"Tatort" Zürich: Urban Legends, das sind Märchen

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Im neuen "Tatort" aus Zürich wird's haarig. Der Fall mit dem Titel "Rapunzel" spielt im Perücken-Business und verliert seine Geschichte aus den Augen.

15. Juni 2025, 22:03 Uhr

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 Die Kommissarinnen Grandjean (Anna Pieri Zuercher) und Ott (Carol Schuler)
Ermittlungen im Haaratelier: Die Kommissarinnen Grandjean (Anna Pieri Zuercher) und Ott (Carol Schuler) © SRF/​Valeriano Di Domenico

Im großen Finale der neuen Zürcher Tatort-Folge wird der Titel noch verständlich. Wenn auch in einer, nun ja, Variation. Rapunzel (SRF-Redaktion: Tamara Mattle, Gabriella de Gara) heißt das Abenteuer, und am Ende lässt nicht eine Frau ihr Haar von einem Turm herabhängen, sondern baumelt aus dem Fenster eines Wohnhauses an zusammengebundenem Bettzeug.

Die Konstruktion ist nur leider viel zu kurz, um auf die Straße zu gelangen. Die Polizistinnen Ott (Carol Schuler) und Grandjean (Anna Pieri Zuercher) stehen unten und haben wohl sogar eine Art Hausmeister bei der Hand. Der antwortet aber auf die Frage, was mit der Wohnung sei, vor deren Fenster die Frau baumelt: "Komm ich nicht ran."

Was symptomatisch ist für diese Folge. Rapunzel will das Spektakuläre und Besondere, kommt aber nicht ran. Die Lösungen, die das Drehbuch für Figurenmotivation und Kriminalfall findet, sind häufig schlicht (Drehbuch: Adrian Illien). Das geht gleich am Anfang los, wenn Vanessa Tomasi (Elena Flury), die Partnerin von Lynn Fischer (Elsa Langnäse), der final baumelnden Frau, im Club auftaucht, in dem Lynn arbeitet. Die Clubszenen sind betont stylish inszeniert (Szenenbild: Peter Scherz), dienen aber nur als Deko für ein wenig dialogisches Hin und Her (Regie: Tobias Ineichen).

Vanessa ängstigt sich, weil sie sich verfolgt fühlt, Lynn redet's klein, um am Ende ihre Freundin doch zu bitten, ein Taxi nach Hause zu nehmen. Inzwischen ist Lynn aber nicht mehr verängstigt. Zwischendurch kritisiert der Barbesitzer – und man könnte durchaus sagen: nicht ganz zu Unrecht – dass Lynn doch zum Arbeiten da sei. Was Vanessa empört, woraufhin der Barbesitzer sie rausschmeißt, seine Anordnung aber auch nicht konsequent verfolgt. Also noch Geturtel der beiden Frauen im Vorraum, als wäre nicht Hochbetrieb. Technisch betrachtet kann man das vermutlich "Konflikt" nennen, erzählerisch bleibt es oberflächlich und forciert.

Das trifft auch für den Fall zu. Vanessa wird vor der Club-Tür vom ominösen Verfolger nieder- oder gleich totgeschlagen, jedenfalls hängt sie am nächsten Tag – noch ein spektakuläres, aber leeres Bild – auf einem Baum am Rande der Stadt. Bei der Tötung handelt es sich um eine Rachegeschichte, denn Vanessa und Lynn hatten etwas gestohlen, was unter anderem dem ominösen Verfolger gehörte.

Und zwar: Echthaar. Das ist das "Thema" dieser Folge, das zitatenreich und kulturgeschichtlich bis in den Titel durchgeackert wird, auch wenn als, nun ja, Variation. Es gibt den Friseursvater von Vanessa (Bruno Cathomas), den ein Bootsunfall vor Jahren mit der Perückenmanufakturbetreiberin Aurora Schneider (Stephanie Japp) verbindet; Schneider wurde von Vanessa und Lynn bestohlen, um Echthaar im Wert von 100.000 Franken.

Als Gegenbild zum ehrlichen Handwerk gibt's die global agierende Echthaar-Firma, die ihre Kunden betrügt und von einem adeligen Paar geleitet wird (Pascale Pfeuti, Matthias Schoch). Womöglich sind die beiden privat ganz nett, der Tatort gibt ihnen aber keine Chance, das zu zeigen: Das Adelige erkennt man an den schnöseligen Halstüchern, die das Kostümbild den beiden verordnet hat (Ursina Schmid), das Global-Agierende an einem Mitarbeiter, der die Befragung durch die Polizei mit superwichtigen Hinweisen auf Englisch stören muss.

Weil doch immer was los sein muss im Bild. Der ARD-Sonntagabendkrimi lebt nicht selten in dem Glauben, dass es äußerst attraktiv sei, wenn Personen, von denen die Polizei etwas wissen will, mit Nebentätigkeiten beschäftigt sind, statt an einem Tisch in einem schmucklosen Büro auf dem Revier zu sitzen.

Als König dieses absurden Getues dürfte der Uni-Bibliothekar (Ernst C. Sigrist) gelten, der bei laufendem Betrieb Bücher ins Regal zurückstellt, während er doch Auskünfte über Lynn Fischer geben soll – und dabei den Satz sagt: "Ich gebe nicht gern Auskünfte über Personen hier." Dass die umsitzenden Studierenden vom Dialog nicht gestört werden, ist übrigens daran zu erkennen, dass alle brav auf ihre Arbeit gucken. Wie das so ist, wenn die Polizei in einer Bibliothek Leute befragt. 

So geht Rapunzel in die lange Tatort-Geschichte einerseits als spezifisch misslungener Film ein, der die Sache mit den Haaren so aufführt, dass man geneigt sein könnte, lauter Witze drüber zu machen. Der einzige Vorteil ist hier, dass das Maskenbild (Marc Hollenstein) einmal Aufmerksamkeit für sich reklamieren kann, weil es dem Täter und der beim Bootsunfall versehrten Perückenmanufakturbetreiberin Glatzen schminken muss.

Andererseits steht diese Folge aber auch für ein durchaus größeres Problem beim ARD-Sonntagabendkrimi. Der Film würde so gern Kino sein, mit seinen schicken Schauplätzen, der aufregenden Action und einer permanent Spannung verbreitenden Musik (Fabian Römer). Vergisst darüber aber völlig, dass das, was Kino so faszinierend macht, zuerst der Umstand ist, dass Filme uns schöne Geschichten erzählen.

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