Ukraine-Krieg: „Er wird das russische Öl-Ding nicht machen“

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Das Magazin The Economist hat der aufstrebenden Macht Indien schon vor einigen Jahren auf seiner Titelseite einen Cartoon gewidmet: Eine Hauskatze sitzt auf einem indischen Hocker und betrachtet sich im Spiegel. Und was sieht sie dort? Einen Tiger! In Worte übersetzt könnte das heißen: Im indischen Selbstverständnis zeigt sich eine gewisse Ambition, sich als Großmacht zu sehen – oder sich als solche bald fest zu etablieren. Diese Vorstellung liegt nahe, denkt man daran, dass sich Indien zum bevölkerungsreichsten Land entwickelt hat, dass seine Wirtschaft deutlich wächst und der Staat massiv in seine Aufrüstung investiert.

Indien weiß, dass es ein Volk von eineinhalb Milliarden Menschen ist. Und entsprechend handelt es auch im Umgang mit anderen Staaten, selbst wenn diese als so mächtig erscheinen wie die USA. So konnte man in diesen Tagen ein bizarres diplomatisches Schauspiel verfolgen: Sprecher der indischen Regierung ließen den US-Präsidenten Donald Trump mehr oder weniger auflaufen, wenn auch mit äußerst höflich gewählten Worten.

Indien kauft 38 Prozent der russischen Öl-Exporte

Es ging wieder einmal um das russische Öl, mit dem Wladimir Putin weiterhin seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine finanziert. Als Einkäufer stehen die beiden großen Länder Asiens auf der Liste: China kaufte im September 2025 47 Prozent des exportierten russischen Rohöls, Indien 38 Prozent.

Trump hatte am vergangenen Mittwoch behauptet, bei einem Telefonat am selbigen Tag habe ihm der indische Premier Narendra Modi zugesagt, sein Land werde den Einkauf russischen Öls stoppen. Es dauerte allerdings nur bis Donnerstag, bis Indiens Regierung öffentlich darauf hinwies, dass sie keinerlei Kenntnis von einem solchen Gespräch zwischen den beiden Männern am Vortag habe. Und Delhi blieb auch in den folgenden Tagen dabei: Eine indische Zusage dieser Art an den US-Präsidenten habe es nicht gegeben.

Trump hat das offenkundig aufgebracht, noch am Sonntag sagte er zu Reportern in der Air Force One: „Ich habe mit Premierminister Modi von Indien gesprochen, und er sagte, er wird das russische Öl-Ding nicht machen.“  Angesprochen auf die Reaktion der Inder, die nichts wüssten von einer solchen Verabredung, stieß Trump eine deutliche Drohung aus: „Wenn sie das sagen wollen, dann werden sie eben weiterhin massive Zölle zahlen, und das wollen sie nicht.“

 Premier Modi mit Russlands Machthaber  Putin vor einem Jahr beim Brics-Gipfel in Kazan.
Indien will sich an keinen zu stark anlehnen - aber auch keinen Bruch mit  Moskau oder Washington: Premier Modi mit Russlands Machthaber  Putin vor einem Jahr beim Brics-Gipfel in Kazan. (Foto: Alexander Zemlianichenko/AP)

Trump verknüpft den Streit ums russische Öl also demonstrativ mit den laufenden Handelsgesprächen zwischen Indien und den USA. Ob das eine Lösung erleichtert, bleibt offen. Zahlreiche indische Importe in die USA ließ der US-Präsident mit einem Zoll von 50 Prozent belegen, wobei 25 Prozent davon als Strafzoll gelten, wegen der indischen Ölkäufe in Russland. Trump bekräftigte, dass sich an dem Strafzoll nichts ändern werde, solange Indien an russischem Öl festhält.

So steigt der Druck auf Delhi und lenkt den Blick auf die Frage, wie Indien den USA entgegenkommen kann, ohne jene strategische Prinzipien zu brechen, denen sich das Land seit der kolonialen Unabhängigkeit verpflichtet fühlt.

Indien will seine „strategische Autonomie“ wahren

Indiens Medien weisen darauf hin, dass die drastischen US-Zölle bereits kleineren und mittleren indischen Unternehmen schadeten. Doch der Indian Express zitiert anonym einen indischen Beamten, der sagt, seine Regierung habe der amerikanischen Seite deutlich gemacht, dass Indien durchaus „einigen Schmerz“ aushalten könne, wenn es darum geht, bestimmte Prinzipien zu schützen.

Indien hält den Grundsatz der „strategischen Autonomie“ hoch, an dem sich das Land mehr oder weniger konsequent orientiert. Indien möchte für sich stehen, politisch eigenständig. In einer zunehmend multipolaren Welt bedeutet dies, sich nicht zu stark an die eine oder andere große Macht anzulehnen, sei es im Westen, Norden oder Osten. Dazu passt, dass sich das Land keinesfalls öffentlich vorschreiben lassen möchte, wo es welche Güter einzukaufen hat, schon gar nicht mit Blick auf den Staat Russland, dem sich Indien seit Jahrzehnten verbunden fühlt, und bei dem es früher fast ausschließlich seine Waffen kaufte.

Gehorchen wäre ein spürbarer Gesichtsverlust

Außerdem betont Delhi, dass es vor allem die Preisstabilität für die eigenen Konsumenten im Blick halten müsse, sowie die Energiesicherheit für das riesige Land. Das sind wichtige Ziele für jede Regierung, die das Vertrauen ihrer Wähler nicht zerstören will. In einem Land, in dem viele Millionen darum kämpfen, aus der Armut zu kommen, können schon kleine Preissteigerungen enorme Unruhe auslösen. Wenn in Indien etwa die Zwiebelpreise steigen oder fallen, ist das ein Politikum.

Trump hat Modi also in eine Ecke gezwungen, in der seine Regierung einen kompletten Stopp von Ölkäufen aus Russland wohl nur verkünden könnte unter spürbarem Gesichtsverlust. Jeder Eindruck, dass Washington der indischen Regierung Einkäufe diktieren könne, ist für Regierungschef Modi innenpolitisch schädlich, ein Einknicken vor den USA würde ihm als Schwäche ausgelegt. Zumal er ohnehin gegen den Druck Trumps ankämpft, den indischen Markt für Agrarprodukte und Milcherzeugnisse aus den USA zu öffnen, was viele in Indien alarmiert. Die Bauern haben in der Vergangenheit gezeigt, wie sie mit Massenprotesten das tägliche Leben in Indien nahezu lahmlegen können. Es geht also um viel.

Allerdings wird in indischen Medien schon darüber spekuliert, dass das Land die Importe von russischem Öl zumindest zurückfahren könnte, als Zugeständnis an die USA. Dann hat Delhi womöglich die Chance, an anderer Stelle, etwa in der Agrarpolitik, wiederum einen Preis von den Amerikanern einzufordern. Die Verhandlungen bleiben ein diplomatischer Drahtseilakt, gilt es aus indischer Sicht doch, die Beziehungen zu Washington und zu Moskau so auszutarieren, dass es mit beiden Ländern zu keinem Bruch kommt.

Indien bemühte sich Anfang der Woche, positive Signale zu senden, ein Bericht des Wirtschaftsdienstes Bloomberg zitierte Quellen in der indischen Regierung mit dem Hinweis, dass sich die Differenzen in Handelsfragen deutlich verkleinert hätten. Ob diese Botschaft in erster Linie die Stimmung aufhellen sollte, oder ob sich dahinter handfeste Fortschritte verbergen, blieb am Dienstag offen.

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