Eine Entscheidung hat uns Ubisoft Blue Byte direkt abgenommen: Bei unserer Anspiel-Session von "Anno 117" war nur Latium, die klassisch-römische der beiden Startfraktionen, spielbar. In der fertigen Version kann man sich auch dazu entscheiden, stattdessen im keltischen Albion anzufangen. Erstmals gibt es zwei komplett gleichgestellte Start-Regionen, zwischen denen man auswählen darf.
"Anno 117" steckt voller solcher Entscheidungen, die den Spielverlauf prägen. So müssen sich Spieler in neuen Tech-Trees zurechtfinden, Götter zum Anbeten für unterschiedliche Boni aussuchen und bei Quests zwischen verschiedenen Lösungswegen entscheiden. Sogar die Ausstattung der Schiffe darf man jetzt selbst gestalten.
So groß, wie man möchte
Entscheidungsfreiheit war bei der Entwicklung des neuen Serienablegers ein wichtiges Motiv, erklärt Creative Director Manuel Reinher im Nachgang der vierstündigen Anspiel-Session gegenüber heise online. Denn der neue Teil soll dynamischer werden als die Vorgänger. "Wir wollten die Linearität ein bisschen aufbrechen und mehr Freiheit einbringen", sagt Reinher. "Entscheidungen machen Spaß!"
Bei Quests sind oft Entscheidungen gefragt. Für die optische Aufbereitung wurde das Rendering der Figuren verbessert.
(Bild: heise online)
Zwei Spieldurchläufe könnten im neuen Teil daher deutlich unterschiedlicher ausfallen als etwa noch bei "Anno 1800", wo der Spielfortschritt strikt gestaffelt war. Überhaupt soll man sich "Anno 117" so groß machen können, wie man es selbst möchte, erklärt Reinher. "Wenn du jetzt nicht der Anno-Hardcore-Crack bist, dann kannst du auch sagen: 'Ich bleibe jetzt einfach nur Latium'." Niemand soll gezwungen werden, beide Regionen zu bewirtschaften. Einige Güter und Benefits bleiben dann versperrt, aber komplett vom Fortschritt ausgeschlossen wird man nicht.
Bretter, Fische, Tuniken
Diese neue Freiheit ist eine grundlegende Design-Änderung. Im Kern spielt sich "Anno 117" trotzdem noch wie ein ganz normales "Anno", der neue Teil ist kein experimenteller Ausreißer wie einst "Anno 2205". Man bekommt klassische Aufbaustrategie mit ein paar frischen Twists. Zu Beginn bauen wir also Wohnhäuser (wahlweise auch an diagonale Straßen), hacken Holz, machen Bretter daraus und gehen auf Fischfang. Später wird der Plebs anspruchsvoller und möchte in Tuniken gekleidet und mit Seife gewaschen werden, die in klassischen Produktionsketten hergestellt werden.
Bei der Platzierung dieser Produktionsgebäude ist nun aber etwas mehr Achtsamkeit gefragt: Konnte man in vorherigen "Anno"-Spielen die Produktionsketten noch beliebig irgendwo hinklatschen, muss man in "Anno 117" nun deutlich besser aufpassen. Viele Bauwerke haben nämlich einen Einflussradius, in dem sie sich auf andere Gebäude in der Umgebung auswirken.
"Städtebau war eigentlich immer relativ simpel"
So erhöht die Ziegelbrennerei etwa die Brandgefahr, der Kohlenmeiler verpestet zusätzlich noch die Luft und möchte daher dringend außerhalb von Wohngebieten platziert werden. Dass ein Ärztehaus Gesundheitsgefahren in seinem Einflussbereich kontert, liegt auf der Hand. Aber man kann die fleißigen Medici nun auch anderweitig unterstützen: Etwa mit der Seifenmacherei, die sich ebenfalls gesundheitsfördernd auf Wohnhäuser in ihrer Umgebung auswirkt. Und bei der Bäckerei muss man abwägen: Sie generiert zusätzliches Einkommen für Wohnhäuser in der Nähe, erhöht aber deren Brandgefahr. Brauche ich das Geld oder ist mir das Risiko zu groß? Immerhin sind gerade einmal 50 Jahre vergangen, seit Rom lichterloh brannte.
Bäckerei-Bau in "Anno 117": Ob zusätzliche Einnahmen das Brandrisko rechtfertigen, muss jeder mit seinem eigenen Gewissen vereinbaren.
"Eine Schwäche von Anno war immer, dass der Städtebau eigentlich relativ simpel war", sagt Reinher. "Die meisten Leute haben die Produktionsgebäude an den Rand geschoben oder ausgelagert. Es gab nie einen Mehrwert, zu versuchen, noch ein bisschen feiner zu bauen, ein bisschen zu optimieren, Kombinationen zu finden, die noch mal einen besonderen Boost bringen. Deshalb haben wir mal ein neues Sytem ausprobiert und dann festgestellt: 'Oh, das fühlt sich gut an'. Es öffnet einen neuen Weg, nochmal ein bisschen zu tweaken. Und wir fanden es auch schön, dadurch ein wenig die Geschichte der Gebäude und der Güter zu verstärken."
Famous last words.
(Bild: heise online)
Tatsächlich spielt sich das neue System sehr natürlich. Die positiven und negativen Umgebungseffekte leuchten ein und ergeben intuitiv Sinn. Die richtige Balance zu finden, ist knifflig und gibt der Aufbaustrategie mehr Tiefgang.
Fischsoße macht glücklich
Dass Statistiken wie Zufriedenheit und Gesundheit nun klarer kommuniziert werden, verleiht auch anderen Systemen mehr strategische Tiefe. In "Anno 117" ist etwa bei den Warenbedürfnissen klar erkennbar, welche positiven Auswirkungen die Lieferung von Gütern hat. Ausreichend Brot bringt etwa nicht nur Steuereinnahmen, sondern stärkt auch das Gefühl von Gemeinschaft.
Die Fischsoße Garum steigert dagegen trotz ihrer kulinarischen Streitbarkeit die Zufriedenheit der Bevölkerung. So kann man priorisieren, welchen Engpass man gerade am dringlichsten beheben sollte. Zieht der Pöbel marodierend durch die Straßen, muss man vielleicht einfach ein bisschen mehr Fisch garen. Im Grunde war das in früheren Spielen schon ähnlich. Dass man alle wichtigen Zahlen jetzt aber klar sieht, macht sie aber "strategisch nutzbar", sagt Reinher.