„Wir brauchen dringend eine Verschnaufpause“: So blicken die betroffenen Kommunen auf den Familiennachzug

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An diesem Freitag stimmt der Bundestag über die Aussetzung des Familiennachzugs für bestimmte Geflüchtete ab. Und damit über eine weitere Stellschraube der sogenannten Migrationswende der Bundesregierung. Bereits Ende Mai hat das Bundeskabinett einen entsprechenden Gesetzentwurf von Innenminister Alexander Dobrindt beschlossen.

Demnach sollen subsidiär Geschützte, wie schon von März 2016 bis Juli 2018, zwei Jahre lang keine Familienangehörigen mehr nach Deutschland holen dürfen. Dabei handelt es sich um Geflüchtete, die in Deutschland zwar kein Asyl oder Flüchtlingsschutz bekommen, aber trotzdem bleiben dürfen, weil ihnen in ihren Heimatländern Folter oder die Todesstrafe droht. Laut neuesten Zahlen lebten Ende März rund 388.000 subsidiär Geschützte in der Bundesrepublik.

Allerdings entfiel im vergangenen Jahr nur ein Bruchteil der rund 120.000 zum Zweck der Familienzusammenführung ausgestellten Visa auf diese Gruppe. Denn deren Nachzug ist bereits seit 2018 streng begrenzt – auf 1000 Personen pro Monat, also 12.000 im Jahr.

Auch deshalb ist das Vorhaben im politischen Berlin umstritten. „Statt irreguläre Migration zu bekämpfen, verschließt die Bundesregierung die letzten legalen Fluchtwege und zwingt Frauen und Kinder auf gefährliche, oft tödliche Routen“, sagte etwa Clara Bünger, innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, dem Tagesspiegel. Das Vorgehen sei „ein menschenrechtlicher Skandal“, so Bünger.

Auch von Grünen, Jusos und Kirchen kam teils scharfe Kritik. CSU-Landesgruppenchef Alexander Hoffmann hingegen sieht „einen Schritt in die richtige Richtung.“

Aber wie sehen jene die Pläne, die in den Kommunen seit Jahren händeringend an Unterbringung und Integration von Geflüchteten arbeiten? Zwei Bürgermeister und ein Landrat berichten:


Richard Arnold, CDU, Oberbürgermeister Schwäbisch-Gmünd

„Das Ziel der Aussetzung des Familiennachzugs ist ganz klar, Zeit zu gewinnen. Und wir als Kommunen brauchen auch ganz dringend eine Verschnaufpause. Wir sind seit über zehn Jahren in einem Krisenmodus, was die Aufnahme und die Integration von Geflüchteten angeht.

Richard Arnold, CDU, Oberbürgermeister von Schwäbisch-Gmünd, sieht seine Kommune am Limit.

© Hostrup Fotografie

Und heute haben wir schlicht eine ganz andere Lage als etwa noch um 2015 herum, sowohl was die Akzeptanz der Bevölkerung als auch die wirtschaftliche Situation angeht. Die Kommunen sind finanziell in einer sehr prekären Lage, wir können zum Beispiel bitter nötige Sanierungen gar nicht durchführen – und werden bei der Integration von Bund und Ländern im Stich gelassen.

Das führt zu einer unschönen Gemengelage: Jede neue Person, die jetzt kommen würde, ginge zulasten derjenigen Geflüchteten, die schon hier sind. Weil wir uns schlicht nicht richtig kümmern können. Schon jetzt sehen meine Mitarbeiter und die Ehrenamtlichen zeitweise gar kein Licht mehr am Ende des Tunnels. Und das ist der Punkt, an dem es kippt – auch die Stimmung in der Bevölkerung.

Wir können nicht denjenigen einen Vorwurf machen, die falschen Anreizen folgen. Vielmehr müssen wir das System verbessern.

Richard Arnold, CDU, Oberbürgermeister von Schwäbisch-Gmünd

Beispielsweise haben wir hier derzeit schon Schulklassen, bei denen 50 Prozent der Kinder kein oder kein gutes Deutsch sprechen. Die Lehrkräfte sagen mir, dass sie beim besten Willen keinen vernünftigen Unterricht mehr durchführen können, wenn zusätzlich noch jede Woche ein neues Kind in der Tür steht, das die Sprache nicht beherrscht.

Deshalb ist diese Aussetzung richtig und wichtig. Zwar betrifft es im vorliegenden Fall nur einen kleinen Teil der Zuwandernden, aber womöglich bietet es auch die Gelegenheit, über das etablierte Verfahren neu nachzudenken und es zu verbessern. Etwa, ob es wirklich richtig ist, dass viele automatisch ins Bürgergeld-System kommen. Denn letztlich können wir nicht denjenigen einen Vorwurf machen, die falschen Anreizen folgen. Vielmehr müssen wir das System verbessern.“


Thomas Jung, SPD, Oberbürgermeister von Fürth

„Die Aussetzung des Familiennachzugs ist ein Gebot der Vernunft und sogar der Humanität. Zu dieser Einschätzung komme ich aufgrund der Situation in Fürth. Meine Sozialamtsleitung hat mir berichtet, dass wir pro Monat durchschnittlich eine Familie haben, die über den Familiennachzug nach Fürth kommt. Das läuft faktisch so ab, dass ein alleinstehender Mann, der in einer Gemeinschaftsunterkunft lebt, eine Vielzahl von Familienmitgliedern nachholt.

Thomas Jung (SPD), Oberbürgermeister von Fürth, sieht den Familiennachzug in seiner heutigen Form kritisch.

© IMAGO/Uwe Koch

Das sind meist sieben bis zehn. Für diese Personen hat er weder ausreichendes Einkommen, noch ausreichenden Wohnraum. Für diese Familien wird dann über organisierte Institutionen ein Obdachlosenstatus reklamiert, mit der Verpflichtung der Kommune zur Unterbringung. Wir haben in Fürth für zehn Millionen Euro ein neues Obdachlosenheim gebaut, welches im September fertiggestellt wird. Bereits nach zehn bis zwölf Monaten wäre es voll, wenn die Praxis des Familiennachzugs weitergeführt wird. Allerdings kann die Stadt Fürth nicht alle zehn bis zwölf Monate ein neues Obdachlosenwohnheim bauen.

Es ist für mich inhuman, Kinder und Frauen nach Deutschland zu holen, damit sie dann in Obdachlosenunterkünften verwahrt werden.

Thomas Jung, SPD, Oberbürgermeister von Fürth

Außerdem bedauere ich all die Kinder und Frauen, die in solchen Obdachlosenheimen unterkommen müssen. Sie werden da zwangsläufig auch konfrontiert mit Alkoholkranken, psychisch Kranken oder drogenabhängigen Menschen und mit Zuständen und menschlichen Erfahrungen, die man keinem Kind der Welt zumuten möchte.

Es ist für mich daher inhuman, Kinder und Frauen nach Deutschland zu holen, damit sie dann in Obdachlosenunterkünften verwahrt werden. Gegen einen Familiennachzug ist grundsätzlich nichts einzuwenden. Er kann sogar sozialpolitisch und integrationspolitisch stabilisieren, aber nur, wenn ausreichend Einkommen da ist, um die Familie ohne Sozialleistung zu ernähren und wenn ausreichend Wohnraum bereits beim Zuzug vorhanden ist, damit die Familie ordentlich wohnen kann. Nur dann kann Integration auch gelingen.“


Thomas Jendricke, SPD, Landrat des Landeskreises Nordhausen

„In der Anfangszeit der erneuten Flüchtlingswelle aus der Ukraine ab Frühjahr 2022 war jede weitere Asylaufnahme eine Belastung für die Kommunen. Inzwischen hat sich das Ankunftsgeschehen seit dem Jahr 2024 insgesamt stabilisiert. 

Thomas Jendricke, SPD-Landrat, unterstützt die Linie der Bundesregierung.

© Landratsamt Nordhausen

Allerdings ist die Möglichkeit des Familiennachzugs – neben den im Vergleich besseren Sozialleistungen in Deutschland – auch ein Signal an Asylsuchende, lieber nach Deutschland zu gehen als in andere Länder der EU. Und um dieses Signal nicht länger zu senden, ist es wichtig, diese Faktoren im Moment zurückzuschrauben. Dazu gehört auch der Familiennachzug für subsidiär Schutzberechtigte. Insofern finde ich die Entscheidung des Bundeskabinetts richtig.

Anders sehe ich die Situation, wenn Geflüchtete nach ihrer Einbürgerung ihre Familie nach Deutschland holen, denn dann haben sie gezeigt, dass sie sich integrieren wollen, die Sprache gelernt haben und auch für ihren Lebensunterhalt selbst sorgen können.“

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