Südwest-CDU: Schicksalsgemeinschaft mit Kanzler Merz

vor 13 Stunden 1

Friedrich Merz hat einige Mühe, sich zur Bühne des Parteitags der CDU Baden-Württemberg vorzuarbeiten. Bei seinem Einmarsch stehen die Delegierten Spalier, sie klatschen euphorisch, viele halten diesen Moment mit ihren Handykameras fest: Friedrich Merz kommt als Kanzler. Darauf haben die Christdemokraten in Baden-Württemberg lange gewartet, länger als in vielen anderen Regionen.

Und auf den Tischen der Delegierten steht tatsächlich Popcorn.

Es ist vielleicht nicht das ganz große Kino, aber immerhin eine nicht ganz alltägliche Aufführung, für die sich die Christdemokraten mit Popcorn wappnen. Da ist zum einen die Wahl von CDU-Landeschef Manuel Hagel zum Spitzenkandidaten für die Landtagswahl am 8. März 2026, der eigentliche Anlass für diesen Parteitag. Und da ist der erste große innerparteiliche Auftritt von Merz seit seiner Wahl zum Kanzler. Sein einstündiger Besuch in Stuttgart gilt daher als kleiner Stimmungstest: Wie blickt die Basis auf seine ersten Tage im Amt? Und so viel lässt sich bereits bei seinem Einmarsch festhalten: Die Delegierten sind mit dem festen Vorsatz zusammengekommen, Merz zu feiern.

Es ist natürlich nicht so, dass sie hier restlos zufrieden wären mit der bisherigen Performance. Die Schuldenbremse zum Beispiel haben sie im Heimatland der schwäbischen Hausfrau besonders hochgehalten. Die Berliner Schulden-Bonanza sorgte daher an der Basis in Baden-Württemberg für einiges Grummeln. Und natürlich haben sie den Stolperstart registriert, die zwei Anläufe bei der Wahl von Merz zum Kanzler.

Aber heute lassen sie Milde walten.

Merz ist jetzt auf der Bühne. Er sagt, dass es gemeinsam mit der SPD gelingen müsse, Deutschland besser zu regieren als dies die Ampel getan habe. Deshalb kontrolliere man etwa die deutschen Grenzen besser, von Tag eins an. Alle europäischen Nachbarn wüssten, „wie wir es meinen: Wir wollen dieses Problem gemeinsam lösen, aber wir können es nicht akzeptieren, dass ein großer Teil des ungelösten Problems in der Bundesrepublik Deutschland ankommt“. An dieser Stelle klatschen die Delegierten besonders ausdauernd.

(Foto: Bernd Weißbrod/Bernd Weißbrod/dpa)

In Baden-Württemberg hatte Merz schon immer eine besonders stabile Fanbase.  Viele Mitglieder der Südwest-CDU warben bereits für den Sauerländer, als der Ende 2018 erstmals für den CDU-Bundesvorsitz kandidierte, damals noch erfolglos. Und als die Union im Frühjahr 2024 diskutierte, wer sie in die Bundestagswahl 2025 führen solle, da überraschte CDU-Landeschef Hagel viele mit einem kecken Manöver: Er sprach sich Anfang Mai 2024 öffentlich für Merz als Kanzlerkandidaten aus. Die frühe Positionierung erfolgte nicht etwa in Stuttgart, auf sicherem Terrain, sondern in Lindau, auf bayerischem Boden, und, als besondere Pointe, im Beisein von Markus Söder. Bei so viel Chuzpe wirkte sogar der bayerische CSU-Ministerpräsident überrumpelt, der sich die Kanzlerschaft bekanntlich jederzeit selbst zutrauen würde. Im Sauerland dagegen, heißt es, war man über Hagels Vorstoß hocherfreut.

Der Auftritt von Merz in Stuttgart darf daher als Dank an seine  besonders treuen Unterstützer im Südwesten verstanden werden. Als Unterstützung für Manuel Hagel, den die Delegierten am Vormittag mit 272 von 293 Stimmen zum Spitzenkandidaten wählten.

Manuel Hagel (M), flankiert von den ehemaligen baden-württembergischen Ministerpräsidenten Stefan Mappus (l) und Günther Oettinger (r).
Manuel Hagel (M), flankiert von den ehemaligen baden-württembergischen Ministerpräsidenten Stefan Mappus (l) und Günther Oettinger (r). (Foto: Bernd Weißbrod/Bernd Weißbrod/dpa)

Nun bilden der Schwabe und der Sauerländer eine politische Schicksalsgemeinschaft. Der Kanzler wird daran gemessen werden, ob die CDU 2026 in Baden-Württemberg wieder den Regierungschef stellen wird. Oder ob Cem Özdemir für die Grünen an die Ära von Ministerpräsident Winfried Kretschmann anknüpfen kann, der das Land seit 2011 regiert.

In den Umfragen liegt die Südwest-CDU gut neun Monate vor der Wahl klar vorne, bei 31 Prozent sehen die Demoskopen von Infratest dimap Hagels Partei aktuell, die Grünen dagegen nur bei 20 Prozent. Nach Lage der Dinge kann die CDU einen Wahlsieg eigentlich nur noch selbst verstolpern, und da blickten zuletzt einige Parteistrategen leicht besorgt nach Berlin, auf Friedrich Merz, auf die vielen Zugeständnisse an die SPD, die mangelnde Erklärung des mit Schulden finanzierten Infrastrukturfonds.

Merz scheint die Erwartungshaltung zu kennen, so darf man ihn an diesem Samstag verstehen. Er werde am Nachmittag weiterfliegen, nach Rom, zu Gesprächen mit Italiens Regierungschefin Giorgia Meloni. Aber vorher, sagt er auf der Bühne, werde er noch Winfried Kretschmann besuchen, den grünen Ministerpräsidenten, der an diesem Samstag 77 Jahre alt wird und der zur großen Erleichterung der CDU 2026 nicht mehr antritt. „Ich werde ihm sagen: Sein Erbe wird in den Händen von Manuel Hagel in guten Händen sein.“

Es ist vielleicht nicht gerade das, was sich Kretschmann an seinem Geburtstag am sehnlichsten wünscht. Aber Merz ist ja vor allem in den Südwesten gekommen, um Manuel Hagel einen Gefallen zu tun.

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