Wegen der Blockade des E-Mail-Kontos des Chefanklägers des Internationalen Gerichtshofs (IStGH), Karim Khan, gerät Microsoft zunehmend in die Schusslinie. US-Präsident Donald Trump sanktionierte das Den Haager Gericht im Februar, nachdem ein Gremium von IStGH-Richtern im November Haftbefehle gegen den israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu und seinen früheren Verteidigungsminister Yoav Gallant mit Blick auf Kriegsverbrechen im Gaza-Streifen erlassen hatte.
Der Gerichtshof werde deswegen in seiner Arbeit geradezu gelähmt, schreibt die Nachrichtenagentur AP. Ein Grund dafür sei, dass er in hohem Maße auf Dienstleister wie Microsoft angewiesen sei. Diese hätten ihre Arbeit für das Gericht eingeschränkt, weil sie befürchteten, ins Visier der US-Behörden zu geraten.
Microsoft habe Khans E-Mail-Account kurzerhand gesperrt, berichtet AP. Der 55-jährige Brite sei dadurch gezwungen worden, zum Schweizer E-Mail-Anbieter Proton zu wechseln, sollen IStGH-Mitarbeiter geschildert haben. Microsoft wollte laut dem Bericht dazu nicht Stellung nehmen. Auch Khans Bankkonten in seinem Heimatland Großbritannien seien gesperrt worden. Selbst Mitarbeiter einer zivilgesellschaftlichen Einrichtung, die eine zentrale Rolle beim Sammeln von Beweisen und dem Auffinden von Zeugen spiele, habe Geld von US-Bankkonten abgezogen, um es vor einer Beschlagnahme zu sichern.
Die Open Source Business Alliance (OSBA) alias Bundesverband für digitale Souveränität zeigt sich nun verstört über die Hilfssheriffdienste von US-Unternehmen. Sie hält das Vorgehen von Microsoft "in diesem Kontext und dieser Auswirkung" für "beispiellos". Der OSBA-Vorstandsvorsitzende Peter Ganten betont: Die von den USA angeordneten und von dem Software-Giganten mit umgesetzten Sanktionen gegen den Strafgerichtshof "müssen ein Weckruf für alle sein, die für die sichere Verfügbarkeit staatlicher und privater IT- und Kommunikationsinfrastrukturen verantwortlich sind". Sie untermauerten: "Wir können uns nicht auf Unternehmen verlassen, die nicht unter unserer Jurisdiktion stehen."
Trump kann Organisationen "digital abschalten"
Nötig sind Ganten zufolge daher "dringend Alternativen, die wir kontrollieren und gestalten können". Der Befürworter von freier Software sieht deshalb die neue Bundesregierung gefordert, "dies nun mit Hochdruck umzusetzen". Das schwarz-rote Bündnis hat in seinem Koalitionsvertrag festgehalten: "Unsere Digitalpolitik ist ausgerichtet auf Souveränität." Dabei gehe es um "Machtpolitik". Gefragt sei ein "digital souveränes Deutschland". Neben Kanzler Friedrich Merz betonte gerade auch Digitalminister Karsten Wildberger (beide CDU) diesen Aspekt.
Den Worten müssten nun Taten folgen, drängt die OSBA auf rasches Handeln. Die Brisanz der Lage werde deutlich, wenn man sich klarmache, dass Microsoft in dem Fall aufgrund der politischen und rechtlichen Lage in den USA gar nicht anders handeln könne. Konsequenterweise sei daher die Unabhängigkeit von Gerichten "nur durch digitale Souveränität" sicherzustellen. Zudem sei die Situation mit vielen anderen denkbaren Fällen vergleichbar und müsse auch als warnendes Beispiel gesehen werden: Nicht nur Mail-Konten, sondern etwa auch Cloud-Dienste und Software-Serviceprodukte könnten gesperrt werden. Der US-Präsident könne per Dekret "jede Organisation, die von US-Technologie abhängig ist, digital abschalten".
Khan hat gerade entschieden, sein Amt kurzzeitig ruhen zu lassen. Hintergrund sind laufende Untersuchungen der UN über mutmaßliche sexuelle Übergriffe, die der Brite selbst anstieß. Voriges Jahr meldeten zwei Gerichtsangestellte, der Chefankläger habe eine seiner Assistentinnen in eine sexuelle Beziehung zwingen wollen. Entsprechende Berichte machten just wenige Wochen vor Khans Ankündigung die Runde, Haftbefehle gegen die israelischen Spitzenpolitiker zu beantragen. Der Betroffene hat die Anschuldigungen vehement zurückgewiesen.
(nie)