Große Teile der syrischen Stadt Aleppo sind nach Einschätzung von Aktivisten inzwischen unter der Kontrolle von Rebellen. Das sagte Rami Abdel Rahman, der Leiter der in Großbritannien ansässigen Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte. Die Organisation bezieht ihre Informationen von einem Netz aus Informanten vor Ort. Nach Angaben des auf Open-Source-Auswertungen spezialisierten Accounts OSINTtechnical auf X, der sich in anderen Fällen als verlässlich erwiesen hat, haben die Rebellen mit der historischen Zitadelle von Aleppo einen strategisch wichtigen Punkt der Stadt eingenommen.
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Eine Allianz von Aufständischen unter der Führung der Islamistenorganisation Haiat Tahrir al-Scham (HTS) hatte in dieser Woche bei einer Offensive im Nordwesten des Landes überraschend große Gebietsgewinne verzeichnet. Die Regierungstruppen und ihre Verbündeten gerieten im Umland der Städte Idlib und Aleppo unter Druck. Am Freitag erreichten die Gefechte den Stadtrand der Millionenmetropole Aleppo. Augenzeugen zufolge waren in der Stadt Gefechtslärm und Explosionen zu hören. Im westlichen Teil der Stadt wurden Rebellen auf Fahrzeugen beobachtet. Die syrische Staatsagentur Sana meldete, es habe Festnahmen von Terroristen gegeben, die sich in Aleppo gefilmt hätten, um den Eindruck zu erwecken, sie seien in Kontrolle.
Videos, die auf sozialen Medien kursierten, und angeblich Rebellen in verschiedenen Teilen der Stadt und öffentlichen Gebäuden zeigten, zeichneten jedoch ein anderes Bild. Nach Augenzeugenberichten verließen die Regierungstruppen teilweise ihre Stellungen. Berichten zufolge zieht die Regierung Truppen im Osten der Stadt für einen Gegenschlag zusammen. Sollte Aleppo dauerhaft an die Aufständischen fallen, wäre das ein herber Schlag für Präsident Baschar al-Assad, der seine Macht mit Hilfe russischer und iranischer Unterstützung in den vergangenen Jahren wieder festigen konnte.
Tausende Menschen bereits auf der Flucht HTS-Anführer Abu Mohammed al-Dscholani wies seine Kämpfer einer Mitteilung zufolge an, keine Zerstörung in der Stadt anzurichten und Zivilisten keinen Schaden zuzufügen. Nach Angaben eines dpa-Reporters vor Ort sind bereits Tausende Menschen auf der Flucht in ländliche Gebiete oder andere Städte. Die Rebellenallianz verhängte nach eigenen Angaben eine Ausgangssperre in der Stadt bis 8 Uhr morgens am Samstag.
:Islamistische Rebellen stehen kurz vor Aleppo
Diktator Assad lässt die Aufständischen in der Region Idlib immer heftiger mit Drohnen beschießen – die reagieren mit einer überraschenden Offensive. Syriens Truppen schlagen zurück, und wieder mischt Russland mit.
Die Schlacht um Aleppo gilt als eine der schlimmsten des syrischen Bürgerkriegs
Russland verurteilte den unerwarteten Vormarsch der islamistischen Rebellen: „Natürlich ist das ein Eingriff in die Souveränität Syriens in dieser Region“, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow. Seine Worte legen aber nahe, dass Moskau sich nicht in der Verantwortung sieht, die Offensive zu stoppen. „Wir sind dafür, dass die syrischen Behörden so schnell wie möglich Ordnung in die Region bringen und die verfassungsmäßige Ordnung wiederherstellen“, sagte er laut der staatlichen Nachrichtenagentur Tass.
Aleppo war in den ersten Jahren des syrischen Bürgerkriegs stark umkämpft und wurde schwer verwüstet. Damals wurden die Aufständischen vom syrischen Militär und seinen Verbündeten gewaltsam aus dem östlichen Teil der Stadt vertrieben. Die Schlacht um Aleppo 2016 gilt als eine der schlimmsten in dem seit 2011 andauerndem Bürgerkrieg in Syrien. Idlib ist seit Jahren in der Hand der Aufständischen.
Seit dem jüngsten Ausbruch der Kämpfe sind nach Angaben der Vereinten Nationen etwa 14 000 Menschen in der Umgebung von Idlib und westlich von Aleppo vertrieben worden. Viele Bewohner flohen laut Augenzeugen aus Angst vor einer Eskalation. „Die Leute haben Angst. Ich packe meine Sachen und meine Familie und fahre in Richtung Damaskus“, sagte ein Anwohner im Westen Aleppos der dpa. Die Lage verschlechtere sich insbesondere für die Zivilbevölkerung, betonte der stellvertretende regionale UN-Koordinator für humanitäre Hilfe in Syrien, David Carden. „Wir erhalten Berichte über Kinder mit mehreren Verletzungen durch Schrapnell.“
Der Bürgerkrieg in Syrien hat das Land gespalten. Präsident Baschar Al-Assad geriet zeitweise schwer unter Druck, kontrolliert mit Hilfe seiner Verbündeten Russland und Iran inzwischen aber wieder zwei Drittel des Landes. Der Nordwesten ist teilweise unter Kontrolle von Oppositionskräften. Eine politische Lösung für den Konflikt ist nicht in Sicht. Infolge des Bürgerkriegs sind Millionen Syrer ins Ausland geflohen – viele auch nach Deutschland.