Zahlen, bitte! Riesenauflage dank Zeitungsente – The Moon Great Hoax

vor 18 Stunden 2

Vor 190 Jahren erschienen in der New Yorker Arbeiterzeitung "New York Sun" sechs Artikel, in denen ein Autor mit dem Namen Dr. Andrew Grant ausführlich über die angebliche Entdeckung von Leben auf dem Mond berichtete. Er behauptete, mit dem britischen Astronomen John F. W. Herschel, Sohn des hannöversch-britischen Astronomen Wilhelm Herschel, an einem riesigen Teleskop fantastische Geheimnisse des Erdtrabanten entlockt haben.

In fantasievollen Schilderungen waren von Fledermausmenschen, imposanten Bauwerken sowie einer beeindruckenden Mond-Tierwelt die Rede. Das sorgte drei Wochen lang für ein gewaltiges Echo und große Auflage, bis der Chefredakteur der Zeitung kleinlaut zugeben musste, dass die Artikelserie frei erfunden und nichts als eine Zeitungsente war. The Great Moon Hoax gilt als erstes Beispiel einer großangelegten Medienfälschung.

Bitte Zahlen

In dieser Rubrik stellen wir immer dienstags verblüffende, beeindruckende, informative und witzige Zahlen aus den Bereichen IT, Wissenschaft, Kunst, Wirtschaft, Politik und natürlich der Mathematik vor.

Das New York der 1835er war geprägt von der einige Jahre zuvor beschlossenen Abschaffung der Sklaverei und den dazugehörigen Diskussionen. Die Stadt wuchs zudem rapide, obwohl sie bereits die größte Stadt der Vereinigten Staaten war. Sie kam dem Wachstum strukturell nicht hinterher, was sich spätestens im großen Feuer im Dezember des Jahres zeigte. In dieser Zeit waren bahnbrechende astronomische Erkenntnisse eine willkommene Abwechslung vom Alltag. Zudem wurde der Halley’sche Komet im Laufe des Jahres wieder erwartet.

John Frederick William Herschel, in einem Portrait aus dem Jahr 1835, den Jahr des Great Moon Hoax. Er wurde später noch in verschiedensten Ländern auf die Fake-Geschichte angesprochen.

(Bild: W. Ward, gemeinfrei)

Am 25. August 1835 erschien der erste Artikel unter dem Titel "Great astronomical discoveries lately made by Sir John Herschel, L.L.D. F.R.S. &c. At the Cape of Good Hope [From Supplement to the Edinburgh Journal of Science]“. In der Einleitung behauptete die Redaktion, dass der Text bereits in Europa erschienen sei:

"Große astronomische Entdeckungen – Wir beginnen heute Morgen mit der Veröffentlichung
einer Reihe von Auszügen aus dem neuen Anhang zum Edinburgh Journal of Science,
die uns sehr freundlicherweise von einem Arzt direkt aus Schottland zur Verfügung gestellt wurden, als Folge eines Absatzes, der am vergangenen Freitag im Edinburgh Courant erschienen ist ... Wir sind gezwungen, die eher abstrusen und mathematischen Teile der Auszüge wegzulassen ... aber selbst diese können nicht umhin, eine größere Neugier zu wecken und eine erhabenere Befriedigung zu verschaffen, als es
irgendetwas anderes außer einer göttlichen Offenbarung vom Himmel könnte. Nun kann man tatsächlich sagen, dass wir in einem Zeitalter der Entdeckungen leben"

John Herschel habe ein Riesenteleskop mit einer siebeneinhalb Meter großen und sieben Tonnen schweren Linse geschaffen, um die Geheimnisse des Weltalls zu enthüllen. Im ersten Text wurde pseudowissenschaftlich die Entstehung des Teleskops ausführlich beschrieben. Im zweiten beschrieb man erste astronomische Entdeckungen und den Blick auf die Mondwelten.

Das Teleskop habe angeblich "gezeigt, dass der Mond eine Atmosphäre hat, die ähnlich wie unsere eigene aufgebaut ist und in der organisches Leben, also höchstwahrscheinlich auch tierisches Leben, möglich ist.". Der Autor beschrieb, dass die "Lunariens" Tempel, Pyramiden und Denkmäler erbaut hatten. Zudem entdeckten die Forscher angeblich gewaltige, einhörnige Ziegen, zweibeinige Zebras, hirschartige Schafe mit Spiralhörnern, weiße Hirsche, Einhörner und Fledermaus-Menschen, bevor im letzten Artikel das Teleskop durch einen Brand aufgrund von Sonneneinstrahlung teilweise zerstört worden sei.

Vespertilio homo (Fledermausmensch) in der italienischen Ausgabe des Great Moon Hoax von 1836.

(Bild: Delle Scoperte Fatte Nella Luna del Dottor Giovanni Herschel)

Zum Ende der Artikelreihe vermeldete Herausgeber Benjamin Day, dass seine Artikelserie die Auflage der New York Sun auf 19.360 Exemplare hochjagte, angeblich zu der Zeit die höchste Auflage einer Zeitung weltweit. Die Redaktion musste zwischendurch die Auflage durch Nachdruck drastisch erhöhen. Sogar Forschungsinstitute wollten mehr wissen, um die sensationellen Entdeckungen und die außerirdischen Wesen weiter zu erforschen. Auch Missionare wollten mehr erfahren, um eventuell tätig zu werden. Die Geschichten wurden auch später unzählige Male nachgedruckt.

Die fantastische Geschichte hielt sich bis zum 16. September, bis die Zeitung kleinlaut zugab, dass die Geschichten frei erfunden gewesen seien und weder ein Riesenteleskop noch Fledermausmenschen existieren. Der Autor hinter der Artikelreihe wurde jedoch nicht genannt. Richard Adams Locke, ein Reporter, der zu der Zeit für die New York Sun arbeitete, gilt als Autor hinter dem Synonym Dr. Andrew Grant – er soll die Autorenschaft im Jahr 1840 zugegeben haben.

Vermutlich sollte damit satirisch die Sensationsgier nach neuen Entdeckungen und der religiöse Dogmatismus veralbert werden. Die Auflage damit zu steigern, war sicherlich ebenfalls ein Ziel. Überliefert wurde, dass die Leser die Auflösung amüsiert zur Kenntnis nahmen. Es klang wohl zu gut, um wahr zu sein.

Welche Kreise die Zeitungsente weltweit zog, zeigte eine Reaktion von Herschel. Seiner Tante Caroline Herschel gegenüber klagte Herschel später in einem Brief[PDF]: "Ich wurde von allen Seiten mit diesem lächerlichen Schwindel über den Mond belästigt – auf Englisch, Französisch, Italienisch und Deutsch." Und auch Edgar Allen Poe war zeitweilig verärgert über die Artikelreihe: Er warf Locke vor, seine zwei Monate vor dem Artikel erschienene Geschichte "Das unvergleichliche Abenteuer eines gewissen Hans Pfaall" plagiiert zu haben, die einige Parallelen aufwies, zog die Vorwürfe aber später zurück.

Fast genau 190 Jahre später könnte es sein, dass der Mars-Rover Perseverance nun tatsächlich den ersten Hinweis von einstigem Leben auf dem Mars entdeckte. Hier ist aber wohl nicht die Gefahr eines Hoaxes – vielmehr ist zu klären, ob nicht natürliche Prozesse für die gefundenen Fels-Rückstände verantwortlich sind.

(mawi)

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