Videospiel „Ghost of Yōtei“: Nach Rache steht ihr Sinn

vor 2 Tage 2

Eine Frau, die alles verloren hat, schnappt sich ein Samurai-Schwert und beginnt einen blutigen Rachefeldzug gegen ihre Peiniger, die sich mit Tiernamen schmücken. Kommt Ihnen das bekannt vor? Vielleicht haben Sie Quentin Tarantinos „Kill Bill“-Filme mit Uma Thurman im Sinn und denken an das Blockbusterkino der frühen Zweitausen­derjahre zurück, als man Filme noch auf der großen Leinwand genoss.

Doch was sollen erst die Videospieler sagen? Aufwendige und ambitionierte Titel werden immer seltener, die steigenden Produktionskosten sind kaum noch reinzuholen, der Markt wird mit mittelmäßigen Onlinespielen überschwemmt. Neue Marken aufzubauen kann schnell zu einem finanziellen Fiasko führen. Die wenigen großen Entwicklerstudios bleiben bei ihren bewährten Erfolgsformeln.

Atsu gegen die Yōtei Sechs

Das gilt auch für „Ghost of Yōtei“, den Nachfolger von „Ghost of Tsushima“, der seit Anfang Oktober exklusiv für die Playstation 5 erhältlich ist. Sonys hauseigenes Studio Sucker Punch macht mit der Fortsetzung keine Experimente und geht kaum ein Risiko ein. Trotzdem ist das Spiel um die Protagonistin Atsu und ihren Rachefeldzug gegen die Yōtei Sechs im feudalistischen Japan des frühen 17. Jahrhunderts grandios geworden. Simple Plots funktionieren oft am besten: Als Atsu noch klein war, überfielen die Yōtei Sechs ihr Elternhaus auf der japanischen Insel Hokkaidō, damals Ezo, und ermordeten ihre Familie. Sie überlebte das Massaker, ließ sich zur Meisterin im Schwertkampf ausbilden und machte es sich zur Lebensaufgabe, die Mörder zu finden und zu bestrafen.

 Szene aus „Ghost of Yōtei“Durch Kirschblütenwiesen unterwegs zur Vergeltung: Szene aus „Ghost of Yōtei“Sony Interactive Entertainment

Inspiriert ist „Ghost of Yōtei” nicht nur von Akira Kurasawas Samurai-Filmen, auch die Parallelen zu „Kill Bill“ sind offensichtlich – grotesk überzeichnete Bösewichte mit Tiernamen, stilisierte Gewaltszenen und eine von Rachegedanken zerfressene Protagonistin. „Rache ist nie ein geradliniger Weg“, heißt es in Quentin Tarantinos Film. „Sie ist wie ein dichter Wald. Und in einem Wald kann man sich verirren.“ Und wie gerne wir uns in „Ghost of Yōtei“ verirren! Eben noch sucht Atsu nach Hinweisen zu dem Aufenthaltsort von Fürst Saito, dem Drahtzieher des brutalen Überfalls auf ihre Familie, da lässt sie sich von einem bunten und zwitschernden Vogel ablenken, der sie zur nächsten heißen Quelle führt. Beim Bad mit Aussicht über die Berge sinniert Atsu über den Sinn des Lebens und erhöht ganz nebenbei ihre maximale Gesundheit, was ihr später den Kampf gegen Fürst Saitos Schergen leichter machen wird.

Ablenkung, soweit das Auge reicht

„Ghost of Yōtei“ steckt voller Ablenkungen. Am Bambusstand verbessert Atsu ihre Geschicklichkeit, in den Spielhöllen zockt sie um seltene Talismane, und an den Holzbrettern der verschiedenen Ortschaften in Ezo sammelt sie Steckbriefe von Gaunern ein, auf die ein fettes Kopfgeld ausgesetzt ist. Künstlich in die Länge gezogen wirkt das Spiel trotzdem nicht. Im Gegenteil zeigt Suckers Punch der Konkurrenz, wie ein Open-World-Spiel in einer Zeit auszusehen hat, in der eigentlich niemand mehr Lust hat auf offene Welten und lange Spielzeiten, überfrachtete Karten mit unzähligen Wegmarken und Nebenaufträge, die sich darin erschöpfen, Briefe von A nach B zu tragen. In „Ghost of Yōtei“ muten die Kämpfe gegen fiese Wegelagerer, die Atsu in der Graslandschaft eine Falle stellen (auch auf sie ist ein hohes Kopfgeld ausgesetzt), zunächst rein zufällig und willkürlich an, am Ende verrät ein Überlebender aber womöglich ein wichtiges Detail, das dem Spieler einen neuen Auftrag verschafft.

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Und auch von diesem Auftrag wird man wieder abgelenkt, und sei es auch nur, weil die Natur in „Ghost of Yōtei“ zum Verlieben schön aussieht. Im Galopp reiten wir mitten durch die farbenfrohe Blumenwiese, aus der ein Vogelschwarm Richtung Horizont abhebt, nebenan weidet eine Pferdeherde auf dem Grasland, im Hintergrund erhebt sich der schneebedeckte Gipfel des Yōtei. Für solche Spiele gibt es die Playstation 5, leider sind sie viel zu selten geworden.

Genug der Ablenkungen, früher oder später muss sich Atsu ihrem Schicksal stellen und – kämpfen, sehr viel kämpfen. Immer wieder wechselt das Spiel abrupt von der traumhaften Idylle ins pure Gemetzel. Gegen Saitos Schergen ist Atsu auf sich allein gestellt, dafür findet sie im Lauf ihres Abenteuers zahlreiche Waffen und Hilfsmittel, die ihr einen entscheidenden Vorteil verschaffen. Das Katana (Langschwert) ist die Standardausrüstung, mit Sicheln bewaffnete Widersacher hält sie mit ihrem Speer auf Distanz, und mit dem schweren Zweihandschwert „Odachi“ haut sie die ganz großen Kerle um. Wenn es ungemütlich wird, zündet Atsu eine Rauchbombe und fällt den Feinden in den Rücken, oder sie bleibt gleich auf Distanz und setzt auf ihren Bogen oder das Gewehr. Fast alles funktioniert wie im Vorgängerspiel „Ghost of Tsushima“, nur etwas variantenreicher und flüssiger.

Spätestens nach 15 Stunden Spielzeit und Hunderten Kämpfen auf Leben und Tod spricht ganz Ezo von der vermeintlich unsterblichen Kämpferin, die aus jedem Duell als Siegerin hervorgeht. In der Vorstellung ihrer Feinde wird sie zum Onryō, dem Rachegeist aus der japanischen Mythologie, der nach Vergeltung strebt für seine qualvolle Hinrichtung. Atsu wird sich den Aberglauben zunutze machen und mit der Angst ihrer Feinde spielen, während sie von befreiten Dörfern mit Altären und Geschenken bedacht wird. Aber ein Leben als Rachegeist, ohne Freunde und ohne eine sichere Zuflucht, macht verdammt einsam. Bei ihren Meditationen in den heißen Quellen wäscht sich Atsu das ganze Blut vom vernarbten Körper und kommt ins Grübeln. Wenn alle ihre Peiniger endlich tot sind, wie soll es dann bloß weitergehen?

Ghost of Yōtei ist exklusiv für die Playstation 5 verfügbar und kostet etwa 80 Euro.

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