Das hat es lange nicht gegeben. Ein Festzelt, in dem Markus Söder noch nicht aufgetreten ist. Vergangene Woche im Berliner Regierungsviertel, die bayrische Landesvertretung in der Hauptstadt hat zum Oktoberfest geladen. Für einen Abend wird eine bayrische Miniaturwelt erschaffen, inklusive Alphornbläsern, Trachtenträgern, Hendelstand, Lebkuchenherzen und dem ersten Fass original Münchner Oktoberfestbier.
Der CSU-Vorsitzende, der das Fest eröffnet, hat keine Anlaufschwierigkeiten. Neben der blau-weißen Fahne steht der bayrische Ministerpräsident und schafft es in seiner kurzen Begrüßungsrede ein paar versteckte Seitenhiebe zu verteilen. Forschungsministerin Doro Bär mache im Dirndl eine 1a Figur, Staatsminister Florian Herrmann habe beim Fassanstich mal 600 Schläge gebraucht und für den Bundeskanzler Friedrich Merz solle die Kapelle später extra laut Blasmusik spielen, „damit die im Kanzleramt auch mal was Schönes hören“. Gewohnt humorvoll spult Söder seine kleine Show ab.
Und doch liegt über dem komödiantischen Auftritt auch ein Hauch Tragik. Nur ein paar Meter vom blau-weißen Festzelt liegt das Kanzleramt. Söder hatte dort etwas früher am Tag einen Termin. Nun steht er neben einem Bierfass und Merz empfängt zeitgleich den Präsidenten des Europäischen Rates, António Costa, um über die russischen Drohnen zu sprechen, die in der Nacht über Polen abgeschossen wurden.
© imago/Mike Schmidt/IMAGO/www.photowerkstatt.de
Wiesn für Söder, Weltpolitik für Merz. An diesem Abend werden die unterschiedlichen Rollen für die Chefs von CSU und CDU für alle deutlich. Da kann Söder noch so häufig über Berlin herziehen und witzeln, der Kanzler habe auf das Festzelt „etwas sehnsüchtig heruntergeschaut“. Er spielt in einer anderen Liga.
Zweimal ist Markus Söder beim Versuch, Kanzlerkandidat der Union zu werden, gescheitert. Gegen Armin Laschet 2021 denkbar knapp, gegen Friedrich Merz 2024 wartete er vergeblich auf Unterstützer-Rufe. Söder blieb in München, Teil eines Kabinetts, in dem er nicht der Chef ist, wollte er nicht werden.
Söder hat weiter Kanzlerambitionen, vermuten sie in der CDU
Mit seinen 58 Jahren läuft ihm inzwischen Zeit davon, doch noch seine Chance fürs Kanzleramt zu bekommen. Dass Söder weiter Ambitionen hat, vermuten die meisten in der Union. Doch Söder hat nicht nur Merz vor sich, sondern kämpft mit schwachen Umfragen. Während die CSU in Bayern sechs Prozent verlor, kletterte die AfD kräftig. Söders Konkurrent, NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst, hat nach der erfolgreichen Kommunalwahl dagegen Rückenwind.
Ausgerechnet der „Franken-Machiavelli“ (Tagesspiegel von 2021) steckt in einer Sackgasse. Doch was macht ein Machtpolitiker ohne Perspektive? In der CDU treibt diese Frage viele um. „Söder ist in Bayern nicht ausgelastet“, sagt ein CDU-Abgeordneter. Viele fürchten, dass Söder schnell wieder der destruktive Quälgeist werden könnte, der er bereits im Bundestagswahlkampf von Laschet war.
© Peter Kneffel/dpa
Schon jetzt registrieren die Abgeordneten genau, wie rücksichtslos die CSU ihre Agenda umsetzt. Während man in der CDU um den „Herbst der Reformen“ ringt, hat die bayrische Schwesterpartei ihre Herzensprojekte, wie die Absenkung der Mehrwertsteuer in der Gastronomie, die Ausweitung der Mütterrente und die Rückkehr zur Agrardiesel-Förderung, bereits eingetütet.
Vor allem Abgeordnete, die in ihrer ersten Legislatur im Bundestag sind, äußern sich hinter vorgehaltener Hand entgeistert über die Skrupellosigkeit der CSU-Spitze. Erfahrenere Kollegen geben sich weniger verwundert und äußern sich anerkennend über die makellose Bilanz nach 130 Tagen.
Söder baut seine Macht in Berlin aus
Und seinen Einfluss in Berlin hat der bayrische Ministerpräsident zuletzt noch ausgebaut. In der Frühkoordinierung, in der bislang Kanzleramtschef Thorsten Frei (CDU) und der SPD-Politiker Björn Böhning die Gesetze überprüfen, bevor sie ins Kabinett kommen, hat Söder jüngst zwei CSU-Politiker installiert. Darunter die Amtschefin der Bayerischen Staatskanzlei, Karolina Gernbauer, eine dezidierte Söder-Vertraute.
„Das ist ein ziemlicher Machtbeweis“, ärgert sich ein CDU-Abgeordneter. „Ich würde in dem Kontext nicht von Macht sprechen“, sagt dagegen der Chef der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Alexander Hoffmann. Es gehe darum, sich besser untereinander zu koordinieren. Es sei zu „Abstimmungsmissverständnissen und Fehlern“ gekommen, so Hoffmann. Selbstverständlich habe man aber auch „den natürlichen Drang“ darauf hinzuweisen, dass die Koalition aus drei Parteien bestehe.
Ein paar Tage vor der Eröffnung des Berliner Oktoberfests in einem Bierzelt 500 Kilometer südlich. Auf dem politischen Gillamoos ist Söder mal wieder der Hauptredner im CSU-Zelt. Zum neunten Mal darf er hier die große Rede halten. Bei der Einlaufmusik unterläuft dem zuständigen Landrat ein Fehler. Für den Star Wars Fan Söder läuft die Filmmusik, allerdings das Stück um Bösewicht Darth Vader.
© dpa/Sven Hoppe
Inhaltlich passt es, denn Söder schafft es bereits in den ersten Sekunden mit Freund und Feind abzurechnen. Merz habe im Vorjahr so sehr geschwitzt, dass „das ganze Pult unter Wasser“ war, auch Wüst habe schon einmal sein Vorredner sein dürfen und der neue Landwirtschaftsminister, den er ausgesucht habe, habe den „Tofu-Terror“ von Cem Özdemir beendet. Die Gags sind alt, kommen beim Publikum aber verlässlich an.
Kabarettisten in Bayern hätten es schwer, seit Markus Söder durch die bayrischen Bierzelte tingelt, heißt es manchmal scherzhaft. „Foodblogger“ nennen ihn viele Grünen-Abgeordnete nur noch wegen der unzähligen Instagram-Posts, auf denen Söder Würste, Haxn und Döner verspeist.
Doch wer Söder auf seine Auftritte im Bierzelt und auf Social Media reduziert, wird ihm nicht gerecht, räumen selbst Kritiker ein. Kaum ein Politiker versteht es, den öffentlichen Diskurs so sehr zu dominieren, wie Söder. „Ohne das Auto wird Bayern und Deutschland auf Dauer keinen Erfolg haben“, sagt er auf dem Gillamoos. Das Verbrenner-Verbot müsse weg. Fast eine Woche wird er mit dieser Forderung die politischen Debatten prägen.
Er ist bis heute ein Politiker, der den Konflikt sucht und Gegner braucht.
Die Söder-Biografen Roman Deininger und Uwe Ritzer über den CSU-Chef.
Den „Volksfest-Präsidenten“ hat die „Bild“-Zeitung Söder einmal getauft, weil er im Wahlkampf in zehn Monaten 110 bayrische Volksfeste besuchte. Doch genau hier erfährt der CSU-Vorsitzende, was im Volk ankommt. Kritik an der Erbschaftssteuer und dem Länderfinanzausgleich, Political Correctness und immer wieder den Grünen. Sein Plädoyer für eine klare Wehrpflicht erhält dagegen nur wenig Applaus. Im Bierzelt misst Söder den bürgerlichen Puls.
Neben seiner Politikshow, die er wie kein anderer in den sozialen Medien zu verbreiten weiß, attestieren die beiden Söder-Biografen Roman Deininger und Uwe Ritzer einen unbändigen Fleiß. Schon in JU-Tagen habe man ihn den „Immer-da-Söder“ genannt. Die andere Seite, so die beiden SZ-Journalisten. Söder sei „ein Politiker, der den Konflikt sucht und Gegner braucht“.
Der Zeitpunkt ist noch unklar, doch der nächste Machtkampf mit Söder scheint unausweichlich. In der CDU – und auch im Kanzleramt – macht man sich darüber keine Illusionen.