Zu ändern scheint sich hier nichts: Apfelfelder, so weit das Drohnenauge reicht. Bewirtschaftetes Land wie seit Jahrhunderten, mittendrin der Bio-Bauernhof der Feldhusens, handgeflochtene Bienenkörbe wie auf Wilhelm-Busch-Illustrationen, fleißige Bienen in Großaufnahme – die Bilder (Kamera Pascal Schmit) wirken wie aus dem Ökolandbau-Prospekt. Das Idyll ist selbstverständlich trügerisch. Mittendrin findet sich eine Kommissarin auf Landpartie. Die „Tatort“-Ermittlerin Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler) kehrt zu ihren Wurzeln zurück.
Alles zurück auf Anfang
Erstaunlich, wie sich die Fälle gleichen: 2002, in Lindholms erstem Fall („Lastrumer Mischung“), sah sie sich einer feindselig verschworenen dörflichen Gemeinschaft gegenüber, ließ sich nichts vormachen, residierte im Dorfgasthof und fand nicht nur heraus, wer hier wem mit vergifteten Keksen an die Felder wollte, sondern auch, wer mit wem was hatte und warum das tödlich endete. In „Letzte Ernte“ kehrt Lindholm zurück zu diesen Anfängen, in einer trotz Köpfungsszene harmlos hergebrachten Aufklärung (Regie Johannes Naber, Buch Benedikt Röskau, Stefan Dähnert und Johannes Naber).
Eine Landmaschine hat den rumänischen Vorarbeiter der Familie Feldhusen, Victor (Greg Stosch), einen Kopf kürzer gemacht. Das Haupt ist fort. Vom Fuchs verschleppt, folgert der Dorfpolizist Gerke (Ole Fischer als Bjarne-Mädel-Double), unterstützt vom Jungbauern Sven (Henning Flüsloh) und dessen Gattin Frauke (Ronja Herberich). Ein Arbeitsunfall, wie er auf dem Land eben vorkommt. Wäre die Meldung nicht bei der gerade nach Hannover zurückgekehrten Lindholm gelandet, wäre sie direkt zu den Akten gelangt.
So aber heißt es gleich wieder aufbrechen und nicht einrichten im LKA-Großraumbüro, wo lauter junge Ermittler mit Tablet in der Hand sich irgendeinen Platz suchen müssen. Sie will gleich das ganze Besteck mitnehmen, Spurensicherung, Hundestaffel, aber leider suchen gerade alle nach einem vermissten Kind. Somit steht für Lindholm fest: Endlich wieder Solistin! Endlich wieder Alleingänge und Leute, die man herumkommandieren kann. Den zahlreichen Fans von Charlotte Lindholm sollte es gefallen.
Mit dem Teamplay, das war nix
Für Fans von komplexen Fällen mit raffinierter Erzählstruktur ist „Letzte Ernte“ freilich nichts. Wir erinnern uns kurz: Strafversetzt, ermittelte Lindholm seit 2019 in Göttingen, wo sie sechs Fälle im Duo zu lösen hatte und gleich zum Auftakt in den Fettnapf sprang, weil sie die Kollegin Anais Schmitz (Florence Kasumba) für eine Reinigungskraft hielt. Was Alltagsrassismus antippen sollte, aber zur kühlen Analytik von Lindholm nicht passte.
Obwohl Stefan Dähnert, der die Göttingen-Folgen schrieb, mit dem „Lindholm“-Rollenprofil wohlvertraut war, schien die Kommissarin zu fremdeln. Nicht nur, dass sie sich als Teamplayerin beweisen musste, was nicht ohne Alpha-Frauen-Standoff abging, hatte Schmitz mit dem Gerichtsmediziner Nick (Daniel Donskoy) einen Gatten, mit dem Lindholm mehr als liebäugelte. Und Fälle zu lösen, die themengesteuert wirkten (von Radikalfeminismus bis Rechtsextremismus). Schmitz ging als Siegerin aus der beruflichen Zwangsverpartnerung hervor. Mit ihrer Promotion zur Chefin war Lindholms Weg in Göttingen zu Ende, und den Mann bekam sie auch nicht. Mutmaßlich wollte sie ihn auch nicht.
Wenigstens das war folgerichtig, denn jetzt ermittelt die Hauptkommissarin wieder solo und löst den Mordfall an einem Wochenende. Die Handlung von „Letzte Ernte“ könnte allerdings auch Liebhabern von Hercule Poirot und Miss Marple gefallen. Am Ende bringt es dieser „Tatort“ zwar nicht zu einer Versammlung aller Verdächtigen in der Bibliothek bei knisterndem Feuer, aber zum von Lindholm initiierten Stuhlkreis aller Beteiligten mit Reenactment des Mordgeschehens. Lindholm erklärt allen minutenlang, was sie wann wo warum getan haben.
Der Fall hat mit Pestiziden zu tun, mit Äpfeln, die so oft gespritzt wurden, dass sie Schneewittchen zum Verhängnis geworden wären, mit Felderneid, Hofsterben, Bauerntheater, Personalproblemen, Altbauernwünschen und Jungbauernzukunft. Brennende Bienenstöcke und tote Bienen sind Emblem gesellschaftlicher Verderbtheit, das harte Landarbeitslos verkörpert die beinharte Seniorchefin Marlies Feldhusen (Lina Wendel). Lindholm checkt sich durch, nimmt Quartier auf dem Feldhusenhof, kombiniert perfekt, und am Ende geben ihr alle recht. So fährt sie die Ernte ein.
Der Tatort: Letzte Ernte läuft am Sonntag um 20.15 Uhr im Ersten.

vor 3 Stunden
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