Von Influencern gesteuerte politische Inhalte auf sozialen Netzwerken stellen eine ernsthafte Herausforderung für Transparenz, Rechenschaftspflicht und Wahlintegrität auch in der EU dar. Das beklagt die Bürgerrechtsorganisation Civil Liberties Union for Europe (Liberties) in einer Studie. Millionen Nutzer – insbesondere von jungen Menschen – nehmen einschlägige Social-Media-Akteure demnach als "vertrauenswürdige Stimmen" wahr. Wenn politische Akteure Influencer aber dafür bezahlen, ihre Botschaften direkt oder indirekt ohne klare Offenlegung zu verbreiten, "werden die Wähler in die Irre geführt".
Was wie eine authentische persönliche Meinung daherkomme, sei angesichts der Zunahme politischer Kampagnen im Internet oft "in Wirklichkeit bezahlte Werbung", erläutert Liberties in der Analyse. Dies untergrabe fundierte Entscheidungen sowie das Vertrauen der Öffentlichkeit. Zugleich ermögliche es dieser Ansatz politischen Parteien und Akteuren, Transparenzregeln gerade während Wahlperioden zu umgehen.
Im Rahmen der Untersuchung beobachteten Forscher beteiligter Organisationen 2024 die Trends bei Wahlwerbung in den sechs EU-Staaten Deutschland, Bulgarien, Frankreich, Ungarn, Polen und Spanien. Sie bewerteten dabei, inwiefern sehr große Online-Plattformen und Suchmaschinen ihren Pflichten gemäß dem Digital Services Act (DSA) nachkamen. Ihnen fiel dabei auf: Während sich klassische einschlägige Forschung auf traditionelle politische Anzeigen konzentriere, würden Influencer-Inhalte weitgehend übersehen. Liberties spricht hier von einem "blinden Fleck" mit massiven Konsequenzen.
Streit über TikTok-Influencer in Rumänien
Vor allem in den USA sei die politische Ausschlachtung der Influencer-Masche spätestens seit den Präsidentschaftswahlen 2020 und dem Kampf zwischen Joe Biden und Donald Trump weitverbreitet, verweist das Team auf andere Forschungsergebnisse. Doch auch in der EU führe diese Praxis zunehmend zu einer "Verzerrung demokratischer Prozesse durch Manipulation im Inland und Einmischung aus dem Ausland, mit dem Ziel, geopolitische Vorteile zu erlangen".
In Rumänien wurden die Präsidentschaftswahlen 2024 nach einem Skandal um bezahlte TikTok-Kampagnen, vorgetäuschtes Engagement und mutmaßlichen russischen Einfluss zunächst abgesagt, bringt Liberties ein Beispiel. Der rechtsextreme Kandidat Calin Georgescu avancierte dank TikTok zum Spitzenreiter, ohne Wahlkampfbudget oder formelle Öffentlichkeitsarbeit. Experten zufolge seien über 100 Influencer unwissentlich dafür bezahlt worden, vage politische Botschaften zu posten. Parallel hätten Tausende gefälschte Konten die Kurzvideo-Plattform mit Pro-Georgescu-Kommentaren überschwemmt, um deren Sichtbarkeit zu erhöhen.
Ein bekannter Influencer mit dem Spitznamen "König von TikTok" sei später verhaftet worden, weil er angeblich fast eine Million US-Dollar in verdeckten Zahlungen verteilt habe, ist dem Bericht zu entnehmen. Der Fall habe gezeigt, "wie Influencer, Bots und undurchsichtige Marketingplattformen als Waffe eingesetzt werden können, um Wähler zu beeinflussen und gleichzeitig die Gesetze zur politischen Transparenz zu umgehen". Vor Kurzem hat in Rumänien der Rechtspopulist George Simion im ersten Durchgang der Präsidentschaftswahl einen deutlichen Sieg errungen, dem ähnliche Social-Media-Taktiken wie Georgescu nachgesagt werden.
Die EU soll den DSA besser durchsetzen
Trotz klarer Leitlinien der EU-Kommission für die EU-Wahlen 2024 hätten große Plattformen wie Meta, TikTok, YouTube und X es versäumt, "sinnvolle Transparenzmaßnahmen für die Inhalte politischer Influencer umzusetzen", monieren die Bürgerrechtler. Einige untersagten politische Anzeigen zwar ganz, böten aber keine Instrumente zum Aufdecken oder Offenlegen verdeckter Sponsorings. Dadurch gerieten politische Botschaften "immer weiter in den Untergrund und entziehen sich der öffentlichen Kontrolle". Selbstregulierungsmaßnahmen seien "lückenhaft, undurchsichtig und für Nutzer und Forscher schwer zu durchschauen". Die gesetzlich vorgeschriebenen Bibliotheken mit politischen Anzeigen sind dem Report zufolge oft unvollständig, kaum durchsuchbar oder gar nicht vorhanden.
Liberties rät der Kommission, die Richtlinien zu verschärfen und den DSA schärfer durchzusetzen. An Plattformbetreiber geht etwa der Appell, freiwillig eine verpflichtende Kennzeichnung von Influencer-Inhalten zu implementieren, die bezahlt oder mit politischen Akteuren koordiniert wurden.
(mma)