Nach mehr als einem Jahr Krieg haben sich Israel und die Hisbollah auf eine erste Waffenruhe geeinigt. Ein Erfolg für Netanjahu. Aber was wird aus Gaza?
27. November 2024, 0:27 Uhr
Als die Hisbollah am Tag nach dem Hamas-Angriff ebenfalls mit dem Beschuss auf Israels Norden begann, erklärte Anführer Hassan Nasrallah: Man unterstütze damit die Palästinenserinnen und Palästinenser im Gazastreifen. Ein Ende der Angriffe aus dem Libanon sei geknüpft an einen Waffenstillstand zwischen Israel und der Hamas, hieß es wiederholt von der Terrormiliz.
Mehr als ein Jahr später hat die Hisbollah nun einer 60-tägigen-Waffenruhe mit Israel zugestimmt. Das Abkommen soll ab Mittwochmorgen in Kraft treten, bis dahin ist mit weiterem Beschuss auf beiden Seiten zu rechnen. Hassan Nasrallah ist im September getötet worden, nachdem Tausende, mutmaßlich von Israel, mit Sprengsätzen präparierte Pager und Funkgeräte der Hisbollah explodierten. Wenig später marschierten israelische Bodentruppen im Südlibanon ein, parallel bombardierte die Luftwaffe teils täglich Stellungen der Hisbollah in Beirut wie im gesamten Land. Laut libanesischen Gesundheitsbehörden wurden dabei bisher mindestens 3.670 Menschen im Libanon getötet. Israels Armee erklärte, 3.100 der Getöteten seien Kämpfer der Hisbollah und anderer Terrororganisationen gewesen. Unabhängig überprüfen lassen sich die Angaben nicht.
Nach einem Jahr Krieg sei die Hisbollah sehr geschwächt, sagte Netanjahu in einer Erklärung am Dienstag, bei der für die Zustimmung seines Kabinetts zu dem Abkommen warb − und der Öffentlichkeit das Abkommen als Erfolg präsentierte: Nach einer Waffenruhe werde man sich auf den Konflikt mit dem Iran konzentrieren können, so der Premier. Wie mehrere Medien aber berichten, soll Netanjahu auf Druck der USA zugestimmt haben: "Es besteht Einigkeit darüber, dass Israel Trump etwas schenken würde", zitierte vergangene Woche etwa die Washington Post einen namentlich nicht genannten israelischen Offiziellen. Demnach werde Netanjahu einer Waffenruhe mit der Hisbollah noch vor Amtsantritt des erneut gewählten US-Präsidenten im Januar zustimmen.
Kriegserschöpfung auf israelischer Seite
Die Zustimmung des israelischen Kabinetts erfolgte am späten Dienstagabend. Wie das Medienportal Axios berichtet, soll nur der rechtsextreme Sicherheitsminister Itamar Ben-Gvir seine Zustimmung verweigert haben. Ben-Gvir hatte sich bereits im Vorfeld gegen eine Waffenruhe ausgesprochen, ohne aber mit Konsequenzen zu drohen. Insgesamt soll innerhalb der Koalition wie auch in der Armee relative Einigkeit über eine Waffenruhe geherrscht haben, berichtet die israelische Tageszeitung Haaretz. Der Grund sind demnach aber nicht nur die Erfolge Israels gegen die Hisbollah, sondern auch die Kriegserschöpfung auf israelischer Seite.
Laut israelischer Armee hat die Hisbollah seit Kriegsbeginn mehr als 12.400 Raketen und Drohnen auf Israel abgefeuert. Die meisten Angriffe erfolgten mit Panzer-Abwehrraketen, zerstörten viele der Grenzorte teils vollständig. Durch den Einmarsch der israelischen Bodentruppen ebbten die Angriffe bald ab, stattdessen flogen verstärkt Langstreckenraketen und Drohnen bis ins Zentrum von Israel. Im Oktober traf eine Drohne das Privathaus von Netanjahu im Küstenort Caesarea. In den vergangen Wochen konnte das Raketenabwehrsystem nicht alle Angriffe abwehren. 44 Zivilisten wurden in Israel getötet, mehr als die Hälfte Angehörige der arabischen Minderheiten, die vor allem im Norden leben. Außerdem wurden 71 israelische Soldaten getötet.
Israels Norden ist seit den ersten Hisbollah-Angriffen weitgehendes Sperrgebiet geworden. Zunächst wurden rund 60.000 Bewohnerinnen und Bewohner der unmittelbaren Grenzorte evakuiert. Seit Beginn der israelischen Bodenoffensive wurden die Metropole Haifa, das Karmiel-Gebirge, das Gebiet um den See Genezareth teilweise täglich angegriffen. Im Sommer brannten großflächig Wälder und Felder ab. Auch auf libanesischer Seite muss die Verwüstung massiv sein. Wie israelische Soldaten und Reservisten berichten, sollen unter vielen der Häuser in den libanesischen Grenzorten Tunnelsysteme gefunden worden sein.