Zahlen, bitte! 13.210 Kilometer Autobahnnetz in Deutschland

vor 6 Stunden 1

Auch in diesem Jahr werden viele ihren Urlaub auf der Autobahn starten: Bei viel Verkehr, Baustellen und langen Wegen sind bis zum ersehnten Ziel Gelassenheit und Langmut gefragt. Ohne das Autobahnnetz würde die Tour allerdings noch viel länger dauern. Unser Artikel dazu wurde einst viel im heise-Forum diskutiert. Daher haben wir uns erlaubt, ihn zu aktualisieren und als Zahlen, bitte! Classic neu zu veröffentlichen.

"Autobahn“ ist eines der wenigen deutschen Wörter, die weltweit ein Begriff sind: Insbesondere im amerikanischen Raum verbindet man damit die Freiheit, auf einer gut ausgebauten, kreuzungsfreien Straße so schnell zu fahren, wie es das Gaspedal und der Tank hergeben.

In der Realität sprechen das tatsächliche Verkehrsaufkommen und die wachsenden geschwindigkeitsbegrenzten Abschnitte auf dem insgesamt 13.210 Kilometer großen deutschen Autobahnnetz dagegen. Die Autobahn ist dank des Fehlens einer generellen Geschwindigkeitsbegrenzung weltweit ein Mythos.

Bitte Zahlen

In dieser Rubrik stellen wir immer dienstags verblüffende, beeindruckende, informative und witzige Zahlen aus den Bereichen IT, Wissenschaft, Kunst, Wirtschaft, Politik und natürlich der Mathematik vor.

Ein Vorläufer der deutschen Autobahnen entstand zunächst in Berlin. Die Automobil-Verkehrs-und-Übungs-Straße (AVUS), die erste, ausschließlich für Automobile geschaffene Straße, wurde bereits 1909 geplant, aber kriegsbedingt erst 1921 realisiert. Vom Berliner Funkturm aus durch den Grunewald führend, diente sie vor allem als Versuchs- und Rennstrecke, bevor sie 1940 in den Berliner Ring eingegliedert und dadurch von einer Privat- zu einer öffentlichen Straße wurde.

Einen weiteren Impuls bekam die Idee durch die Eröffnung der Autostrada dei Laghi – der ersten reinen Autostraße in Italien, welche von Mailand nach Varese führte und 1924 eröffnet wurde. Sie wurde privat errichtet und sollte über Mautgebühren bezahlt werden.

Die Autobahn 2 bei Hannover mit Blick in Fahrtrichtung Dortmund. Tagsüber wirkt sie oft mit dem Einsetzen des Feierabendverkehrs wie eine Fahrzeugausstellung. Hinten ist eine Verkehrsleitanlage zu sehen

(Bild: Markus Will)

Zur gleichen Zeit existierte eine zeitgenössische Statistik, die besagte, dass die einstige Wiege des Automobils in Sachen individueller Mobilität ins Hintertreffen geriet: So besaß im Schnitt jeder 321. Einwohner ein Automobil in Deutschland. In Frankreich war es jeder 90. In Großbritannien bereits jeder 71 Bürger.

Und in den USA besaß dank Ford sogar jeder Siebte ein Auto. Der Fahrzeugbestand verdoppelte sich in der Weimarer Republik allerdings rasant: Von 100.340 Autos im Jahr 1923 stieg der Bestand auf 206.456 nur drei Jahre später. Im Jahr 1933 waren es bereits fast 800.000 Kraftfahrzeuge.

In diesem Klima der enorm wachsenden Automobilität wollte der am 6. November 1926 in der Geschlechterstube im Rathaus von Frankfurt gegründete Verein Hamburg - Frankfurt - Basel (HAFRABA) eine kreuzungsfreie Autostraße errichten, die die namensgebenden Städte miteinander verbinden sollte. Die Finanzierung sollte wie beim italienischen Vorbild durch Mautabgaben gesichert werden, die sich wie folgt staffelten:

  • Automobil mit Fahrer: 3 Pfennig pro Kilometer
  • Jeder weiterer Mitfahrer: 1 Pfennig pro Kilometer
  • Lastkraftwagen: 2 Pfennig pro Kilometer
  • Fracht: ½ Pfennig pro Tonne und Kilometer

Kopf und erster Vorsitzender des Vereins wurde der Geheime Regierungsrat Professor Robert Otzen von der Technischen Hochschule Hannover. Er war sehr angetan von dem italienischen Vorbild und wollte dies Autostraßen-Konzept unbedingt auch in Deutschland verwirklichen.

Die Einfahrt zur legendären Autobahn markiert dieses Schild. Oder wie der Gesetzgeber so lyrisch beschreibt: Richtzeichen nach Anlage 3 zu § 42 StVO: Verkehrszeichen 330.1 Autobahn

(Bild: Gemeinfrei)

Geplant war eine Autobahntrasse von Hamburg über Hannover, Kassel, Frankfurt am Main bis nach Basel und weiter nach Italien. Die damals geplante Verbindung entspricht in etwa dem Trassenverlauf der heutigen A7/A5 von Hamburg bis Frankfurt.

Robert Otzen prägte auch um 1930 herum den Begriff "Autobahn" als Abgrenzung zur Eisenbahn. Ironischerweise ging von den Nazis der größte Widerstand gegenüber diesen Plänen aus: Sie sahen darin ausufernde Kosten und ideale Leitsysteme für feindliche Bomber. Diese Haltung sollte sich mit der Machtergreifung durch Hitler 1933 fundamental ändern.

Nun war die Autobahn nicht mehr ein überflüssiger Kostenfaktor, sondern ein Propagandaprojekt ersten Ranges und eine große Arbeitsbeschaffungsmaßnahme. Die Nazis übernahmen nicht nur die von der HaFraBa ausgearbeiteten, detaillierten Pläne, sondern nannten auch die Organisation um in Gesellschaft zur Vorbereitung der Reichsautobahn (GEZUVOR) um. Sie beanspruchten dabei auch gleich die Urheberschaft für die Idee der Autobahn. Der Propaganda-Legende nach will Adolf Hitler bereits 1923 die Idee für die Autobahnen gehabt haben, wofür es allerdings keinerlei Belege gibt.

Aber irgendwie musste man den Zeitverzug erklären, denn selbst die Eröffnung der ersten Autobahn verpasste der Diktator: Bereits am 6. August 1932 eröffnete der damalige Kölner Bürgermeister Konrad Adenauer die Strecke Köln-Bonn, die schon die meisten Merkmale einer Autobahn trug.

Danach ging es Schlag auf Schlag: Bis zum Kriegsende 1945 wurden dann unter teilweise mörderischen Bedingungen 3746 Kilometer Autobahn geschaffen. Tote waren in auf den Autobahnbaustellen keine Seltenheit. Im Zweiten Weltkrieg spielten die Autobahnen aber eine untergeordnete Rolle: Zum einen waren erste Autobahnen noch nicht schwerlasttauglich, zum anderen wurden die meisten Truppen und Kriegswaffen über Eisenbahnen transportiert.

Die Rettungsgasse schematisch dargestellt. Die Fahrzeuge der ersten Fahrspur links weichen nach Links aus, die Teilnehmer der restlichen Fahrspuren nach rechts, unabhängig der Anzal der Spuren. in einer Baustelle hält man ausreichend Abstand zum Vordermann.

(Bild: CC BY-SA 4.0, Partynia)

Nach dem Krieg begann mit dem Wirtschaftswunder auch der erlahmte Autobau wieder Fahrt aufzunehmen. Mit Kleinwagen wie dem VW Käfer, Lloyd Alexander, BMW Isetta oder Opel Kadett bereisten die Bundesbürger den Brenner mit dem Reiseziel Italien. Die ursprüngliche HAFRABA-Strecke wurde übrigens 1962 fertiggestellt.

Bis 1970 wuchs das westdeutsche Autobahnnetz gemächlich auf 4110 Kilometer. 1990 waren es bereits 8822 Kilometer. Mit der Wiedervereinigung und neuen Autobahnprojekten wuchsen die Autobahnen auf die erwähnten 12.996 Kilometer im Jahr 2017. Nur Spanien hat EU-weit mit über 15.000 Kilometer ein größeres Netz. Insgesamt haben die Autobahnen der EU eine Gesamtlänge von etwa 80.000 Kilometer.

Insgesamt existieren in Deutschland 137 Autobahnkreuze, 106 Autobahndreiecke, 2260 Anschlussstellen und etwa 17895 Brücken. Die Wartung und Reinigung der Straßen übernehmen die Mitarbeiter von circa 190 Autobahn- und Straßenmeistereien (die in Braunschweig auch schon mal die Expertise einer Elfenbeauftragten zu Rate ziehen). In 40 Autobahnkirchen kann man sich für die Weiterfahrt göttlichen Beistand holen. Wenn der himmlische Beistand alleine nicht hilft, helfen etwa 250 Dienststellen der Polizei weiter.

Die auf Bundesautobahnen zurückgelegten Kilometer lagen 1970 bei gemächlichen 35.000.000.000 Kilometer. Die Fahrleistung stieg auf 238.900.000.000 Kilometer im Jahr 2023 [PDF].

Obwohl sich die Nutzung vervielfachte, nahm die Anzahl der getöteten Verkehrsteilnehmer dank vieler Sicherheitsfeatures wie Gurt, Airbag und ABS seit 1970 von 945 auf 284 Getötete im Jahr 2024 ab; die Unfallzahlen dagegen stiegen von 15650 (1970) auf 19460 (2024).

Übersicht der erlaubten Höchstgeschwindigkeiten auf Europas Autobahnen. In den Niederlanden gilt von 6 bis 19 Uhr Tempo 100. Außerhalb der Zeit darf - sofern nicht beschränkt - Tempo 130 gefahren werden. Die Farben deuten darauf hin, ob in dem Land Autobahnschilder grün oder blau unterlegt sind.

(Bild: ProloSozz, Lizenz Creative Commons CC BY 3.0 )

Mit dem rapide zunehmenden Verkehrsaufkommen stieg auch die Stauhäufigkeit. 2024 wurden laut ADAC insgesamt 516.000 Staumeldungen bundesweit gezählt. Die Staulänge betrug 859.000 Kilometer und insgesamt erhöhten sich die Staustunden auf 448.000 Stunden.

Um Staus zu reduzieren und den Verkehr besser zu steuern, setzt die Bundesregierung auf IT-gestützte Verkehrsleitsysteme, die vor Staus, Unfällen und Witterungseinflüssen besser warnen und das Verkehrsaufkommen leiten sollen. Verkehrsleitsysteme wurden im Jahr 2020 bundesweit vereinheitlicht, um eine bessere Koordinierung zu erreichen. .

Überhaupt ist die Zukunft elektronisch bestimmt. Selbstfahrende Systeme sind bereits in einem geringen Maße und unter strengen Voraussetzungen zugelassen – dafür eignen sich eben vor allem Autobahnen aufgrund ihrer kreuzungsfreien Charakteristika ideal.

Apropos elektrisch: Die Anzahl der E-Autos wächst beständig in Deutschland, im Hinblick auf der Anzahl E-Säulen an Raststätten sieht der ADAC aber noch Luft nach oben. Im Jahr 2030 könnte zudem laut einer Studie zudem der E-LKW die Verbrenner verdrängen.

Den Autobahn-Kult forcierte auch die deutsche Band Kraftwerk. Mit dem Album "Autobahn" begann 1974 nicht nur die Transformation der Band von einer typischen experimentellen Krautrockband hin zu den reduzierten, elektronischen Klängen, die unzählige Bands der 80er inspirierte, sondern auch deren Durchbruch. Insbesondere in den USA hatten sie damit einen enormen Erfolg. Was möglicherweise daran liegt, dass der Refrain "Fahr'n fahr'n auf der Autobahn!" ähnlich klingt wie "fun fun fun at the Autobahn!". Als weiteres missgedeutetes deutsches Wort sorgt übrigens der Begriff "Ausfahrt" bei Amerikanern für Schmunzeln. Erinnert es doch ganz stark an den englischen Begriff "Fart".

Bleibt nur noch der Wunsch nach einer allzeit guten Fahrt, verbunden mit dem Hinweis, beim nächsten Stau auf eine Rettungsgasse zu achten. Die kann unter Umständen Leben retten.

(mawi)

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