Der Ruhm von Kaiserslautern, nicht nur des 1. FC, war schon einmal größer in der Geschichte. Die Industrie florierender, die Kunstsammlungen der Unternehmer und Privatleute hoch respektiert. Diese Sammlungen flossen peu à peu in das weit über die Grenzen der Stadt bekannte Museum Pfalzgalerie (MPK) mit angeschlossener Kunstgewerbeschule (de facto war die Gewerbeschule der Gründerzeit sogar zuerst da, dann erst folgte das Museum). Doch muss der Rückblick auf die Museumsgeschichte nicht nur melancholisch stimmen, sondern gibt auch begründeten Anlass für Zuversicht: Zum 150. Jubiläum zeigt die pfälzische Institution ein Best-of von dreihundert Werken der Malerei, Skulptur, Grafik, Fotografie und Angewandten Kunst aus ihren Beständen, die sie klug in drei thematischen Rundgängen neu gehängt hat.
Diese sind übertitelt mit „Was ist Kunst?“, „Der Mensch in der Kunst“ und „Kunst mit allen Sinnen“. Die Neuinszenierung des respektablen Bestandes auf zwei Etagen mit Slevogt, Beckmann, Dix bis hin zu Carmen Herrera (in den Achtzigern war das MPK ein Hort der Konkreten Kunst und der Abstraktion) und Julius von Bismarck fürchtet sich nicht vor grundsätzlichen und schwer zu beantwortenden Fragen, auch auf die Gefahr hin, sich dabei zu verheben oder nur zu Allgemeinplätzen zu finden. Es sind Fragen wie „Was bewegt Menschen, Kunst zu schaffen?“ oder die auf die Etablierung von Kanons zielende „Wer entscheidet, was Kunst ist?“.
„Der Zugang zur Kunst muss stets sinnlich sein“
Dass man etwa gut föderal die regionale Kunstgeschichte und die vergessenen Künstler der lange verachteten Industrie-Ausstellungen des neunzehnten Jahrhunderts zu ihrem Recht kommen lässt, deren einstige Heroen etwa Franz von Lenbach porträtiert hat, hier in Gestalt des Gewerbeschullehrers, Münchner Innenarchitekten und Bildhauers Lorenz Gedon, ist dem Kuratorenteam um Direktor Steffen Egle hoch anzurechnen. Als Vor-Bilder für die Kunsthandwerker wurden nur die besten Kunstkammerstücke der Vergangenheit wie der „Trauernde Engel“ des spätgotischen Bildhauers Niclas Gerhaert van Leyden, geradezu atmende Reliquienbüsten, Renaissance-Deckelhumpen und Pokale sowie das hinreißende Frankenthaler Rokokoporzellan „Maler an der Staffel“ in altrosafarbenem Gewand von Johann Wilhelm Lanz aus dem Jahr 1755 angeschafft.
Aber auch Werke wie die Georges-de-Latour-haft aus nachtschwarzem Fond flackernde Kerze, entstanden um 1880, würde man sich sofort als würdiger Gerhard-Richter-Ersatz an die Wand hängen, obwohl heute nicht einmal mehr der Vorname, geschweige denn die Lebensdaten ihres Schöpfers „W. L. Lindemann“ bekannt sind. Und selbst ein herrlich präimpressionistischer Spitzweg („Der Zeitungsleser im Hausgärtchen“) fand durch den solventen Kaiserslauterner Rat und Sammler Joseph Benzino den Weg ins Museum und strahlt nun gemeinsam mit zwei Dutzend anderen goldgerahmten hidden beauties in Petersburger Hängung vor leuchtend roter Wand. Das wichtigste bleibt jedoch, dass als Gebot über jedem Saal unsichtbar „Der Zugang zur Kunst muss stets sinnlich sein“ steht und es einen mit „Berühren erlaubt“ gibt.

Politisch wird hingegen die Frage nach der Sprache der Kleider gestellt, die von gemalten Tüchern der Freiheit (Alexander Kanoldts neusachlich luftiges „Junges Mädchen im rosa Kleid“, 1929/1930) bis hin zu maßgeschneiderter Propaganda in Form von Uniformen auf Bildern reicht.
Unumgehbar für heutige Museen ist die Frage nach der Herkunft ihrer Werke, was Kaiserslautern unter dem wiederum dreigliedrigen Titel „Zeitsprung – Gekauft, getauscht, geraubt?“ fasst. Hier werden die Ergebnisse der Provenienzrecherchen der vergangenen Jahre nicht einfach nur vorgestellt: Mit Herrmann Scherers einst als entartet eingestufter Holzskulptur „Das kleine Mädchen“ werden auch Fragen von Zensur aufgeworfen. Wie viel durch die NS-Barbarei jüdischen Sammlern wie Max Glaeser oder Theodor Kiefer in Kaiserslautern geraubt wurde und teils unwiederbringlich verloren ging, schmerzt heute noch, ebenso die bruchlose Nachkriegskarriere Edmund Hausens, der im Krieg Kunst aus dem besetzten Lothringen („Westmark“ im NS) „sicherstellte“, als MPK-Konservator bis 1953.
Das Bildschaffen Rudolf Levys
Einer der größten Coups des MPK in den letzten Jahre war die grandiose, mit keinem geringeren Sparringpartner als den Florentiner Uffizien gestemmte Wiederentdeckung des Malers Rudolf Levy, der 1944 von den Nationalsozialisten aus Florenz deportiert wurde und wohl noch auf dem Weg ins KZ starb. Das ein Jahr vor seinem Tod entstandene „Selbstbildnis IV“ schlägt jeden in Bann mit der paradoxen Tiefe des Blicks aus maulwurfsblinden Brillengläsern bei gleichzeitiger Farbhexerei mit rostrotem Sakko vor tannengrünem Hintergrund und Seelen-Schatten in Kobaltblau, der sich längst vom Körper gelöst hat. Dass daneben die zarten und auf den Ermordeten bezogenen Keramiken Edmund de Waals („Der Hase mit den Bernsteinaugen“) neu arrangiert wurden, spricht für das konsequente Fortsetzen der Erforschung und des Publikmachens des brillanten, doch eben jäh unterbrochenen Bildschaffens Levys.
Eine weitere Entdeckung bei der baulichen Ertüchtigung des Museums ist das meterlange Wandbild „Handwerk und Technik“ Edvard Franks zwischen orangefarbenem Webstuhl links und Rodin-haftem Denker mit Zirkel rechts von 1955 im ersten Stock, und zwar wörtlich, da es erst bei der Sanierung als seit 1985 hinter einer vorgeblendeten Wand verborgene Kunst am Bau wieder zum Vorschein kam. Doch Edvard wer? Es ist bedauerlich, dass der Name – siehe Kanonisierung und Aussortierung von Kunst – vom Schirm fiel, da das Fresko mit seiner ausgefeilten Sprache der Tücher, Vorhänge und Mittelmeerfarben eines der wichtigeren Exemplare seiner Gattung in Deutschland repräsentiert.
Das Licht des Südens
Berechtigterweise aber zählt der 1909 in Korschenbroich geborene Frank zur sogenannten Verschollenen Generation. In den Zwanzigerjahren durchlief er eine breite Ausbildung, die sich stilistisch präzise an seinen Werken ablesen lässt. Erst die Handwerker- und Kunstgewerbeschule in Trier von 1926 an, dann die Kölner „Werkkunstschule“, die von Konrad Adenauer seinerzeit in Werkschule umbenannt wurde, um weiters an die Akademie in Berlin zu Carl Hofer mit einer gehörigen Impfung mit Matisse und den Franzosen à la mode umzusiedeln und 1934/35 während eines Rom-Stipendiums farbbegierig und für immer das Licht des Südens zu speichern.
Wie ernst es Frank mit dem Neubeginn war, zeigt sich daran, dass er gleich 1946 zu den Gründungsmitgliedern der Pfälzischen Sezession gehörte, die sich weniger von gleichzeitigen Mitbewerbern absetzte, vielmehr auf klare Distinktion zu den zwölf vorausgegangenen Jahren aus war. Doch war ihm über die Nachkriegszeit und dem MPK-Auftrag 1955 hinweg kein dauerhafter Ruhm beschieden, da auf Frank zutrifft, was Matisse in Bezug auf seinen Schüler Hans Purrmann (übrigens der erste Moderne-Ankauf des Museums) so gemein wie treffend festgestellt hatte, dass nämlich eine Eigenschaft dessen Talent massiv schade: seine Bescheidenheit.
Es sind derartige Wiederentdeckungen wie Frank, Lindemanns Kerze und Levy, die der Pfalzgalerie Anlass zu berechtigtem Stolz geben – und zu Zuversicht für die nächsten 150 Jahre.
Modern. Phantastisch. Kult – und weitere Schauen. MPK, Kaiserslautern; bis zum 14. November. Kein Katalog.