Václav Luks dirigiert Rameaus „Platée“ in Prag

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Lange ist man versucht, diesen Prager Opernabend ins Fach einer flotten, bunt comedyhaften, auf billige Sex-Anzüglichkeiten und Situationskomik-Lacher hin getrimmten Show abzulegen. Aber dann kommen Schlussminuten, in denen alles kippt, aus lockerem Amüsement eine fast hilflose Erschütterung wird und das Regieteam von SKUTR – Martin Kukučka und Lukáš Trpišovský – zeigt, dass es nicht nur oberflächliche Kurzweil kultivieren, sondern auch schockierend unvermittelt in Tiefen loten kann, wo wir plötzlich unseren eigenen, oft gedankenlosen Alltagsgrausamkeiten wiederbegegnen: wenn Platée, die Titelfigur von Jean-Philippe Rameaus 1745 uraufgeführter Oper, buchstäblich zu Tode gespottet wird. Als die Sumpfwassernymphe begreift, dass ihre Gefühle nur Objekt für einen großen Joke gelangweilter Götter und ihrer entgleisten Gefolgschaft waren, bricht sie, zum Nichts geworden, entseelt zusammen.

Denn eine Seele mit schwelenden Sehnsüchten hatte auch sie unter ihrem grundhässlich froschgrünen Erscheinungsbild und dem skurril-ordinären, mit grotesk verfehlter Eitelkeit verschreckendem Auftreten. Man merkte es vielleicht zu spät an diesem Abend, weil in der dynamischen, aber oft nicht besonders inspirierten Personenführung der mythologischen Gesellschaft lange erst einmal Witzeleien über Krötensekrete und -ausflüsse und den offenbar abwegigen Gestank der armselig liebessüchtigen Heldin dominierten, der bei den ihr Nahekommenden für reihenweise (und bei der x-ten Wiederholung nicht mehr wirklich amüsante) zugehaltene Nasen und Ohnmachten sorgt. Umso schärfer dann das Abkippen ins tief Tragische, bei der nur „La Folie“, die Verkörperung des Wahnsinns, noch an Platées Seite bleibt und die Zusammenbrechende auffängt.

Olga Jelínková als Wahnsinn in Person.Olga Jelínková als Wahnsinn in Person.Pavel Heijny

Sicher wird diese Schlussszene auch deshalb so rückprägend für das Gesamterlebnis der Inszenierung, weil hier noch einmal die beiden auffälligsten Protagonisten der ansonsten rundum gediegenen, einnehmend spielfreudigen Solistenschar zusammenfanden. Da war zum einen Olga Jelínková als eben jene Wahnsinnsallegorie, die aus dem Mainstream ausbricht und paradoxerweise zur einzigen Stimme der Vernunft und Menschlichkeit wird, je mehr das herzlose Spiel eskaliert. Die Sopranistin formte diese Widerständigkeit mit glühender, in manchen Koloraturen etwas unausgeglichener, aber dadurch vielleicht sogar noch überzeugenderer Leidenschaft: Manchmal, so schien ihr Agieren zu sagen, ist Verrücktwerden die einzig brauchbare Alternative.

In ihren Armen aber lag beim Verlöschen des Bühnenlichts Marcel Beekman, ein Tenor also, wie ihn der Komponist auch schon bei der Premiere vorgesehen hatte. Dem Holländer mit keiner im Belcanto-Sinne schönen, aber durchdringenden, geradlinig-charaktervollen Stimme merkte man seine längere Vertrautheit mit der Travestierolle ebenso an wie die Unbedingtheit, sich intensiv den Abgründen zwischen Selbst- und Fremdbild auszuliefern. Sein Gesang konnte sich unerwartet verfärben, forciert überschlagen oder dumpf brechen, gab schon Signale innerer Diskrepanzen, als sie im Bühnengeschehen noch weitgehend verdeckt blieben. Vom ersten Auftritt an nahm man dem Sänger ein zwar jammervoll entgleistes und intellektuell unterbelichtetes, aber glaubwürdiges, verzweifelt um Anerkennung ringendes Frau-Sein ab.

Václav Luks fügt alles ganz organisch

Befeuert wurde der Abend durch mitreißende Ensembleleistungen: auf der Bühne mit einem bezaubernd jugendlichen Ballett (Choreographie: Jan Kodet) und dem taufrischen und mit allen Künsten differenzierender Klangfarben spielenden Chor des Collegium Vocale 1704. Dessen instrumentaler Flügel wiederum fand sich in gemischter Besetzung mit den Musikern des gastgebenden Staatsopernorchesters zusammen, und das größte Wunder in Václav Luks’ Führung dieses Fusionsensembles bestand darin, wie organisch, natürlich fließend und ohne manieristische Drücker und Zuspitzungen hier die Sprache des französischen Rokoko – grazil, durchsichtig, aber auch zu drastischem Humor fähig – vorbeifloß und -federte: als ein ganz selbstverständlich für das von genau diesen aberwitzigen Verdrehtheiten und Stimmungswechseln Eingefordertes, als Musik aufklärerischer Clarté auch noch da, wo sie gallebitter wird. Witzige, oft parodistisch überdrehte Kostüme (Simona Rybakóvá) und üppige Szenen- und Lichtarrangements (Jakub Kopecký und Jan Dörner) betteten Rameaus Klänge – bündig, rhetorisch betont mit eher sparsamer Ornamentik, aber hingabevoller Lust am Klangmalerischen der Frösche, Vögel und herabkrachenden Gewitter – in eine üppig malerische Bildwelt. In ihrer kindlich-spielerischen Freude mit neonleuchtenden Donnerkeilen und üppig wuchernden Morastgründen erinnerte sie an die prallbunte Phantasie tschechischer Kinderbücher, war in ihrer poetischen Wunderkammern-Kulinarik aber auch nah an der Entstehungszeit der Oper.

Dass sich fett aufrauschende Plusterwolken über den Bühnenhimmel ausbreiten und verpuffen dürfen, ohne dass man dabei gleich die in der deutschen Bedeutsamkeits-Ästhetik obligatorischen Assoziationen an Atompilze abrufen muss: Auch in diesem Sinn für das Genießerische bis in tragische Abgründe hinein ist eine Inszenierung wie diese trotz manchen Klamauks ein Gewinn.

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