Bereits zum Jahreswechsel haben sich die Beiträge für die Krankenkasse um mehrere Hundert Euro erhöht. Doch die Sozialbeiträge in Deutschland könnten bereits im kommenden Jahr erneut deutlich steigen. Das sagten mehrere Experten der Nachrichtenagentur dpa.
Laut dem Berliner Forschungsinstitut IGES musste ein Durchschnittsverdiener durch die teureren Kassen »einen sprunghaften Anstieg der Beitragsbelastung« verkraften. In diesem Jahr seien dann im Schnitt 255 Euro mehr für die Krankenkasse zu zahlen. Der Zusatzbeitrag zum allgemeinen Satz von 14,6 Prozent war Anfang 2025 auf im Schnitt 2,9 Prozent gestiegen. »Ohne weitere Maßnahmen werden diese Belastungen zunehmen«, sagte IGES-Geschäftsführer Martin Albrecht.
Mehr Geld für das Sozialsystem benötigt
Laut IGES-Berechnungen wird der Anteil des Einkommens, der für die Sozialsysteme benötigt wird, in den kommenden zehn Jahren spürbar steigen. Derzeit würde dieser Wert rund 42 Prozent betragen. Künftig könnte er im schlimmsten Fall auf bis zu 53 Prozent anwachsen.
Die Bundesregierung hatte den amtlichen Orientierungswert für Beitragserhöhungen vom Zusatzwert auf 2,5 Prozent festgelegt. Das bedeutete bereits eine Steigerung von rund 0,8 Prozentpunkte im Vergleich zu 2024. Für die kommenden zwei Jahre rechne er mit jeweils rund 0,2 Beitragssatzpunkten mehr, sagt der für seine Gesundheitsberechnungen bekannte Essener Ökonom Jürgen Wasem.
Laut Wasem habe die Politik über Jahre ignoriert, dass auch in der Krankenversicherung die Demografie-Effekte ähnlich wie in der Rente enorm sind: »Ältere Menschen brauchen im Schnitt drei bis vier Mal so viele Leistungen wie jüngere.«
Wasem glaubt auch, dass der Pflegebeitrag weiter wachsen werde. Dies liege etwa an der demografischen Entwicklung, aber auch an den Lohnsteigerungen für Pflegekräfte. Der Pflegebeitrag war zum Jahreswechsel um 0,2 Punkte auf 3,6 Prozent für Versicherte mit einem Kind gestiegen.
Bei der Arbeitslosenversicherung kam es zu einer Erhöhung von 2,6 Prozent. Trotz des Kostendrucks soll auch hier der Satz vorerst stabil bleiben. Im Zentrum der Diskussion steht insbesondere der Rentenbeitragssatz. Dabei stellt sich die Frage, wie lange er noch bei 18,6 Prozent des Bruttogehalts bleiben wird.
Schaden für die Wirtschaft
Die zerbrochene Ampelregierung hatte bereits eine Rentenreform vor und wollte den Beitrag für 2035 dabei auf 22,3 Prozent erhöhen. Der Koalitionsvertragsentwurf der wahrscheinlichen neuen Bundesregierung aus CDU/CSU und SPD sieht vorerst ein stabiles Rentenniveau von 48 Prozent vor. Das kostet Milliarden. Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, warnt: »Wenn der Beitragssatz wegen eines stabilen Rentenniveaus deutlich ansteigt, dann nimmt die Wirtschaft in Deutschland Schaden.«
Generell verschärft der Koalitionsvertrag das Problem laut Fratzscher. Anstelle von Vorschlägen zu einer Begrenzung des künftigen Beitragsanstiegs gebe es teure Versprechungen wie ein stabiles Rentenniveau und eine ausgeweitete Mütterrente. Fratzscher kritisiert, dass der Sozialstaat jedes Jahr weniger generationengerecht werde. »Offensichtlich wollen weder Union noch SPD ihre Wählerinnen und Wähler mit irgendwelchen Zumutungen belästigen.«
Hohe Sozialausgaben hemmen Konsum
Früher hätte das Wirtschaftswachstum derartige Entwicklungen kompensieren können. Doch Ökonom Fratzscher rechnet mit dem dritten Rezessionsjahr in Folge. Somit werde die wirtschaftliche Entwicklung auch dadurch unter Druck gesetzt. »Hohe Sozialabgaben hemmen den privaten Konsum, der mehr als die Hälfte zur Wirtschaftsleistung beiträgt«, sagt Fratzscher. »Wenn die Menschen in Deutschland nicht wieder mehr ausgeben, wird nachhaltige konjunkturelle Erholung kaum gelingen.«
Der Ökonom Nicolas Ziebarth vom Zentrum für europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) nennt die steigenden Sozialbeiträge »eine der drängendsten Herausforderungen für die deutsche Wirtschaft.» Studien würden laut Ziebarth nahe legen, dass pro Sozialbeitragssatzpunkt mit 50.000 bis 100.000 Arbeitsplätzen weniger pro Jahr zu rechnen sei. Der ZEW-Forscher rechnet nicht damit, dass der kommenden Koalition notwendige Reformen gelingen. Dafür seien die ideologischen Unterschiede zu groß.