Vier Alben in Kurzkritiken :
Vier Alben in Kurzkritiken :
Sind nicht alle Pastoralen Elegien?
12.08.2025, 19:16Lesezeit: 3 Min.

Stanislav Kochanovsky präsentiert seine erste Einspielung mit der Radiophilharmonie des NDR, Mulo Francel und Rami Attallah musizieren gemeinsam, Marcel Tadokoro interpretiert Adolf Henselt, und Das B verbeugt sich vor John Coltrane.
Die dritte Orchestersuite op. 55 ist ein besonders hintersinniges Werk Peter Tschaikowskys. Sie beginnt mit einer zarten Pastorale in G-Dur, die aber als „Élégie“ betitelt ist. Tschaikowsky weiß um die Tradition des Elegischen im Genre der Pastorale. „Et in Arcadia ego“ sind die Worte des Todes: Ihn gibt es sogar im ländlichen Idyll. Und so bricht das „Dies irae“ der lateinischen Totenmesse mitten in den Finalsatz. Stanislav Kochanovsky, seit 2024 Chefdirigent der Radiophilharmonie des NDR Hannover, hat dieses Kunststück für seine Debüt-CD mit dem neuen Orchester gewählt (Harmonia Mundi). Und zu bewundern ist sein Ton hintergründiger Innigkeit, die bebende Zurückhaltung, besonders in der Valse mélancolique des zweiten Satzes, der zarte, schlanke Streicherklang in der Élégie bei gleichzeitig langen Phrasen. Im Prélude zu „La princesse lointaine“ von Nikolai Tscherepnin und im Capriccio espagnol von Nikolaj Rimski Korsakow sind zudem die sensible Einbettung blühender Bläsersoli in einen delikaten Streicherklang zu bewundern. (jbm.)
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Miles Davis’ „Nardis“ eröffnet, in einer schleichenden Kaffeehaus-Variante, die gut in den Film „Charade“ mit Audrey Hepburn gepasst hätte, dieses Album. Es ist die einzige Cover-Version auf „Global Players“ (GLM/Edel), auf dem sich der Quadro-Nuevo-Saxofonist Mulo Francel mit dem ägyptischen Pianisten Rami Attallah und dessen Band zusammengetan hat. Francel und Attallah teilen sich die Songwritig Credits, ein Lied („Frédéric“) hat Schlagzeuger Robert Kainar beigesteuert. Rami Attallah kommt aus einer musikalischen Familie – sein Großvater hat für Louis Armstrong getrommelt – und begreift Musik auch als Gelegenheit, mit anderen Menschen in Kontakt zu treten. Der elegante Jazz des Ensembles harmoniert prächtig mit den feinsinnig groovenden Balladen und der delikaten Latin Music wie etwa Mulo Francels „Olive di Guardistallo“ (ein Dorf in der Toskana). Neben den beiden Protagonisten sind es vor allem Kainar, der zweite Schlagzeuger Stephan Emig und der Perkussionist Amir Ezzat, die die Musik in Schwung bringen. (roth)
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Er zählte europaweit zu den bedeutendsten Pianisten seiner Generation. Adolf Henselt (1814 bis 1889) wurde vom Mozart-Schüler Hummel als Virtuose ausgebildet, war aber auch ein beachtlicher, von Kollegen wie Schumann und Liszt bewunderter Tonsetzer. Auf sein jahrzehntelanges Wirken in Petersburg geht die legendäre russische Klavierschule zurück. Vom Erbe seiner Tastenkunst haben noch Skrjabin und Rachmaninow profitiert. Marcel Tadokoro hat nun Henselts genialische „Douze Études caractéristiques de Concert“ op. 2 und die kompositorisch anspruchsvollen „12 Études de salon“ op. 5 aufgenommen (Naxos). Sein flüssig-elegantes, tief ins SchwarzWeiß des Flügels einsinkendes Spiel lässt die horrend schwierigen Exerzitien als Perlen romantischer Tonpoesie aufblühen. Mal toben leidenschaftliche Akkordgewitter, mal wird wohlig glitzerndes, über mehrere Oktaven ausgebreitetes Harmoniegeflecht durchzogen von sehnsuchtsvollen Melodien, die sich plötzlich erhitzen und in funkenstiebende Notenbündel auflösen. (wmg.)
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Vor sechzig Jahren veröffentlichte John Coltrane sein Album „A Love Supreme“, für viele der Höhepunkt seines Schaffens und bis heute wichtigster Bezugspunkt des Spiritual Jazz. Entsprechend sind die Coverversionen Legion. Eine der ungewöhnlichsten ist jetzt unter dem schlichten Titel „Love“ beim Label Thanatosis erschienen. Das Berliner Quartett Das B hält sich in seiner Hommage an die vierteilige Struktur von Coltranes Suite. Es folgt allerdings nur andeutungsweise der harmonischen Form. Die Melodien werden gleich ganz außer Acht gelassen: Magda Mayas hebt am präparierten Klavier den Schlagwerkcharakter ihres Instrument hervor, Mazen Kerbaj verzichtet auf das herkömmliche Mundstück seiner Trompete. Stattdessen erzeugt er mithilfe von Schläuchen, Wasserschüsseln und Gummibändern alle Arten von quietschenden, knatternden und gurgelnden Geräuschen. Ergänzt durch Kontrabass und Schlagzeug, entwickeln die vier Musiker ihre Version von „A Love Supreme“ aus der rhythmischen Bewegung heraus. Der Pulsschlag von „Love“ ist dabei von derselben drängenden, gen Himmel strebenden Unbedingtheit wie der des Originals. (tol)