Showdown oder Tanz? Die Frage nach der Leitmetapher für den Antrittsbesuch von Friedrich Merz im Weißen Haus war beantwortet, als Maybrit Illner die Gäste Ihrer Sendung unter dem Titel „Friedrich Merz trifft Donald Trump – Duell oder Duett?“ am Donnerstagabend begrüßte. Sorgen vor einem verbalen Schlagabtausch, den Donald Trump mit dem neuen Bundeskanzler im Oval Office hätten suchen können, waren angesichts zuletzt freundlicher Äußerungen führender Republikaner einerseits schon merklich geschrumpft, noch bevor Merz’ Limousine vor dem Weißen Haus vorfuhr. Andererseits weiß man beim amtierenden US-Präsidenten ja bekanntlich nie. Die Art, wie die beiden Männer kurz darauf im Oval Office vor der Presse miteinander umgegangen waren, hatte am Ende dann aber doch eher dem Muster solcher Treffen entsprochen, wie sie unter Bündnispartnern bis zu Trump gemeinhin erwartet wurden. Nur, was war das für ein Tanz, den sie da miteinander aufführten?
Die Deutungen und die damit verknüpften Rollen von Trump und Merz gingen auseinander. Ein Tango, für den Illner selbst in ihrem zeitlos-eleganten Sommerkleid mit Wasserkragen bestens gekleidet schien, hatten die Gäste nicht gesehen. Trump führt den Tanz gerne als Ideal für funktionierende, bilaterale Beziehungen an. Aber bei aller Jovialität, die aus den Filmaufnahmen des Treffens hervorgeht – ein Dialog auf Augenhöhe, bei dem sich die Partner gegenseitig folgen, hatte es im Weißen Haus nicht gegeben.
Bundesaußenminister Johann Wadephul (CDU) umschrieb mit seiner Antwort auf Illners Frage, ob das Treffen einen „Granatenerfolg“ gewesen sei, am ehesten einen Foxtrott. Von „Respekt“ sprach er und einem nüchternen Verhältnis – ohne große Dramatik, übertriebene Showelemente oder intensive emotionale Spannungen, so ließe sich mühelos ergänzen. Ähnlich sah es auch Elmar Theveßen, der aus Washington D.C. zugeschaltet war. Der ZDF-Korrespondent wollte beim Kanzler gar eine besondere Art von Respekt ausgemacht haben. Merz habe gegenüber Trump mit Blick auf seine Rolle bewusst Analogien historischer Größe gewählt: Truman. Der Zweite Weltkrieg.
Der Kanzler beobachtet aus seinem Sessel nebenan
Andere waren da skeptischer. Mariam Lau, Merz-Biografin und Korrespondentin der „Zeit“, hatte in der 45 Minuten langen Aufführung vor laufenden Kameras offenkundig eher einen Paso Doble erkannt: Trump hatte das Treffen dominiert und zwischendurch längliche innenpolitische Pirouetten gedreht. Das Zerwürfnis mit Elon Musk hatte den US-Präsidenten da schon offenkundig stärker beschäftigt als der deutsche Kanzler, der ihn aus seinem Sessel nebenan beobachtete. Merz war nur wenig zu Wort gekommen. Gleichwohl hatte der Kanzler seine Rolle angenommen, war souverän über kleine Spitzen hinweggegangen und hatte es im richtigen Moment vermocht, inhaltlich Akzente zu setzen.
Sie habe sich schlicht „gefreut, dass es gutgegangen ist“, so Lau. Dass die Verteidigung der gemeinsamen Werte, die Merz im Kontext des heutigen D-Day-Jubiläums beschrieben hatte, bei Trump verfing, den Eindruck hatte sie allerdings nicht gewonnen. Adam Tooze äußerte sich noch deutlicher. Der britische Wirtschaftshistoriker zeigte sich erleichtert, dass an Merz kein weiteres Exempel statuiert worden sei, so wie Trump es bereits beim Treffen mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Zelenskyj und Südafrikas Staatschef Cyril Ramaphosa getan hatte. Und auch Trumps rhetorischer Scharfmacher, Vizepräsident J.D. Vance, der wieder mit im Büro des Präsidenten Platz genommen hatte, schwieg.
Wie stark ist Trumps Sinn für „deutsche Zärtlichkeiten“?
Und Wolfgang Ischinger? Der sah zumindest kein Rumba-Potenzial zwischen den beiden Männern. Auf Illners Frage, ob Trump „empfänglich für deutsche Zärtlichkeiten“ sei, antwortete der langjährige Vorsitzende Münchner Sicherheitskonferenz, ganz Diplomat, ausweichend: Trump bleibe nun mal Trump, mit seinem ihm eigenen Temperament. Übersetzt heißt das wohl: eher nicht.
Über den Wert des Tanzes im Weißen Haus wurden sich die Diskutanten nicht einig. Und es war Adam Tooze, der dafür in der Runde an diesem Abend die stichhaltige Begründung lieferte. Der Wirtschaftshistoriker, der an der Columbia Universität lehrt und sich selbst in einem regelrechten „Zermürbungskrieg“ gegen die amtierende amerikanische Regierung sieht, erinnerte an ihre strategische Ambiguität. Die Trump-Administration nutze „Verwirrung als Methode.“ So sei es möglich, dass Wadephul mit seinem amerikanischen Amtskollegen Marco Rubio – der vor nicht allzu langer Zeit Deutschland noch als „verkappte Tyrannei“ bezeichnet hatte – ein zivilisiertes Gespräch über Gemeinsamkeiten führe, während zeitgleich im US-Außenministerium an hoch ideologischen Themen gearbeitet würde, bei denen es auch um die Überprüfung der Haltung westlicher Partnerregierungen gehe. Die Haltung Trumps zum transatlantischen Verhältnis, wie auch zur Ukraine und zu Russland, sei vor diesem Hintergrund „ungeheuer unsicher.“
„Ich rege mich jetzt wirklich auf“
Bei der Frage, was daraus folgt, kreiste die Runde länger um die größte Zahl – die fünf Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung für Verteidigung, die Trump als Ziel fordert und für die Merz sich inzwischen offen zeigt. Von der Debatte, ob der US-Präsident sich damit besänftigen lasse, zeigte sich Ischinger nach einer Weile genervt. „Ich rege mich jetzt wirklich auf“, sagte der Diplomat nach einer Weile ganz undiplomatisch, freilich ohne der Ankündigung Regungen folgen zu lassen, wie sie aus dem Oval Office viral gegangen sind. Er beließ es dabei, daran zu erinnern, dass Europa aus wohlverstandenem Eigeninteresse für sich sorgen muss, und nicht, um Donald Trump einen Wunsch zu erfüllen.
Beim folgenden Klein-Klein über die Ineffizienz der europäischen Streitkräfte merkte man umgekehrt der Gastgeberin an, dass sie viele der Argumente nicht erst einmal gehört hat. Mehrfach wiederholte sie Phrasen oder vollendete sie. Illner wollte merklich weiter: Zur Ukraine. Zur Waffenruhe. Und zu Trumps Bereitschaft, Druck auf Putin auszuüben. Solange das nicht geschehe, so Theveßen, werde sich der Machthaber im Kreml nicht bewegen. Dieser Feststellung widersprach niemand.
Was folgt daraus? Die Erwartung, dass sich Europa konventionell selbst verteidigen können muss, wird westlich Russlands nicht mehr verschwinden. Die Ukraine leistet dies seit drei Jahren, Tag für Tag. „Von der Autarkie“, so Lau zum Schluss der Sendung, „können wir uns eine Scheibe abschneiden“.