Nach einer eher durchwachsenen Saison in der Regionalliga Südwest läuft bei den Stuttgarter Kickers die Aufarbeitung. Erste Personalentscheidungen sind bereits gefallen: Während der Trainer bleibt, wird der Kader umgebaut. Die Erwartungen sollen zurückgeschraubt werden.

Enttäuschung bei David Braig und Paul Polauke nach dem 1:5 gegen Kassel. Letzterer ist einer von acht bisherigen Abgängen bei den Blauen. IMAGO/Pressefoto Baumann
Wenn ein Verein keine 24 Stunden nach dem Abpfiff am letzten Spieltag eine Mitteilung unter dem Titel "Saisonende mit klaren Worten" mit Statements des Präsidenten, Sport-Geschäftsführers, Cheftrainers und Kapitäns veröffentlicht, muss irgendwas nicht so gelaufen sein. So geschehen bei den Stuttgarter Kickers nach der abgelaufenen Spielzeit in der Regionalliga Südwest.
Auf den ersten Blick liest sich Tabellenplatz 6 im zweiten Jahr nach dem Aufstieg und zuvor fünf Jahren Oberliga gar nicht so verkehrt. Doch die letzten Wochen der Saison werfen Fragen auf. Sechs der letzten sieben Spiele haben die Blauen verloren. Die Spielzeit endete nicht nur mit drei Niederlagen in Folge, zum Abschluss setzte es auch noch eine 1:5-Heimpleite gegen den KSV Hessen Kassel.
Grund genug für die sportlich Verantwortlichen, schnell zu reagieren und in die Analyse zu gehen. "Die Enttäuschung sitzt tief, aber wir dürfen den Blick fürs Ganze nicht verlieren", wird Lutz Siebrecht, Geschäftsführer Sport der Kickers, zitiert. Präsident Rainer Lorz ergänzt, dass die Aufarbeitung der Saison "mit der gebotenen Sachlichkeit und Sorgfalt" und "nicht aus Aktionismus, sondern aus dem Selbstverständnis heraus, uns weiterentwickeln zu wollen" erfolgen müsse. "In dem Wissen, dass wir künftig unserem sportlichen Anspruch wieder mehr gerecht werden müssen, den wir zum Saisonende hin haben vermissen lassen."
Fehlende Konstanz
Nach der Vizemeisterschaft und dem nur knapp verpassten Durchmarsch in die 3. Liga in der Vorsaison zählten die Kickers für viele zu den Top-Favoriten und auch unter dem Stuttgarter Fernsehturm wurde die Hoffnung auf die Rückkehr in den Profifußball genährt. Erst recht, als der SVK mit sieben ungeschlagenen Spielen in die Saison startete und bereits Ende August wieder von der Tabellenspitze grüßte. Nach einem herbstlichen Tief rutschten die Stuttgarter ins Tabellenmittelfeld, konnten sich aber wieder befreien und nach der Winterpause nochmals Tuchfühlung aufnehmen. Nach 23 Spieltagen hatte man Anfang März als Vierter nur noch drei Zähler Rückstand auf die Spitze. Allerdings fehlte den Kickers zu häufig in entscheidenden Momenten die Konstanz und dadurch wichtige Punkte.
Spätestens nach dem 0:3 beim späteren Meister TSG Hoffenheim II war Anfang April der Aufstiegszug abgefahren. In der Folge ließen die Blauen die Saison mehr oder weniger austrudeln und zogen damit den Unmut der Fans auf sich. "Wir wissen, dass wir gegen Ende der Saison nicht immer das Gesicht gezeigt haben, für das wir eigentlich stehen wollen. Und wir wissen, dass wir den Fans etwas schuldig sind", sagt Cheftrainer Marco Wildersinn.
Wir wissen, dass wir gegen Ende der Saison nicht immer das Gesicht gezeigt haben, für das wir eigentlich stehen wollen. Und wir wissen, dass wir den Fans etwas schuldig sind.
Der 44-Jährige sah sich in seinem ersten Jahr als Kickers-Coach immer wieder Kritik von außen ausgesetzt. "Dass die Enttäuschung da ist, verstehe ich. Wir als Trainerteam haben uns den Verlauf auch anders vorgestellt. Aber es war keine Saison ohne Hintergrund. Wir hatten eine Mannschaft, die nach der Vizemeisterschaft im Vorjahr den Aufstieg knapp verpasst hatte, das war schwer zu verkraften. Mit einigen bitteren Niederlagen in der Saisonendphase haben wir es verpasst, oben nochmal anzugreifen. Das hat Spuren hinterlassen", erläutert Wildersinn, der sich weiter beweisen darf. Ohnehin noch mit einem Vertrag bis 2026 ausgestattet, erhielt Wildersinn stets die Rückendeckung von Siebrecht. Gemeinsam arbeiten beide die abgelaufene Saison auf und stellen die Mannschaft neu zusammen.
Als oberstes Ziel stehen die Verjüngung und Verkleinerung des Kaders auf der Stuttgarter Agenda. Von acht Spielern hat sich der Verein bisher getrennt, darunter einstige Leistungsträger wie David Kammerbauer, Marcel Schmidts oder Paul Polauke. Diese Personalentscheidungen wurde bereits im letzten Saisondrittel getroffen. "Das hat intern natürlich auch etwas ausgelöst", sieht Wildersinn darin einen möglichen Grund für den Negativtrend zum Saisonausklang. Jetzt gilt es die Mannschaft ausgewogen und passend zum von Wildersinn praktizierten ballbesitzorientierten Spiel zusammenzustellen. "Wir brauchen wieder eine gesunde Mischung. Junge Spieler mit Ambition, Perspektive und Entwicklungspotenzial, aber auch Typen mit Erfahrung, die Stabilität reinbringen. Und wir wollen Spieler, die mit uns wachsen", sagt Siebrecht.
Fünf Neuzugänge, überwiegend für die Defensive, haben die Blauen bereits verpflichtet, von denen Maximilian Zaiser mit 26 Jahren der älteste ist. Dazu kommen mit Oskar Hencke, Ardi Mulaj und Lirjon Abdullahu drei vielversprechende Talente aus dem eigenen Nachwuchs. Inzwischen stehen nur noch vier Spieler im Kader, die das Trikot der Blauen bereits in der Oberliga getragen haben. Die Anzahl der Akteure im Kader und rund um die 30 Jahre soll weiter reduziert werden, weshalb Routiniers wie Brian Behrendt, Sinan Tekerci oder Meris Skenderovic den Verein noch verlassen dürfen.
Dagegen war der Abgang von Nyamekye Awortwie-Grant nicht eingeplant. Der Innenverteidiger wechselt per Ausstiegsklausel zu Drittligist Energie Cottbus. Dadurch haben die Kickers hier und auch in der Offensive noch Bedarf, schließlich sieht Wildersinn vor dem gegnerischen Tor die größte Baustelle: "Wir haben uns viele Chancen erspielt, aber waren nicht effizient genug. Wir brauchen mehr Zielstrebigkeit im letzten Drittel, mehr Konsequenz. Gleichzeitig wollen wir aus unserem Ballbesitzspiel mehr Kapital schlagen." Zwar lagen die Kickers beim Blick auf den xGoals-Wert voll im Soll. Von 57.4 zu erwartenden Toren haben die Stuttgarter 56 erzielt, weisen mit 35 Prozent aber eine recht niedrige Schussgenauigkeit auf (Quelle: Createfootball). Deshalb wird unter anderem noch ein Torjäger gesucht.
Aufstieg kein Muss
Im besten Fall können die Kickers bis zum Trainingsauftakt am 19. Juni noch den ein oder anderen Neuzugang präsentieren. Unabhängig davon spielt der Aufstieg auf der Waldau erstmal keine Rolle mehr. "Wir tun uns überhaupt keinen Gefallen damit, weiterhin jede Saison mit dem Anspruch anzugehen, Meister zu werden. Dagegen spricht allein die Faktenlage", sagt Siebrecht und verweist etwa auf die Konkurrenz aus Offenbach und Homburg. Trotzdem gibt Wildersinn ein klares Ziel aus: "Konstanter spielen, effizienter werden, die Fans zufrieden stellen und so die verkleinerte und verjüngte Mannschaft weiterentwickeln. Dann haben wir alle viel Spaß." Statt klaren Worten würde dann auch wieder die Leistung auf dem Platz für die Kickers sprechen.
Daniel Haug