US-Universitäten unter Druck: Die akademische Freiheit wird gezielt ausgehölt

vor 17 Stunden 2

Die letzten drei Monate habe ich als Visiting Professor an der New York University (NYU) verbracht. In dieser Zeit habe ich nicht nur gelehrt und geforscht, sondern auch eine akademische Kultur aus nächster Nähe erlebt, die sich grundlegend von der europäischen unterscheidet und die zugleich unter massivem Druck steht. Was sich zunächst wie ein Privileg anfühlte, die Einladung an eine der angesehensten Universitäten der Vereinigten Staaten, wurde zunehmend zu einer Übung in akademischer Wachsamkeit: Die US-amerikanischen Universitäten, so lernte ich Tag für Tag, befinden sich an einem Wendepunkt. Und es ist keineswegs sicher, in welche Richtung sie sich angesichts der aktuellen Bedrohungen überhaupt noch entwickeln können und werden.

Der Vorteil amerikanischer Universitäten ge­gen­über den europäischen liegt auf den ersten Blick, und das wird oft und gerne betont, im Geld. Und ja, man spürt es überall: in der Ausstattung der Räumlichkeiten, in den rund um die Uhr geöffneten Bibliotheken, in der Präsenz von universitätseigenen Museen und Sammlungen, in der schieren Anzahl und Vielfalt der Forschungszen­tren und Kooperationen (in meinem Fach mit den renommiertesten Museen wie dem Museum of Modern Art), in der Verfügbarkeit von technischer Unterstützung und akademischem Personal. Aber Geld allein erklärt nicht, was diese Universitäten wirklich ausmacht und was sie heute zu verlieren drohen.

Die strukturelle Diversität der US-Hochschulen beeindruckte mich

Was mich aus europäischer Sicht am tiefsten beeindruckt hat, ist die strukturelle Diversität der amerikanischen Hochschulen. Erstens: die Diversität der Studierenden. In meinen Seminaren und in den Gesprächen, die sich nach Vorträgen an anderen Universitäten der Ostküste anschlossen, saßen junge Menschen mit familiären Wurzeln nicht nur in Oklahoma oder Alabama, sondern auch in Martinique, Nigeria, China, der Ukraine, Haiti, Sri Lanka, Polen, um nur einige Länder zu nennen. Und das waren keine „International Students“ im eigentlichen Sinne. Es handelte sich oft um amerikanische citizens, einige von ihnen First-Generation College Students, die mit beeindruckender Ernsthaftigkeit ihre Chance auf akademische Bildung wahrnehmen. Zweitens: die Diversität der Lehrenden. Mein Kollegium bestand aus Menschen, deren Biographien sich nicht auf ein homogenes Bildungsmodell zurückführen lassen. Es waren viele „Bindestrich-Menschen“, mit Füßen und Gehirnen in mindestens zwei Ländern, Kulturen und Zeitzonen. Unterschiedliche kulturelle, sprachliche und akademische Herkunft ist hier keine Ausnahme, sondern Programm.

Aus dieser Vielfalt erwächst ein drittes, tragendes Element wissenschaftlicher Exzellenz, einer der Gründe, warum es didaktisch und intellektuell für mich so anregend war, an einer solch guten amerikanischen Universität zu lehren: eine unter Studierenden und im staff natürliche, besondere Form epistemischer Beweglichkeit, also die Fähigkeit, ungewöhnliche Verknüpfungen zwischen Themenfeldern herzustellen, etablierte Erzählungen aus ungewohnten Blickwinkeln zu betrachten und methodische Zugänge mit theoretischer Offenheit zu kombinieren. Was in europäischen Kontexten nicht selten an disziplinären Barrieren, curricularen Traditionen oder kanonischen Fixierungen scheitert, ist hier nicht nur möglich, sondern institutionell gewollt. Hier bewegen sich Studierende und Lehrkräfte in einem intellektuellen Umfeld, das Interdisziplinarität nicht als Ausnahme duldet, sondern als Norm und Ausgangspunkt versteht.

Das heißt nicht, dass die Bedingungen frei von Widersprüchen wären. Nur dass offene Erkenntnisprozesse und methodische Beweglichkeit eingeübter sind. Anders gesagt: Man muss hier weniger Energie ins Bohren dicker Bretter stecken, um zum Eigentlichen vorzudringen. Dass genau diese Offenheit heute unter Druck gerät, sollte uns in Europa nicht gleichgültig sein. Was sich in den vergangenen Monaten an politischen Interventionen, medialen Kampagnen, administrativen Eingriffen und ideologischen Frontstellungen in den Vereinigten Staaten beobachten ließ, ist ein koordinierter Angriff auf das Rückgrat der freien Wissenschaft.

Einschnitte scheinen gezielt Spannungen hervorrufen zu wollen

Es beginnt mit der Finanzierung: Budgets werden gekürzt, als kritisch eingestufte Studiengänge wie Umwelt- und Klimastudien geraten unter politischen Druck. Die Einschnitte scheinen gezielt Spannungen und Spaltungen auf dem Campus hervorrufen zu wollen. Kurz nach der Ankündigung der Trump-Regierung, Fördermittel in Höhe mehrerer Hundert Millionen Dollar für die Columbia University zu streichen, vor allem im Bereich der medizinischen Forschung, erzählte mir der international ausgezeichnete Neurologe Neil Shneider, Leiter des ALS-Zentrums ebendort, mit dem ich zufällig im Zug aus Harvard zurückfuhr, von der wachsenden Frustration einiger Kollegen. Ihr Unmut richte sich gegen die geisteswissenschaftlichen Fachbereiche der eigenen Universität, die sie als eigentliche Zielscheibe dieses Akts politischer Revanche sahen. Divide et impera – mit dieser Maxime zu rechnen, ist vielleicht eine der wichtigsten Lektionen, die ich als europäische Beobachterin in diesen Monaten gelernt habe. Fragmentierung ist kein Zufall, sondern auch an Universitäten politische Methode, der man nur durch solide Allianzen begegnen kann, über Disziplinen, Fakultäten und Kontinente hinweg.

Es geht aber weiter mit dem Backlash gegen „Diversity, Equity and Inclusion“-Programme, die vielerorts bereits ausgesetzt oder ganz abgeschafft wurden. Und es endet nicht zuletzt mit der aktiven Einschüchterung von Studierenden und Wissenschaftlern, etwa durch die sichtbare Präsenz der Einwanderungsbehörde ICE auf dem Campus oder durch einzelne Fälle brutaler Festnahmen. In vielen Gesprächen mit europäischen und afrikanischen Kolleginnen und Kollegen wie meinem Ko-Autor Felwine Sarr, Professor an der Duke University, war eine bedrückende Frage dieses Frühjahrs, ob man es wagen solle, für Konferenzen, Forschungsaufenthalte oder gar für die Sommerferien nach Europa oder Afrika zu reisen, aus Sorge, bei der Rückkehr mit Einreiseverzögerungen oder -verweigerungen konfrontiert zu werden. Ich habe in New York Germanisten kennengelernt, die in diesem Jahr darauf verzichten werden, wie sonst jeden Sommer nach Deutschland oder Österreich zu reisen (in das Land, dessen Sprache, Kultur und Geschichte sie lehren), nur um kein Risiko bei der Wiedereinreise einzugehen. Diese Vorsicht entspricht im Übrigen weitgehend den Empfehlungen, die von den Rechtsabteilungen vieler US-Universitäten seit März in Rundbriefen und Workshops für Studierende und Angestellte kommuniziert werden.

Die akademische Exzellenz wird ausgehöhlt

In diesem ohnehin schon angespannten Klima wirkt die jüngste Entwicklung besonders gravierend: die Aussetzung und Erschwerung der Visa-Vergabe, die zahlreiche Eliteuniversitäten ins Mark treffen soll. Institutionen wie Harvard, Princeton, Columbia, NYU und die New School in New York, an der einst Hannah Arendt als Professorin wirkte, verdanken einen wesentlichen Teil ihrer intellektuellen Vitalität (und ihres Budgets) der Präsenz internationaler Studierender. Die Entscheidung des Außenministeriums, Visa-Interviews auszusetzen und Bewerber verstärkt zu durchleuchten, wird den wissenschaftlichen Nachwuchs weltweit nicht nur verunsichern, sondern unmittelbare Folgen haben, finanzielle ebenso wie intellektuelle, für die betroffenen Universitäten. Die akademische Exzellenz, die sich über Jahrzehnte aus Diversität und weltweiter Attraktivität gespeist hat, wird damit substanziell ausgehöhlt.

Diese Entwicklungen haben wenig mit den „Cancel Culture“-Debatten zu tun, wie sie in Europa häufig vorschnell eingeordnet werden. Was ich in den vergangenen Monaten beobachten konnte, ist systematischer und weitreichender. Es geht um die schrittweise Aushöhlung dessen, was amerikanische Universitäten lange auszeichnete: ihre Internationalität, die Fähigkeit, produktive Konflikte auszuhalten, vielfältige Per­spektiven zu integrieren und durch in­tellektuelle Offenheit ge­sell­schaft­lichen Wandel mitzugestalten. Wer heute in diesem System lehrt, erlebt ein fragiles Gleichgewicht: Was einst als selbstverständlich galt, ist zwar noch reichlich vorhanden, muss heute jedoch unter spürbaren institutionellen und persönlichen Risiken verteidigt werden. Das zu bewahren, verlangt Haltung, Entschlossenheit und zunehmend auch realen, individuellen Mut.

Vor diesem Hintergrund überrascht es, wie oft in Europa – zuletzt vermehrt in Frankreich und Deutschland – der transatlantische „Braindrain“ mit einer Prise patriotischer Schadenfreude kommentiert wird, als handele es sich um einen Gewinn für die Nationen der Alten Welt. Es ist naiv zu glauben, wissenschaftliche Exzellenz lasse sich einfach importieren, in eine europäische Hochschullandschaft, die selbst unter gravierenden strukturellen Engpässen leidet. In Berlin wird der marode Zustand meiner eigenen Universität zur Dauerübung in Resilienz, in Paris kürzte die Sorbonne ihr Budget für die Anschaffung von Büchern jüngst um 85 Prozent, wie am 25. März mitgeteilt wurde; knapp drei Wochen später lud, Präsident Macron im Rahmen der Initiative „Choose France“ Wissenschaftler „aus aller Welt“ ein, ihre Zukunft in Europa zu suchen . . .

Was es jetzt braucht, ist nicht die medienwirksame Aneignung von Highperformern als nationale wissenschaftliche Beute, sondern tiefe und ausdauernde Solidarität auf allen Ebenen der Wissenschaft: mit den Universitätsleitungen, den Verwaltungen, den Kolleginnen und Kollegen in den Vereinigten Staaten, insbesondere mit dem wissenschaftlichen Nachwuchs, der seine Laufbahn in einem äußerst feindlichen Umfeld beginnt. Wer glaubt, dass diese Entwicklung keine Folgen für Europa hat, verkennt die Tiefe der gegenwärtigen Erschütterung. Ich schreibe dies nicht aus Überheblichkeit, sondern aus der Überzeugung, dass wir in Europa genau hinschauen und unsere Solidarität kollektiv sichtbarer machen sollten. Denn so unterschiedlich die Rahmenbedingungen auch sein mögen: Die politischen Dynamiken, die die amerikanische Wissenschaftslandschaft derzeit erschüttern, werden auch vor unseren Universitäten nicht haltmachen.

Bénédicte Savoy ist Professorin für Kunstgeschichte an der TechnischenUniversität Berlin und war im Frühjahr 2025 Visiting Professor an der New York University.

Gesamten Artikel lesen