Die Lesbarkeit eines Textes, so der französische Dichter Paul Valéry, beruhe auf seiner Deutlichkeit für das Auge. Lektüre hat er als eine „sich fortfressende Flamme“ bezeichnet, als „einen Faden, der vom einen Ende zum anderen abbrennt, mit kleinen Explosionen hin und wieder und Momenten helleren Erglühens“.
Lesbarkeit heiße, dieses Verzehren des Geschriebenen um geistiger Ereignisse willen zu erleichtern. Valéry dachte dabei gewiss mehr an Gedichte und Essays als an die meist wenig erglühenden Förderbescheide eines Ministeriums.
Mit moralischer Zusatzbedeutung aufgeladen
Dennoch ist die liberal sich gebende Aufforderung „Schreibt doch, wie ihr wollt“ aus dem von ihm angegebenen Grund auch außerhalb des sorgfältigen Schreibens nicht sinnvoll. Weder an Schulen noch im öffentlichen Schriftverkehr oder in der wissenschaftlichen Kommunikation. Denn das Schreiben nach Gusto lenkt die Lektüre ab.
Kulturstaatsminister Wolfram Weimer hat in diesem Sinne die soeben getroffene Anweisung, in seinem Ministerium das Gendern zu unterlassen, vor allem ästhetisch begründet. Sternchen, Doppelpunkte, das Binnen-I und Unterstriche, die angeblich geschlechtssensibel sein sollen, beschädigten die Schönheit der deutschen Sprache. Wie sprachschön nun immer Emails und Vermerke eines Ministerium sind, Weimer trifft den Punkt Valérys.
Denn Worten und Sätzen, die ganz anderes mitteilen wollen, wird durch das Gendern eine moralische Zusatzbedeutung aufgeladen. Außer an Bäcker, Bürger und Künstler soll stets auch noch daran gedacht werden, dass sie in zwei biologischen Geschlechtern auftreten können.
Genau so gut könnte man sich zusätzliche Sonderzeichen für arme im Unterschied zu reichen Künstlern vorstellen oder solche, die insistieren, auch Migranten seien „mitgemeint“.
„Im Übrigen“ sind Frauen mitgemeint
Wer in Unkenntnis der Differenz zwischen biologischem und grammatischen Geschlecht findet, Zweifel am Mitgemeinten ausräumen zu sollen, könnte das selbstverständlich ganz leicht im Verlauf eines Textes tun.
Das „im Übrigen ist auf die Zugehörigkeit von Frauen hinzuweisen“ zieht Widerstände nicht wegen der Frauen auf sich. Sondern wegen des ständigen „im Übrigen“, der ritualisierten Ablenkung.
Es kommt, im Bild Valérys, zu ständigen kleinen Explosionen bei jedem maskulinen Substantiv, das eine Personengruppe meint. Apropos Ablenkung: Wenn der „Spiegel“ anlässlich von Weimers Anordnung schreibt, unter den Politikern hätten nur Männer etwas gegen das Gendern, so kann sich Bildungsministerin Katrin Prien (CDU) nicht mitgemeint fühlen.