Spionage im Umfeld der AfD: Ex-Assistent von Maximilian Krah vor Gericht

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Jian G. trägt eine graue Fleecejacke, eine große Brille und eine hellblaue OP-Maske, als ihn Justizbeamte in den Gerichtssaal führen. Auf der Straße würde der zierliche Mann eher nicht auffallen. Hier vor dem Oberlandesgericht Dresden aber steht er von diesem Dienstag an im Mittelpunkt, als Angeklagter in einem der wohl spektakulärsten Spionageprozesse der vergangenen Jahrzehnte. Die Bundesanwaltschaft wirft dem Deutschen chinesischer Abstammung Agententätigkeit in einem besonders schweren Fall vor, jahrelang soll er für die Volksrepublik China spioniert haben.

Der Fall zeige exemplarisch die Aktivitäten chinesischer Dienste in Europa, sagt Bundesanwalt Stephan Morweiser. Jian G. habe Informationen aus den Bereichen Politik, Wirtschaft und Militär beschafft. Man könnte sagen: das ganz breite Spektrum. Der bisher gravierendste Fall mit Bezug auf China, sagt der Bundesanwalt. Mit vor Gericht steht auch Jian Gs. mutmaßliche Komplizin Jaqi X., sie soll ihm Informationen zugeliefert haben.

Laut der Anklageschrift, die ein Bundesanwalt vor dem Oberlandesgericht (OLG) verliest, war Jian G. eine üppig sprudelnde Quelle für Peking. Er soll seit 2002 Mitarbeiter eines chinesischen Geheimdienstes in Deutschland gewesen sein, bis ihn die Ermittler im April 2024 in Dresden festnehmen ließen. Jian G. soll als Assistent des damaligen EU-Abgeordneten Maximilian Krah mehr als 500 Dokumente zu Beratungen und Entscheidungen des Europäischen Parlaments beschafft und Unterlagen an chinesische Stellen weitergereicht haben, darunter „mindestens elf Dokumente, die das Europäische Parlament als ‚Sensitive‘ gekennzeichnet hatte“.

Der Angeklagte soll auch Dissidenten ausspioniert haben

Doch sein Arbeitsspektrum soll noch deutlich mehr umfasst haben. Er soll chinesische Oppositionelle und Dissidenten in Deutschland ausgespäht haben. Der Bundesanwalt berichtet von zwei langen Excel-Tabellen mit Namen und Daten zu chinesischen Dissidenten, die G. zusammengetragen habe. Jian G. traf demnach regimekritische Studenten in Deutschland, um ihre Identität herauszufinden, bot dem chinesischen Magazin MangMang eine Spende an, um deren Kontodaten zu erfahren. 1001 und 24 171 Excel-Zeilen sollen so zusammengekommen sein. Es klingt nach akribischer Fleißarbeit.

Doch es geht in Dresden nicht nur um Jian G. und seine mutmaßliche Komplizin Jaqi X., sondern indirekt auch um den prominenten AfD-Frontmann Krah. Was wusste er von der mutmaßlichen Agententätigkeit seines Assistenten? Inwiefern hat er Vertrauliches oder Kompromittierendes über Parteikollegen ausgeplaudert? Gibt es über Jian G. Verbindungen des AfD-Mannes zu chinesischen Diensten?

Denn G. soll laut Anklage auch Material von AfD-Spitzenpolitikern zusammengetragen haben, teilweise mithilfe von Gesprächen mit Krah. Laut der Zeitschrift  Spiegel soll der Angeklagte intime Details aus dem Privatleben von AfD-Chefin Alice Weidel und ihrer Lebensgefährtin geliefert haben, die er von seinem damaligen Chef Krah erfahren haben will. Demnach schöpfte Jian G. auch Vertrauliches aus dem Innenleben der Partei ab, etwa über Flügelkämpfe und angebliche Pläne zur Machtübernahme von Co-Parteichef Tino Chrupalla, die dieser laut Spiegel bestreitet.

Der AfD-Bundestagsabgeordnete Maximilian Krah gilt seit Jahren als Fürsprecher chinesischer Interessen.
Der AfD-Bundestagsabgeordnete Maximilian Krah gilt seit Jahren als Fürsprecher chinesischer Interessen. (Foto: Revierfoto/Imago)

Krah war AfD-Spitzenkandidat für die Europawahl im Juni 2024 und Mitglied des AfD-Bundesvorstands. Nach einer Reihe von Affären und Vorwürfen einer zu großen Nähe zu Russland und China schied er im Mai 2024 aus dem Bundesvorstand aus, die AfD-Abgeordneten im Europaparlament nahmen ihn nicht in ihre Delegation auf, Krah war isoliert. Der Sachse kandidierte daraufhin für den Bundestag, wo er heute Teil der AfD-Fraktion ist.

Krah gilt seit Jahren als Fürsprecher chinesischer Interessen. Nach seinem Einzug in das Europaparlament 2019 hatte er Jian G. als seinen Assistenten eingestellt und war mit ihm in das kommunistisch regierte Land gereist. Krah hat stets bestritten, von Jian Gs mutmaßlicher Agententätigkeit gewusst oder Vertrauliches preisgegeben zu haben. Er gilt in dem Komplex nicht als Beschuldigter, sondern als Zeuge. Am 3. September soll er vor Gericht aussagen.

Jian G. bestreitet die Vorwürfe

Jian G. verfolgt die Vorwürfe von der Anklagebank aus schweigend, gebeugt und mit missmutigem Blick. Er lässt die Vorgänge vor Gericht ganz anders darstellen. Er selbst will nicht sprechen, er lässt eine Erklärung verlesen. Sein Anwalt sagt, G.s Zuständigkeit als Assistent des Europaabgeordneten Krah habe auch die Beziehungen zu China umfasst, da treffe man sich auch mit Gesprächspartnern aus der Volksrepublik und tausche Informationen aus. Die Informationen habe er aber nicht „mit nachrichtendienstlicher Absicht ausgetauscht“. Demnach ist alles im Rahmen seiner Arbeit als Assistent geschehen. „Es ist nicht auszuschließen, dass einzelne Gesprächspartner nachrichtendienstlichen Strukturen angehören“, sagt der Anwalt. Nur will Jian G. davon nichts gewusst haben.

Die Anklage dagegen zeichnet das Bild einer gezielten Agententätigkeit. Jian G. wurde überwacht, er soll laut Bundesanwaltschaft von seinem Auto aus, in dem er sich „akustisch nicht überwacht vermutete“ mit einem Führungsoffizier bei einem chinesischen Geheimdienst telefoniert haben. Und die Ermittler sind offenbar im Besitz verschiedener digitaler Dokumente von G., in denen dieser die Erkenntnisse für die chinesische Seite aufbereitet haben soll.

Auch die Mitangeklagte Jaqi X. zeichnet das Bild eines gezielten Vorgehens von Jian G. Die Chinesin arbeitete bei einer Firma am Flughafen Leipzig/Halle, sie soll Informationen über Flüge, Fracht und Passagiere an Jian G. übermittelt haben, etwa über Transportflüge der Bundeswehr, der Rüstungsfirma Rheinmetall und über deren Mitarbeiter. Jian G. habe sie immer wieder nach solchen Informationen gefragt, sie habe ihm Angaben geliefert, mit Zweifeln zwar, aber ohne zu ahnen, dass sie sich damit strafbar mache. Nach ihren Angaben waren beide kurzzeitig liiert und danach befreundet. „Er hat mir gesagt, es wird nichts passieren, du hast doch nichts getan“, sagte Jaqi X.

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