Russland wirft der Ukraine vor, abholbereite Leichen nicht anzunehmen. Die Regierung in Kyjiw spricht von "schmutzigen Spielchen" der russischen Seite.
8. Juni 2025, 0:29 Uhr Quelle: ZEIT ONLINE, dpa, mp
Russland und die Ukraine streiten über die Umsetzung ihres Anfang der Woche in Istanbul vereinbarten Gefangenenaustauschs und über die Übernahme von mehr als 6.000 toten Soldaten. Die russische Seite warte mit 1.212 tiefgefrorenen Leichen am Übergabepunkt, teilte der russische Verhandlungsführer Wladimir Medinski bei Telegram mit. Auch die anderen Überreste seien auf dem Weg. Das Verteidigungsministerium veröffentlichte ein Video, auf dem weiße Säcke mit den mutmaßlichen Leichen in Lastwagen zu sehen waren.
Der ukrainische Koordinierungsstab kritisierte, dass der Zeitpunkt der Übergabe nicht vereinbart gewesen, sondern eigenmächtig von russischer Seite festgelegt worden sei. Der Stab sprach in einer Mitteilung bei Telegram von "schmutzigen Spielchen" und forderte die russische Seite auf, zu einer konstruktiven Arbeit zurückzukehren.
Die Umsetzung der Vereinbarungen, die Vertreter der Ukraine und Russlands am Montag in Istanbul getroffen hatten, könne "in den kommenden Tagen" erfolgen, teilte der Stab in Kyjiw mit. Zugleich wies die Ukraine russische Vorwürfe zurück, der Austausch der Gefangenen und die Übernahme der Leichen würden verzögert.
Ukraine beklagt fehlerhafte Gefangenenlisten
Der Koordinierungsstab teilte auch mit, seine Listen für den Gefangenenaustausch der russischen Seite übergeben zu haben – gemäß der Vereinbarung, Soldaten unter 25 Jahre sowie Schwerkranke und Verletzte auszutauschen. Nach russischen Angaben sollen es auf jeder Seite 1.200 Gefangene sein. Der Stab in Kyjiw beklagte, dass die Regierung in Moskau Listen übergeben habe, die nicht der Vereinbarung von Istanbul entsprächen. Nun sei Russland am Zug, hieß es. Der Gefangenenaustausch war für diesen Samstag und Sonntag erwartet worden.
Der Ukraine sei für den geplanten neuen Gefangenaustausch eine Liste mit 640 Inhaftierten übergeben worden, sagte Medinski. Er warf wiederum der Regierung in Kyjiw vor, sich nicht an Vereinbarungen zu halten und den Gefangenenaustausch zu verzögern. Die Ukraine solle auch umgehend die Überreste der Toten übernehmen, damit sich ihre Angehörigen von ihnen verabschieden könnten.
In einem Video des russischen Verteidigungsministeriums sagte der Generalleutnant Alexander Sorin, der Teil der russischen Verhandlungsgruppe ist, dass die ukrainische Seite den Gefangenenaustausch am Samstag nicht bestätigt und auf unbestimmte Zeit verschoben habe. Er sagte auch, dass Russland mehrere Lastwagen mit jeweils 1.200 Leichen für die Übergabe der toten Soldaten an die Ukraine vorbereite.
Russland sei bereit, alle in Istanbul getroffenen Vereinbarungen umzusetzen, betonte der General. "Wir sind bereit, alle Leichen zu übergeben und auch den Austausch der Kriegsgefangenen nach der vereinbarten Formel umzusetzen", sagte Sorin.
Die Gespräche in Istanbul waren die zweiten direkten Verhandlungen nach der ersten Runde im Mai, die noch im selben Monat zum bis dahin größten Gefangenenaustausch führte. Jeweils 1.000 Soldaten und Zivilisten kamen auf jeder Seite in Freiheit. Davor hatte es zuletzt 2022 solche direkten Verhandlungen über ein Ende des Krieges gegeben. Sie scheiterten damals.