Sein Herz am Spieß: Konzert von Santana in Hamburg

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Auf der Welt gibt es nicht viele Musiker, die einen Auftritt mit einem Feuerwerk von einem halben Dutzend Welthits starten können, um dann nach einem Zwischenteil (mit einigen der besten Albumtitel und einem weiteren Welthit) mit einer Hand voll Welthits zu enden.

Carlos Santana ist mit der aktuellen Inkarnation seiner 1966 gegründeten Band Santana auf Europa-Tournee und hat am Sonntag die Barclaycard Arena für Hamburger Verhältnisse zum Rasen gebracht. Menschen, die mit „Jingo“ und „Evil Ways“ groß geworden sind, tanzten neben solchen, die mit „Smooth“ oder „Maria Maria“ sozialisiert wurden.

Am Ende der Woche, in der außer dem obersten Beach Boy Brian Wilson auch Santanas alter Weggefährte Sly Stone aus der Szene von San Francisco gestorben ist, stimmt die Band das Publikum mit Archivbildern von Santanas Woodstock-Auftritt ein. Die Hälfte der Bühne besteht aus Percussion und dem Schlagzeug.

Woodstock-Klassiker zum Auftakt

Das markante Riff des schon damals auf dem legendären Festival dargebotenen „Soul Sacrifice“ setzt ein, und ehe die Hamburger bis drei gezählt haben, sind das erste Percussion- und Schlagzeug-Solo vorbei. Und nachdem der vierte Titel, in dem die Band wie gewohnt aufs selbstverständlichste von Peter Greens „Black Magic Woman“ in Gábor Szabós „Gypsy Queen“ gleitet, hält es die Sitzplatzberechtigten aller Altersstufen nicht mehr auf den Stühlen. Ab „Oye Como Va“ ist die Bestuhlung an diesem Abend mehr als freundliches Angebot des Veranstalters zu verstehen.

Carlos Santana ist von vielen Bluesmusikern beeinflusst. Eine wichtige Inspiration war B.B. King.Carlos Santana ist von vielen Bluesmusikern beeinflusst. Eine wichtige Inspiration war B.B. King.Picture Alliance

Carlos Santana ist der eine Gitarrist, den man unter Tausenden erkennt, dessen Song man bis zum Solo neutral hört, um dann zu fragen, ob er wieder etwas Neues eingespielt hat. Mangels valider Daten lässt sich die These kaum überprüfen, dass zu keiner Musik mehr Kinder gezeugt wurden als zu seiner. Aber diese hüftbetont-erotische und dabei außerordentlich geerdete Musik, durch zwei Percussionisten und die dynamische Schlagzeugerin Cindy Blackman Santana (seit 2010 Carlos’ Ehefrau) vorangetrieben, veredelt die Ingredienzen von Samba, Cha-Cha, Salsa und Rumba durch straighte Rock-Rhythmen. Die frühen Aufnahmen der Band haben das Genre Latin-Rock überhaupt erst auf die Agenda der Popmusik gesetzt.

Doch dass Carlos Santana nicht als Oldie à la Ten Years After oder Canned Heat in mittelgroßen Hallen endete, sondern die Hamburger Arena beinahe ausverkauft, liegt an seiner Neuerfindung in den Neunzigerjahren. Dazu muss man sagen, dass seine Karriere musikalisch fast immer befriedigend verlaufen ist.

Zu viel Repertoire für ein 100-Minuten-Konzert

Die Alben der ersten zehn Jahre zählen zum Besten, was die Rockmusik in dieser Ära hervorgebracht hat – egal ob rustikal zu Beginn, spirituell wie in seiner Coltrane-Phase oder groovig wie in den späten Siebzigern. Selbst die Ära von Disco und New Wave hat er relativ unbeschadet überstanden. Und in den Achtzigerjahren finden sich großartige Instrumental- oder Gesangsstücke, für die in einem 100-Minuten-Best-of-Set keine Zeit ist.

Doch als in den Neunzigern Latino-Rhythmen in aller Ohren waren, „Buena Vista Social Club“ zum Welterfolg wurde und die Charts voll spanischsprachiger Salsa-Hits waren, überzeugte er seine Plattenfirma davon, ein Album mit Gastsängern aufzunehmen. „Supernatural“ wurde einer der bestverkauften Tonträger der Musikgeschichte.

Und so bildet nun das Material dieser Platte von „Put Your Lights On“ bis zu „Corazón Espinado“ gut ein Drittel der gesamten Setlist, vom Publikum mit Hüftschwung und Handylicht gefeiert. Für Perlen der späten siebziger und achtziger Jahre ist kein Platz mehr. Der späte „Supernatural“-Block, etwas Salsa-lastiger als die Klassiker, bildet mit ausgewählten weiteren Songs des Frühwerks (das funkige „Everybody’s Everything“, das knackige „Toussaint L’Ouverture“ und das lange im Programm ignorierte „Hope You’re Feeling Better“) ein erstaunlich homogenes Programm.

Exzellente Musiker begleiten den Gitarristen

Bei einem Auftritt von Santana ist es fast überflüssig zu erwähnen, wie virtuos die Band ist. Blackman, die einst als Begleiterin von Lenny Kravitz berühmt wurde und dann diverse Jazzgrößen unterstützt hat, sticht heraus. Ihr Solo im Zugabenblock ist fantastisch. Der niederländische Bassist Benny Rietveld, der nach Kollaborationen mit dem späten Miles Davis seit Anfang der Neunziger bei Santana spielt, legt ein facettenreiches Basssolo hin, wie man es in Rockkonzerten sehr selten zu hören bekommt. Die beiden Sänger Ray Vargas und Ray Greene (der auch Posaune spielt) erfüllen ihre Aufgabe als Einpeitscher mit beachtlichem stimmlichen Volumen.

Im Zentrum des Ganzen steht natürlich Carlos Santana, dieser gelehrigste Schüler B.B. Kings, der dessen Technik, den Einzelton auf der elektrischen Gitarre in den Mittelpunkt zu rücken, perfektioniert hat. Seine Botschaft ist seit jeher, dass die Menschen eine Einheit bilden sollen. „Oneness“ steht unter dem Konterfei seines Weggefährten Jimi Hendrix. Wir müssten nicht auf dem Level von Affen und Eseln stehen bleiben, sagt er in seiner einzigen kurzen Ansage.

Dann setzt er sich wieder an die Gitarre. Anders als viele jüngere Musiker kommt er mit einer einzigen über den gesamten Abend aus. Ob „Samba Pa Ti“, diese butterweiche Instrumentalballade, oder das fast dreißig Jahre jüngere „Da Le Yaleo“ – immer ist da dieser Gitarrenklang, den man klar heraushört. Alben wie „Abraxas“ sind mehr als ein halbes Jahrhundert alt, „Supernatural“ hat auch schon ein Vierteljahrhundert auf dem Buckel. Kaum ein Rockmusiker hat sich so aufgefrischt und neu erfunden wie Carlos Santana. Seine Stimme hat sechs Saiten, und sie ist längst nicht verstummt.

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