Knapp sechs Meter hoch stand das Wasser im Haus von Cornelia Weigand, im Juli 2021, als die Flut über das Ahrtal kam. Die Garage im Erdgeschoss wurde überschwemmt, auch die Arztpraxis im ersten Stock stand völlig unter Wasser. Darüber lag ihre Wohnung. „Wir haben Glück gehabt“, sagt Weigand heute am Telefon. Sie und ihr Mann waren unverletzt, sie hatten noch Möbel, noch etwas anzuziehen.
Weigand war damals Bürgermeisterin von Altenahr, in ihrer Verbandsgemeinde kamen bei dem Hochwasser 33 Menschen ums Leben. Seit 2022 ist Weigand Landrätin für den Kreis Ahrweiler. „Ich weiß, was die Menschen hier erlebt haben“, sagt sie. Nach der Wahl kündigte sie nicht nur einen nachhaltigen Wiederaufbau an, sondern auch, den Katastrophenschutz zu verbessern.
Im gesamten Ahrtal starben bei der Flut 135 Menschen. Es war eine der folgenschwersten Naturkatastrophen in Deutschland. Expertinnen und Experten sind sich einig, dass das Hochwasser weniger verheerende Folgen gehabt hätte, wenn die Bevölkerung rechtzeitig gewarnt worden wäre, wenn der Zivilschutz besser gerüstet gewesen wäre. Viel ist seitdem versprochen worden, von der Kommunal- und der Landespolitik. Wie viel hat sich wirklich getan?
Landrätin Cornelia Weigand kann eine ganze Menge Maßnahmen aufzählen, die der Kreis umsetzt. Sie tragen technische Namen wie das Gewässerwiederherstellungskonzept. Dabei geht es darum, der Ahr und den Bächen mehr Raum zu verschaffen. Indem das Flussbett verbreitert wird und indem Flächen bestimmt werden, auf denen sich Wasser ausbreiten und versickern kann. All das würde bei einem Hochwasser die Fließgeschwindigkeit verlangsamen.
87 digitale Sirenen sollen vor gefährlich hohen Pegelständen warnen
Auch will der Kreis Brücken künftig so bauen, dass sich weniger Treibgut ansammeln und den Fluss verstopfen kann. 2021 stapelten sich an den Brücken im Ahrtal Bäume, Autos, Müll – und ließen den Pegel immer weiter steigen. Seit der Flut stehen im Kreis 87 digitale Sirenen, überall dort, wo 2021 das Wasser stand. Sie sollen im Ernstfall die Rettungskräfte und die Bewohner warnen.
Ein Gutachten von Ingenieuren hat ergeben, dass sich das Ahrtal durch Rückhaltebecken vor einer Katastrophe wie der 2021 schützen ließe. 17 solcher Becken bräuchte es, je mit Platz für mehrere Millionen Kubikmeter Wasser. Aber das kostet Geld, sehr viel Geld. Weigand rechnet mit 1,5 bis zwei Milliarden Euro. Das könnten weder die Kommunen noch das Land allein stemmen. Die Landrätin hofft deshalb auf Gelder vom Bund und der EU.
Der rheinland-pfälzische Innenminister ist da eher zurückhaltend: Er verstehe, dass Rückhaltebecken technisch sinnvoll sein können, sagt Michael Ebling (SPD), aber eine solche Maßnahme würde auch erhebliche Einschnitte in die Landschaft bedeuten. „Und was passiert, wenn die Wolken dann 20 Kilometer entfernt runtergehen?“
„Es gibt nicht die eine Maßnahme, mit der sich vorsorgen lässt“, sagt der Ingenieur Peter Heiland, der in einer Expertenkommission saß, die nach der Flut Empfehlungen für das Land erarbeitete. Es gehe darum, Maßnahmen richtig zu kombinieren – dazu gehörten Rückhaltebecken genauso wie Wälder oder Wiesen, in denen Wasser versickern kann.
Und dann ist da ja noch die Frage, wie gut das Krisenmanagement funktioniert, wenn es doch zum Ernstfall kommt. Das rheinland-pfälzische Innenministerium hat gerade eine Reform des Katastrophenschutzes erarbeitet. Noch im Juni soll der Landtag darüber abstimmen. Das neue Gesetz soll unter anderem die Kommunen verpflichten, regelmäßig Alarm- und Einsatzpläne aufzustellen.
Schon Anfang des Jahres hat das Land in Koblenz ein Amt für Brand- und Katastrophenschutz eröffnet. Von dort aus sollen Expertinnen und Experten mögliche Gefahren für die Bevölkerung beobachten und rechtzeitig warnen. Wenn eine Landrätin oder ein Landrat zu dem Schluss kommt, eine Lage nicht mehr beherrschen zu können, soll künftig das Landesamt übernehmen. Außerdem soll es laut der Reform regelmäßige und verpflichtende Katastrophenschutzübungen geben. Nach der Flut 2021 war bekannt geworden, dass der damalige Landrat des Ahrtals nie an einer solchen Übung teilgenommen hatte.
„Wer in so einem Tal wohnt, muss wissen, wo der Evakuierungsweg ist.“
Die neue Landrätin, Cornelia Weigand, hält die Reform grundsätzlich für sinnvoll. Aber sie fürchtet, dass dadurch auf die Kreise zusätzliche Aufgaben zukommen, die mehr Geld und mehr Personal bedeuten. Beides sei schwer zu stemmen. Viele Kommunen in Rheinland-Pfalz sind hoch verschuldet. Viele Feuerwehren arbeiten ehrenamtlich. Da sei es für qualifiziertes Personal lukrativer, sich bei den Berufsfeuerwehren in Bonn oder Köln zu bewerben. „Wir haben eine große Konkurrenz um diese Leute“, sagt Weigand. Im Landkreis Ahrtal gibt es seit der Flut eine eigene Stabsstelle für Katastrophenschutz.
Landrätin Cornelia Weigand sagt aber auch: „Es kann nie eine hundertprozentige Sicherheit geben.“ Deshalb sei es wichtig, das Bewusstsein in der Bevölkerung zu schärfen. Die Menschen müssten auf den Katastrophenfall vorbereitet sein, darüber aufgeklärt sein, was dann zu tun ist. Der Hochwasserexperte Peter Weiland sagt: „Wer in so einem Tal wohnt, muss wissen, wo der Evakuierungsweg ist, dass man bei Hochwasser nicht in den Keller geht, wo man vom nächsten Stromschlag getötet werden könnte, sondern wo man sich am besten hinsetzt, um gerettet zu werden.“
Am liebsten würde Cornelia Weigand im Ahrtal ein Informationszentrum bauen, in dem Besucher sich über Hochwasser- und Katastrophenschutz informieren können. Bis dahin organisieren sie im Landkreis regelmäßig Veranstaltungen, verteilen Flyer. Und Weigand selbst hat sich eine App aufs Handy geladen, die ihr jeden Morgen um acht Uhr die relevanten Pegel in ihrer Umgebung anzeigt.