Wenn die 16 Regierungschefs der Bundesländer nach Berlin kommen, ist das eine Leistungsschau der deutschen Autoindustrie. Der Parkplatz des Bundesrats ist gut gefüllt mit dunklen Limousinen. Aber diese Ausstellung deutscher Ingenieurskunst wird im Vergleich noch überstrahlt von der Verhandlungskunst der Ministerpräsidenten. Mal wieder haben sie der Bundesregierung ein paar Milliarden abgeschwatzt. Aus dem großen Sondervermögen Infrastruktur, dem schuldenfinanzierten Investitionsprogramm von Schwarz-Rot, hatten sich die Länder von 500 Milliarden Euro bereits 100 Milliarden Euro gesichert. Nun legt der Bund noch mal acht Milliarden Euro darauf.
Denn Bundesfinanzminister Lars Klingbeil (SPD) braucht die Zustimmung der Länder im Bundesrat, um sein erstes Steuergesetz zu verabschieden. Er will schnellere Abschreibungen für Unternehmen erreichen und später die Körperschaftsteuer senken, die Firmen zahlen. Beides soll das Wirtschaftswachstum fördern, kostet aber zunächst Steuereinnahmen. Und zwar nicht nur im Bundeshaushalt, sondern auch bei Ländern und Kommunen. Steuern von Unternehmen fließen nämlich an alle drei Ebenen des Föderalstaats. Daher haben die Steuersenkungen, die der Bundestag am Donnerstag beschließen soll, ebenso Folgen für die Haushalte der Bundesländer.
Der SPD-Chef will nicht der Minister sein, der Kämmerer quält
Insgesamt kostet das Gesetz laut Bundesfinanzministerium bis 2029 mehr als 48 Milliarden Euro an geplanten Einnahmen. Mehr als 60 Prozent davon entfallen bei Ländern und Kommunen. In den Gemeinden schlagen vor allem die Abschreibungen durch, in den ersten Jahren verlieren die Bürgermeister mehr Einnahmen als die Ministerpräsidenten oder der Bundesfinanzminister. Unter dem Strich hätte das bedeuten können, dass eine Gemeinde trotz des enorm hohen Sondervermögens für Infrastruktur nächstes Jahr womöglich kein Geld gehabt hätte, um eine Schule oder eine Brücke zu renovieren. Das hätte wiederum für Klingbeil blöd ausgesehen: Der SPD-Chef will sich nicht als Sparminister hervortun, der die Kämmerer quält, sondern als Investitionsminister, der die Bagger tanzen lässt.
Damit die kommunalen Investitionen fließen können, sollen die Kommunen einen Ausgleich für die Steuerausfälle bekommen. Finanzminister Klingbeil verkündete am Dienstag, „dass dieser Betrag 100 Prozent kompensiert wird vom Bund“. Technisch werde dies gelöst, indem der Bund den Kommunen befristet bis 2029 einen entsprechenden Anteil der Umsatzsteuer überlasse. Achim Brötel, der Landrat des Neckar-Odenwald-Kreises und Präsident des Deutschen Landkreistags, zeigte sich erfreut über dieses Ergebnis. „Das ist ein Erfolg für die kommunale Seite“, sagte er.
Verhandelt haben die Einigung über die Steuerausfälle für die Bundesregierung Klingbeil und Kanzleramtschef Thorsten Frei (CDU). Die SPD-Länder vertrat Olaf Lies, Markus Söder verhandelte für die CSU. Die CDU-Länder waren nicht nur mit Michael Kretschmer vertreten, der als Sachse derzeit die Ministerpräsidentenkonferenz leitet, sondern zudem mit Hendrik Wüst aus Nordrhein-Westfalen.
Während der finanzielle Ausgleich für die Kommunen im politischen Berlin nicht umstritten ist, sind über die zusätzlichen Milliarden für die Bundesländer verschiedene Meinungen zu hören. Denn die Steuerausfälle für die Länder kommen für die Ministerpräsidenten nicht überraschend. Im Gegenteil, führende Länderchefs hatten den Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung mitverhandelt. In dem Papier steht prominent ein „Investitionsbooster“, was die schnelleren Abschreibungen meint, und die Senkung der Körperschaftsteuer. Beides zu verkoppeln, ist ein Kompromiss: Die SPD wollte die Abschreibungen, die Union die niedrigere Körperschaftsteuer. Und auch die Ministerpräsidenten wollen den Firmen helfen, sie warben in ihren Ländern für den Koalitionsvertrag.
Klingbeil räumt ein, dass er den Ministerpräsidenten entgegengekommen ist
Im konkreten Gesetzesverfahren schien den Ministerpräsidenten dann wieder einzufallen, dass sie sich ihre Zustimmung im Bundesrat von Klingbeil bezahlen lassen können. In CDU-Kreisen wird diese Sicht allerdings bestritten. Dort wird auf das offizielle Wahlprogramm der Union verwiesen, und zwar auf den sechsten Spiegelstrich der Seite 74: Dort steht in der Tat bereits, dass „Maßnahmen des Bundes“ finanziell ausgeglichen werden müssen, wenn sie Steuereinnahmen von Ländern und Kommunen schmälern. Verwaltungsrechtler sprechen von der Veranlassungskonnexität. In den Koalitionsvertrag hat es dieses Prinzip mit den stammtischtauglichen Worten „Wer bestellt, bezahlt“ geschafft.
Im Bundesfinanzministerium hatten sie allerdings die Steuerausfälle erst mal als Folge einer gemeinsamen Bestellung verbucht, deren Kosten eben gemeinsam getragen werden. Aber das reichte den Ministerpräsidenten nicht – und nun haben sie sich durchgesetzt. „Wir sind denen entgegengekommen“, sagte Klingbeil am Dienstag.
Der Bund wird somit weitere acht Milliarden aus seinem Teil des Sondervermögens Infrastruktur an die Länder durchreichen. Vier Milliarden Euro davon sollen in Kitas, Bildung, Wissenschaft fließen, und vier Milliarden Euro in Krankenhäuser. Beides sind klassische Länderaufgaben, deren Haushalte entlastet das also direkt.
Die Ländermilliarden dürfen auch in Kultur und Sport fließen
Und die Ministerpräsidenten bekommen noch mehr: Sie dürfen ihre 100 Milliarden Euro frei verteilen. Der Bund darf aus dem schuldenfinanzierten Sondervermögen nur investieren, wenn er im Kernhaushalt, also steuerfinanziert, ausreichend investiert. Das soll verhindern, dass indirekt die Schulden andere Staatsausgaben finanzieren, die nicht den Wirtschaftsstandort fördern. Diese Auflage soll für die Länder nicht mehr gelten. Ein Problem? „Ich habe da ein tiefes Vertrauen in die Länder, dass sie das Geld vernünftig einsetzen“, sagte Klingbeil. Die Öffentlichkeit könne die Arbeit der Länder ja kritisch begleiten.
Außerdem erlaubt der Bund den Ländern durch die neue Einigung, ihr Sondervermögen zu nutzen, um Geld für Sport und Kultur auszugeben. Das widerspricht allerdings dem bisherigen Ansatz, dass mit den enormen Krediten die Wettbewerbsfähigkeit der Bundesrepublik erhöht werden soll. Klingbeil sprach am Dienstag von der „entscheidenden Frage“ bei allen Maßnahmen, ob sie Wachstum schaffen würden oder nicht. Denn nur mit steigender Wirtschaftsleistung lassen sich die steigenden Zinsen bezahlen.
Sport und Kultur sind vergnüglich, aber besser produzieren können Mittelständler nicht, wenn der Sportplatz im Ort neue Bänke bekommt. Klingbeil stellte sich am Dienstag trotzdem vor die Länder. „Ich kann mir schon erklären, dass der Bau einer Sporthalle auch dazu führt, dass die Wirtschaft angekurbelt wird, dass die Arbeitsplätze gesichert werden“, sagte der Finanzminister. Dieser Erklärung würden die Ökonomen seines Hauses vermutlich widersprechen – aber die Ministerpräsidenten bestimmt nicht.