohli, Deepminds Vizepräsident für Forschung.

Vor fünf Jahren veröffentlichte die KI-Abteilung von Google Alphafold, eine Technologie zur Vorhersage der 3D-Form von Proteinen. Diese Arbeit wurde im vergangenen Jahr mit dem Nobelpreis ausgezeichnet. Sie legte außerdem die Basis für die Ausgründung des wirkstoffentwickelnden Unternehmens Isomorphic Labs und auch für einen Boom von Unternehmen, die hoffen, dass KI in der Lage sein wird, neue Medikamente vorzuschlagen.

Alphagenome ist jetzt ein Versuch, die Arbeit der Biologinnen und Biologen zu verbessern. Es soll helfen, grundlegende Fragen zu beantworten, wie die Veränderung von DNA-Buchstaben die Genaktivität beeinflusst und wie sich genetische Mutationen letztendlich auf unsere Gesundheit auswirken.

"Wir haben diese drei Milliarden Buchstaben der DNA, aus denen ein menschliches Genom besteht, aber jeder Mensch ist etwas anders, und wir verstehen nicht ganz, was diese Unterschiede bewirken", sagt Caleb Lareau, der als computationaler Biologe am Memorial Sloan Kettering Cancer Center, der schon früh Zugang zu Alphagenome hatte. "Dies ist das bisher leistungsfähigste Werkzeug, um das zu modellieren."

Von Google heißt es, dass Alphagenome für nicht-kommerzielle Nutzer kostenlos sein wird. Des Weiteren sollen alle Details des Modells in Zukunft veröffentlicht werden. Laut Kohli prüft das Unternehmen Optionen, um "die Nutzung dieses Modells durch kommerzielle Einrichtungen", wie Biotech-Unternehmen, zu ermöglichen.

Lareau zufolge werden mit Alphagenome bestimmte bisher im Labor durchgeführte Experimente künftig virtuell am Computer durchführbar. Bei Untersuchungen von Menschen, die ihre DNA für Forschungszwecke gespendet haben, werden beispielsweise oft Tausende von genetischen Unterschieden festgestellt, von denen jeder die Wahrscheinlichkeit, dass eine Person an einer Krankheit wie Alzheimer erkrankt, leicht erhöht oder verringert.

Lareau sagt, dass die Software von Deepmind verwendet werden könnte, um schnell Vorhersagen darüber zu treffen, wie jede dieser Varianten auf molekularer Ebene funktioniert, was ansonsten zeitaufwändige Laborexperimente erfordern würde. "Man erhält diese Liste von Genvarianten, aber dann möchte ich verstehen, welche davon tatsächlich etwas bewirken, und wo kann ich eingreifen", sagt er. "Dieses System bringt uns näher an eine gute erste Vermutung darüber, was eine Variante bewirkt, wenn wir sie bei einem Menschen beobachten."

Man darf allerdings nicht erwarten, dass Alphagenome über einzelne Personen sehr viel vorhersagen kann. Es bietet zwar Anhaltspunkte für die molekularen Details der Genaktivität, aber keine 23andme-ähnlichen Offenbarungen über die Eigenschaften oder die Abstammung einer Person.

"Wir haben Alphagenome nicht für die Vorhersage des persönlichen Genoms entwickelt oder validiert, eine bekannte Herausforderung für KI-Modelle", heißt es in einer Google-Erklärung. Das KI-System basiert auf der sogenannten Transformer-Architektur, die bei Google entwickelt wurde und auch große Sprachmodelle wie GPT-4 antreibt. Dieses Modell wurde auf Unmengen von experimentellen Daten trainiert, die von öffentlichen wissenschaftlichen Projekten stammen.

Laut Lareau wird das System die tägliche Arbeit seines Labors nicht grundlegend verändern, könnte aber neue Arten der Forschung ermöglichen. Zum Beispiel stoßen Ärzte manchmal auf Patienten mit sehr seltenen Krebsarten, die mit unbekannten Mutationen behaftet sind. Alphagenome könnte Aufschluss darüber geben, welche dieser Mutationen das eigentliche Problem verursachen, und so möglicherweise einen Hinweis auf eine Behandlung geben.

"Ein Kennzeichen von Krebs ist, dass bestimmte Mutationen in der DNA dazu führen, dass die falschen Gene im falschen Kontext exprimiert werden", sagt Julien Gagneur, Professor für Computermedizin an der Technischen Universität München. "Diese Art von Instrumenten hilft uns dabei, herauszufinden, welche Mutationen die richtige Genexpression stören."

Der gleiche Ansatz könnte für Patienten mit seltenen genetischen Krankheiten gelten, von denen viele nie erfahren, woher ihre Krankheit kommt, selbst wenn ihre DNA entschlüsselt wurde. "Wir können ihre Genome vorliegen haben, aber wir wissen nicht, welche genetischen Veränderungen die Krankheit verursachen", sagt Gagneur. Seiner Meinung nach könnte Alphagenome Medizinern einen neuen Weg zur Diagnose solcher Fälle eröffnen.

Einige Forscher streben an, mithilfe der KI ganze Genome von Grund auf neu zu entwerfen und neue Lebensformen zu schaffen. Andere denken, dass die Modelle dazu dienen werden, ein vollständig virtuelles Labor für Medikamentenstudien zu schaffen. "Mein Traum wäre es, eine virtuelle Zelle zu simulieren", sagte Demis Hassabis, CEO von Google DeepMind, dieses Jahr.

Kohli nennt Alphagenome einen "Meilenstein" auf dem Weg zu einem solchen System. "Alphagenome wird vielleicht nicht die ganze Zelle in ihrer Gesamtheit modellieren … aber es beginnt, Licht auf die breitere Semantik der DNA zu werfen."

Dieser Beitrag ist zuerst bei t3n.de erschienen.

(jle)

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