TV-Kritik „Maischberger“: Ein aufgeregter Schleswig-Holsteiner und eine souveräne Ministerin

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Ganz gut, dass man seit einiger Zeit im laufenden Programm Sendungen zurückspulen kann. Jedenfalls dann, wenn man einen smarten Fernseher hat. Oder auf digitalen Geräten schaut. Es war gut, an diesem späten „Maischberger“-Montagabend zurückspulen zu können, weil man so die letzten fünf Minuten des Gesprächs zwischen der Gastgeberin und Karin Prien noch einmal anhören konnte. Prien ist die Bundesministerin für Bildung, Familie, Senioren, Frauen und Jugend, und sie ist Christdemokratin, und sie hat erst mit Ende zwanzig die deutsche Staatsangehörigkeit angenommen, und sie ist Jüdin.

Und als die 59-Jährige, die aus Daniel Günthers schwarz-grüner schleswig-holsteinischer Regierung ins Berliner Bundeskabinett von Friedrich Merz kam, da jetzt in dieser letzten Viertelstunde kurz vor Mitternacht davon erzählte, wie ihre niederländische jüdische Mutter und deren Eltern aus Nazi-Deutschland geflohen waren, wie Karin Priens Mutter später damit haderte, dass die Tochter wieder eine Bürgerin des Landes der Täter werden würde: Da wurde klar, wie privat das Politische ist. Und umgekehrt. Und es zeigte sich auch, dass sich nicht die ganze Welt darum reißt, in diesem Deutschland leben zu wollen, und dass es dafür viele Gründe geben kann, historische, mentalitätsmäßige genauso.

„Jüdisches Leben in Deutschland, offen und selbstbewusst“

Es wurde auch klar, dass sich der Ton einer Talkshow, in der es um Migration und Krieg gehen sollte, automatisch verändert, wenn jemand wie Prien spricht. Die, auch wenn sie es vielleicht so nicht sagen würde, von einer Minderheitserfahrung geprägt ist. Sie habe erst vor ungefähr zehn Jahren öffentlich gemacht, Jüdin zu sein, erzählte die Ministerin: Um sich, angesichts des neuerlich grassierenden Antisemitismus, dafür stark zu machen, dass „jüdisches Leben in Deutschland offen und selbstbewusst auftreten kann“, und dass jüdisches Leben „nicht nur Betrachtung der Vergangenheit“ bedeute.

Und so redete sie angenehm distanziert auch zum eigenen Wahrheitsanspruch, und das tut ja immer gut in solchen Talkshow. Es verwundert jedenfalls überhaupt nicht, dass sich Karin Prien mit dem CDU-Generalsekretär Linnemann über dessen scharfe Positionen zur schulischen Integration von Kindern aus migrantischen Familien streitet. Dass sie es für einen Fehler gehalten hat, was Merz da Ende Januar anrichtete, als sein Migrationsvorstoß mit den Stimmen der AfD im Bundestag angenommen wurde.

Dass sie, anders als ihr Kanzler, für eine Parität zwischen Männern und Frauen eintritt. Und dass sie dafür ist, den Rollback in der Gleichstellung, der seit Trumps erneuter Machtübernahme im Weißen Haus begonnen hat und auch die deutsche Wirtschaft beschäftigt, nicht mitzumachen. Und es verwundert am allerwenigsten, dass Karin Prien all das in einer Talkshow noch einmal laut sagt.

Stegner gegen Masala

Komisch, diese Dynamiken von Talkshows: Ständig geht es darum, der anderen Seite in einer generösen Beiläufigkeit zu bescheinigen, ja doch irgendwie recht zu haben, bei allem Unsinn, den diese andere Seite sonst von sich gibt. In Wahrheit geht es da natürlich nur um eine Pose, darum, den eigenen Anspruch auf Deutungshoheit zu untermauern – in dem man also kurz erhaben tut.

Wie das funktioniert, und wie unterhaltsam (im Sinne von Konträrfaszination) das sein kann, war zwanzig Minuten vor Priens Auftritt zu beobachten: Da saßen sich nämlich der SPD-Bundestagsabgeordnete Ralf Stegner, einer der „aufgeregteren Schleswig-Holsteiner“, wie Prien es in der Sendung genannt hatte, und Carlo Masala, Militärexperte der Bundeswehr München, gegenüber.

WDR/Oliver Ziebe

Der eine, Stegner, hat mit anderen Sozialdemokraten soeben ein Friedens-„Manifest“ veröffentlicht, in dem ein Kurswechsel der Sicherheitspolitik gefordert und auf Gespräche mit Russland gedrängt wird. Der andere, Masala, ist ein Dauergast der deutschen Militärtalkshow – oder wie man dieses Format nennen soll, das sich seit dem russischen Überfall auf die Ukraine im öffentlich-rechtlichen Abendprogramm ausgeformt hat, und in dem Masala regelmäßig ziemlich eindeutig Position bezieht.

Die SPD als Partei des Friedens und des Kosovo-Einsatzes

Masala spricht im Grunde nicht viel anders über deutsche „Kriegstüchtigkeit“ als Boris Pistorius. Der deutsche Verteidigungsminister wiederum hatte Stegners „Manifest“ in der vergangenen Woche als „Realitätsverweigerung“ bezeichnet. Pistorius ist bekanntlich in derselben Partei wie Stegner, das ist die SPD, die „immer Friedenspartei gewesen“ sei, wie Stegner jetzt also bei „Maischberger“ erklärte, mehrmals, worauf Masala ihm entgegnete, dass das zwar stimme, die SPD aber auch „die Partei der Nachrüstung“, des Kosovo-Einsatzes und des Afghanistan-Einsatzes gewesen sei.

Und so ging das hin und her und beide Männer taten, wofür sie von Maischberger eingeladen worden waren: Der eine sagte immer wieder, Helmut Schmidt zitierend, „Lieber hundert Stunden umsonst verhandeln, als eine Minute schießen“, der andere konstatierte dem Friedensmanifest „verschwörungstheoretische Sprache“ und erklärte, auch mehrmals, dass seit langem permanent mit Moskau geredet würde, aber Putin trotzdem weiter schieße.

Aber manchmal gestand der eine dem anderen dann doch ein paar Zentimeter von der Wahrheit zu. „Ich glaube nicht, dass sich Trump dafür interessiert, wie die humanitäre Lage im Gaza-Streifen ist“, sagte Masala. „Ich fürchte, das ist wahr“, sagte Stegner. „Ich glaube nicht, dass sich Trump für irgendwelche völkerrechtlichen Sachen interessiert“, sagte Masala. „Das ist wahr, ja“, sagte Stegner. Aber die beiden sahen sich dabei genauso an, wie die Redaktion von „Maischberger“ es sich sicher gewünscht hatte.

Und das war dann doch, wie eingangs der die Kommentarrunde mit den Medienmenschen Werner Sonne („seit Kiesinger“ im Business der Regierungsbeobachtung, wie Sandra Maischberger sagte), Sophia Maier (RTL, ganz oft im Nahen Osten unterwegs, wie Sophia Maier sagte) und Susanne Gaschke (früher SPD, jetzt „NZZ“), eine Talkshowroutine kalkulierter Gegenpositionen. Zu denen man dann doch nicht so gern zurückspulen würde.

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